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Die langen Schatten des Friedens
Der Initiative »Aufstand für den Frieden« mangelt es an der Abgrenzung nach rechts, sagen Organisationen der Friedensbewegung
Obwohl es an Veranstaltungen anlässlich des ersten Jahrestages des russischen Überfalls auf die Ukraine hierzulande nicht mangelte, ist nur noch von einer die Rede. Fast schon vergessen sind die laut »Tagesschau« 20 000 Teilnehmenden, die sich zwischen Münster und Osnabrück zu einer Menschenkette für den Frieden zusammenschlossen. Auch die Kundgebungen und Demonstrationen unter dem Motto »Stoppt das Töten in der Ukraine«, zu denen ein gleichnamiges Bündnis in knapp 40 Städten aufgerufen hatte, wurden im Schatten der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten Kundgebung »Aufstand für Frieden« an den Rand der medialen Bedeutungslosigkeit gedrängt.
Michael Schulze von Glaßer ist politischer Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und Teil des Bündnisses »Stoppt das Töten in der Ukraine«. Er geht davon aus, dass sich an den Aktionen der 19 Friedensorganisationen bundesweit weniger als 10 000 Menschen beteiligten. Er hält wenig davon, dass Wagenknecht ihre eigene Initiative bereits zum Startschuss für eine neue Friedensbewegung erklärt hat. Schließlich würden dort langjährige Grundprinzipien der Bewegung über Bord geworfen, »etwa solidarisch mit den Opfern des Krieges zu sein und für eine Welt einzutreten, in der alle Menschen friedlich und sicher leben können«, sagt Schulze von Glaßer dem »nd«. Frieden bedeute für das Bündnis weiterhin eine Welt, in der alle Menschen frei, friedlich und sicher leben könnten. Das gehe jedoch nicht »mit Nationalist*innen, Rassist*innen, Sexist*innen und weiteren Menschen, die andere diskriminieren, bedrohen und ausgrenzen«.
Ähnlich äußert sich auch Thomas Willms, Bundesgeschäftsführer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), die ebenfalls Teil des Bündnisses ist. Während die Frage nach Waffenlieferungen dort aufgrund mangelnden Konsens außen vor blieb, sei man sich in der Abgrenzung nach rechts einig gewesen. »Das ›Manifest für Frieden‹ halte ich für hochgradig demagogisch«, sagt er dem »nd«. Die Ukrainer*innen würden darin »als arme Trottel, Russland als gar nicht so schlimm dargestellt, und am Ende sind sowieso die USA an allem schuld«.
Die Querfront der Montagsmahnwachen für den Frieden
Um zu verstehen, warum die Friedensbewegung ein Jahr nach dem Beginn des Krieges mit keiner geschlossenen Stimme auf die Straße geht, hilft ein Blick zurück ins Jahr 2014. Im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim kam es in verschiedenen Städten zu sogenannten Montagsmahnwachen für den Frieden. Das Besondere: Sie waren nicht gegen die Aggression Russlands gerichtet, sondern machten vielmehr die USA für die Ukraine-Krise verantwortlich. Ähnlich wie bei Wagenknecht und Schwarzer hieß es schon damals, dass man weder links noch rechts, sondern offen für alle Interessierten sei. Aller Kritik an Querfrontbestrebungen der Organisator*innen sowie bekannter Figuren aus dem verschwörungsideologischen Spektrum wie Ken Jebsen oder Jürgen Elsässer zum Trotz, wandten sich Teile der Friedensbewegung nicht von den Mahnwachen ab.
Spätestens da wurde offenbar, dass ein ungeklärtes Verhältnis zum Antiamerikanismus im Einklang mit fehlender Abgrenzung nach rechts für einige Friedensorganisationen zum Problem geriet. Während die einen sich um eine eindeutige Abgrenzung nach rechts bemühten, sahen andere die Gelegenheit gekommen, einer längst zusammengeschrumpften Bewegung neuen Auftrieb zu verleihen. Dem Leipziger Protestforscher Alexander Leistner zufolge tat sich damit an den Rändern der Friedensbewegung ein Abgrund auf, den er als »manichäischen Kosmos von Verschwörungsdenken und Antisemitismus, bevölkert von Akteurinnen der Neuen Rechten, Reichsbürger*innen, Vertreter*innen des Obskurantismus und Querdenkenden« bezeichnet.
Die Friedensaktionen der unterschiedlichen Lager zum Jahrestag des Krieges gegen die Ukraine verdeutlichen einmal mehr, dass es auf den Begriff des Friedens kein Patent gibt. In Deutschland hat Leistner im vergangenen Jahr drei unterschiedliche Protestmuster und Wellen der Mobilisierungen beobachtet. Zu Beginn seien es vor allem die »Stand with Ukraine«-Mobilisierungen aus den ukrainischen Communities gewesen, denen Zehntausende folgten. Sie waren geprägt von Solidarität mit den Betroffenen des Krieges und formulierten die eindeutige Botschaft, Frieden könne es nur durch ein Ende der russischen Aggression geben.
Querdenken übernimmt Slogangs der Friedensbewegung
Den Aufrufen der klassischen Friedensbewegung um Ostern herum bescheinigt er nur sehr begrenzte Erfolge. Bei ihren Mobilisierungen sei häufig unklar geblieben, an wen sich der Protest richtete. Russland sei selten eindeutig adressiert worden, stattdessen standen allgemeine Forderungen des Gewaltverzichts im Vordergrund. Als dritten Akteur benennt der Protestforscher die im vergangenen Sommer aufgekommenen »Frieden mit Russland«-Mobilisierungen. Dort sei schon früh zweierlei zu beobachten gewesen. Zum einen, »wie aus den Corona-Protesten, aus Gruppen der extremen Rechten und rechtsoffenen Rändern der Friedensbewegung heraus das Friedensthema besetzt wurde«. Zum anderen, »dass sich die ehemalige Querdenken-Bewegung als Friedensbewegung neu erfunden hat, deren Symbolik und Slogans bis zur Ununterscheidbarkeit nutzt und auf neuen Zulauf hofft«. All diese Strömungen gibt es noch immer.
Während mit den traditionellen Ostermärschen für die Friedensorganisationen schon bald die nächsten Aktionen anstehen, hält Nicole Deitelhoff Forderungen nach sofortigen Verhandlungen für »extrem unrealistisch«. Die Leiterin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung weist darauf hin, dass Russland in jüngster Zeit mehrfach bekräftigt habe, kein Interesse an Verhandlungen zu haben. Auch die Ukraine habe zur Vorbedingung solcher den russischen Rückzug aus ihrem Territorium gemacht. »Wenn eine oder beide Seiten nicht wollen, gibt es kaum eine Chance«, sagt sie dem »nd«. Und was ist mit der Strategie, Waffenlieferungen zu beenden, um Verhandlungen zu ermöglichen? Diese laufe darauf hinaus, dass die Ukraine militärisch unterliegt und Russland seine Kriegsziele schlicht und einfach umsetze. »Das wäre«, so Deitelhoff, »aller Voraussicht nach das Ende der unabhängigen Ukraine.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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