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Das Modelabel LABA und das Modell, das nicht gezeigt werden will

Ein Görlitzer Modelabel will eine sorbische Künstlerin bekannt machen. Doch eine Frau, die diese einst zeichnete, wehrt sich

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 9 Min.
Gerhard Zschau vom Görlitzer Label LABA mit einem der Soli-T-Shirts, auf denen der Linolschnitt der Künstlerin Hanka Krawcec aus Protest durch ein weißes Rechteck ersetzt wurde
Gerhard Zschau vom Görlitzer Label LABA mit einem der Soli-T-Shirts, auf denen der Linolschnitt der Künstlerin Hanka Krawcec aus Protest durch ein weißes Rechteck ersetzt wurde

Die sorbische Künstlerin Hanka Krawcec hat ein vielseitiges Werk hinterlassen: Landschaften in der Lausitz und im Riesengebirge stehen neben Kindern in Tracht, Plakate neben Buchzeichen, Pastelle neben Holzschnitten. Auch zahlreiche Porträts sind überliefert. In einem Werkverzeichnis, das erstmals 1996 erschien, finden sich künstlerische Darstellungen Ludwig van Beethovens, des tschechischen Philosophen Josef Dobrovský und des Komponisten Bjarnat Krawc, des Vaters der Künstlerin. Daneben malte und zeichnete sie Menschen, die ihr im Alltag begegneten: einen Bergmann, eine Bäuerin – und das Mädchen Monika. Diesem widmete sie 1960 zunächst eine naturalistische Zeichnung in Rötel und Kohle, nach der sie später einen Linolschnitt anfertigte.

Als Gerhard Zschau auf Monikas Porträt stieß, wusste er: Die ist es. »Die Darstellungsweise, der Blick – das hat mich sofort beeindruckt«, sagt er. Aus dem Ausdruck des Gesichts, das aus einer tiefschwarzen Fläche hervortritt, von einem Pferdeschwanz gerahmt, und an dem vor allem die durchdringenden Augen auffallen, spreche ein bemerkenswertes Selbstbewusstsein: »Das ist eine Frau, die weiß, was sie in ihrem Leben erreichen will«, sagt er. Allerdings ist Monika sechs Jahrzehnte nach Entstehung der Zeichnung offenbar auch eine Frau, die weiß, was sie nicht will – was dazu führte, dass Zschau ihretwegen am Dienstag bereits zum zweiten Mal vor Gericht erscheinen muss. 

Zschau betreibt in Görlitz das Modelabel Laba, das regionales Handwerk mit einem ökologischen und nachhaltigen Anspruch verbindet und erkennen lassen will, aus welcher Region die Mützen, Shirts und Kapuzenpullover kommen. Idealtypisch verkörpert wird sein Anliegen von der »Kiepe«, einem Tragekorb, wie er einst in der Lausitz von Bäuerinnen und Waldarbeitern genutzt wurde und dessen Neuauflage er aus Weide und Leinen in seiner Heimat von Hand fertigen lässt. Darüber hinaus hat Zschau einen kulturpolitischen Anspruch: Er möchte Künstler aus seiner Region und deren Werke bekannt machen. Dazu ersann er die T-Shirt-Reihe »Alte Meister«. In dieser hätte auch Monika eine Rolle spielen sollen, der sie sich aber mit Nachdruck verweigert.

Bei den ersten beiden Editionen der »Alten Meister« wirkt der regionale Bezug noch etwas bemüht; dafür lassen sich die politischen Präferenzen von Zschau erahnen. Auf ein T-Shirt ließ er die Senfpflanze aus dem Herbarium von Rosa Luxemburg drucken, auf das zweite eine Zeichnung von Friedrich Engels, auf der er sich selbst in der Hängematte darstellte: »Senf wächst in der Lausitz, und Engels schrieb über die Weberaufstände in Schlesien, also nicht weit von hier.«

Bei den nächsten Ausgaben der Reihe kamen tatsächlich Lausitzer Künstler mit regionalen Motiven zum Zuge. Diese hängen in einem Eckladen in der Görlitzer Altstadt an der Wand, in dem Zschau neben seiner Mode auch Kaffee, regionale Biere und Kunsthandwerk vertreibt. In Metallrahmen sind die sorbische Sagenfigur Pumphut und der im Riesengebirge beheimatete sagenhafte Rübezahl zu sehen, dazu ein »Geisterhaus« der Bautzener Altstadt. Über jedes der Motive und jeden Künstler kann Zschau, der im Nebenjob in einer Bibliothek arbeitet, ausführlich referieren. Der Rübezahl etwa stammt von Johannes Wüsten, einem Expressionisten, der auch KPD-Chef in Görlitz war und für die »Arbeiter-Illustrierte-Zeitung« AIZ arbeitete: »Tucholsky hat ihn sehr geschätzt.«

Die perfekte Nächste in der Reihe wäre Hanka Krawcec gewesen, die, wie Zschau betont, einerseits die »wichtigste sorbische Künstlerin« war, andererseits aber nur Insidern bekannt ist. Einen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag erhielt sie erst im Zuge der juristischen Kontroverse, für die jetzt eines ihrer Bilder sorgt. Krawcec wurde 1901 in Dresden geboren, studierte in Prag und arbeitete in einem Werbeatelier in Berlin, bevor sie nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Bautzen für die eben gegründete Domowina, die Dachvereinigung der Lausitzer Sorben, tätig wurde. Sie entwarf deren Logo, eine stilisierte dreiblättrige Linde, und bannte das kulturelle Erbe der slawischen Minderheit sogar auf Wahlplakate: »Serbski Lud woli jenož lisćinu 1«, ruft eine Sorbin mit traditioneller Haube und geblümten Schultertuch auf einem: Sorben wählen nur Liste 1.

Für die »Alten Meister« wählte Zschau indes keines der eher folkloristischen Motive, sondern den ausdrucksstarken Linolschnitt von Monika: »Ein anderes Bild hätte ich mir nicht vorstellen können.« Wie üblich, suchte er zunächst die Rechte an der Verwendung des Bildes zu klären. Manchmal spricht er dazu mit Nachfahren, etwa der Tochter des »Pumphut«-Schöpfers Paul Sinkwitz, die dem Abdruck auf einem Kleidungsstück zunächst skeptisch gegenüberstand, im Laufe eines zweistündigen Gesprächs aber überzeugt wurde. Oft sind auch umfangreiche Recherchen in Archiven, bei Verlagen oder, wie im Fall von Hanka Krawcec, in Museen notwendig. Viele ihrer Werke liegen im Sorbischen Museum in Bautzen und in Varnsdorf, wo auch ihr Werkverzeichnis erschien. In der tschechischen Kleinstadt an der Grenze zu Sachsen lebte die Künstlerin nach Kriegsende, später wurde sie Ehrenbürgerin und starb 1990 auch dort. Kinder hinterließ sie nicht, auch andere Verwandte leben nicht mehr. Damit seien die Bildrechte »verwaist«, wie Zschau formuliert.

Nach gängigem Verständnis hätte es ihm damit freigestanden, die mittlerweile fertig gedruckten 100 Exemplare der ersten Auflage seiner ersten »Alten Meisterin« zum Verkauf anzubieten. Der Geschäftsmann wollte allerdings nicht riskieren, eine Spur übersehen zu haben, und schilderte sein Anliegen in einem Artikel in der sorbischen Tageszeitung »Serbske Nowiny«. Dieser erschien Ende April 2022, kurz vor der geplanten feierlichen Präsentation des Shirts. Daraufhin bekam er tatsächlich Post, allerdings nicht von einem Angehörigen von Hanka Krawcec. Stattdessen meldete sich die von dieser im Jahr 1960 porträtierte Monika – genauer: ein von ihr beauftragter Anwalt. Vier Tage vor der öffentlichen Premiere des Shirts schickte er eine »Abmahnung und Aufforderung zur Unterlassung wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung«, zu unterschreiben binnen 22 Stunden. Das einstige Modell der Künstlerin habe »gleich die Kavallerie einreiten lassen«, sagt Zschau. Ein persönliches Gespräch mit ihr war bis heute nicht möglich.

Die Konstellation dürfte ihresgleichen suchen; eine Anwältin, die sich Zschau nach dem ersten Schock nahm, geht sogar davon aus, dass sie in dieser Form in der Bundesrepublik einmalig ist. Immer wieder geschieht es, dass Künstler oder deren Nachfahren ihr Veto gegen bestimmte Formen des Umgangs mit Kunstwerken einlegen. Nicht ungewöhnlich sind auch Auseinandersetzungen zwischen Künstlern und von ihnen dargestellten Personen. Kürzlich jährte sich zum 20. Mal das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zum »Fall Esra«, bei dem sich eine Ex-Lebensgefährtin des Autors Maxim Biller und deren Mutter gegen ihre Darstellung in einem Roman wehrten – und Recht bekamen: Das Buch darf bis heute nicht veröffentlicht werden.

Im »Fall Monika« liegen die Dinge anders: Gegen die Verwendung des Kunstwerkes wehrt sich nicht dessen Schöpferin, sondern deren Modell. Sie untersagt die Nutzung eines Motivs, das zuvor vielfach unwidersprochen publiziert wurde: Drei unterschiedliche Ausgaben des Varnsdorfer Werkverzeichnisses erschienen in Hunderten Exemplaren und sind nach wie vor in Bibliotheken und Antiquariaten erhältlich. Der Verwendung des Motivs auf T-Shirts widerspricht die Klägerin indes unter Verweis auf Artikel 1 des Grundgesetzes und die dort garantierte Würde des Menschen sowie auf das Kunst-Urheberrechtsgesetz. Dort heißt es in Paragraf 22 wörtlich: »Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden.«

Der Fall wirft viele Fragen auf. Was wäre gewesen, wenn Hanka Krawcec noch leben würde und eingewilligt hätte? Und müssen alle Museen, die Kunstwerke auf Tassen, Notizbücher oder Tüten drucken, künftig neben den Künstlern auch deren einstige Modelle um Zustimmung bitten? Gerhard Zschau hält die Argumente der Klägerin für nicht stichhaltig. Er beruft sich auf Paragraf 23 des von ihr zitierten Gesetzes, dem zufolge die Verbreitung eines Werkes zulässig ist, »sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient«. In der Auffassung bestätigte ihn eine Fachanwältin, die das in einem 17-seitigen Schriftsatz ausführte. Zschau unterschrieb die Unterlassungserklärung nicht. Die Sache landete beim Landgericht Görlitz. Dieses erließ zunächst eine einstweilige Verfügung, in der Zschau bei Veröffentlichung des Linolschnitts eine Strafe von einer Viertelmillion Euro oder ein halbes Jahr Haft angedroht wurden. Dann lud es für Juni 2022 zur Verhandlung. Diese »dauerte ganze acht Minuten«, sagt Zschau. Das Ergebnis: Die Klägerin erhielt Recht.

In dem Urteil wird betont, mit dem Paragrafen zum Recht am eigenen Bild sollten Menschen davor geschützt werden, sie »gegen ihren Willen in Gestalt der Abbildung für andere verfügbar zu machen«. Voraussetzung sei die »Erkennbarkeit der abgebildeten Person«. Diese sei gegeben, befand der Richter, obwohl die Klägerin nicht erschienen war. Er verwies auf eidesstattliche Versicherungen zweier Bekannter von ihr. Den Einwand, seit Entstehung der Zeichnung seien mehr als 60 Jahre vergangen, ließ er nicht gelten. Zwar dürfte zutreffen, dass Monika »nicht mehr so aussieht« wie auf der Bleistiftzeichnung; von möglichen »Alterserscheinungen im Gesicht« ist die Rede. Deswegen entfalle die Erkennbarkeit aber nicht. 

Auch den Verweis auf das »höhere Interesse der Kunst« wies das Gericht zurück. Die Grafik diene vielmehr »im prägenden Umfang den kommerziellen Verkaufsinteressen« von Zschau. Dass sich dieser mit den »Alten Meistern« eine goldene Nase verdient, darf jedoch bezweifelt werden. Er vertreibt die aus Bio-Baumwolle gefertigten Shirts für 34 bis 38 Euro, wovon je zwei Euro zu gleichen Teilen an vier Vereine gespendet werden, darunter Mission Lifeline und die Oberlausitzer Tafel. Das Gericht indes wies seinen Einspruch gegen das Verbot zurück und bürdete ihm die Kosten des Verfahrens auf. Bisher, sagt er, habe ihn der Streit neben Nerven und viel Zeit rund 5500 Euro gekostet. Zschau wirbt um Spenden – unter anderem mithilfe eines T-Shirts, auf dem das Porträt von Monika durch ein weißes Rechteck ersetzt wurde. Das »Soli-Shirt« für 25 Euro trägt den Titel »Kunstfreiheit«.

Im Interesse dieses hohen Gutes führt Zschau den Rechtsstreit trotz des unerwartet deutlichen Urteils weiter. Er zog vor das Oberlandesgericht Dresden. Dort wird am 7. März verhandelt – vor einem Senat, der »für Rechtsstreitigkeiten dieser Art eine Sonderzuständigkeit« habe, wie Gerichtssprecherin Meike Schaaf betont. Womöglich begegnen sich der Mann, der mit seinen T-Shirts die Erinnerung an Hanka Krawcec pflegen will, und die von dieser im Jahr 1960 bei einem Studentenprojekt gezeichnete Monika dabei zum ersten Mal tatsächlich. Die Gerichtssprecherin erklärte auf Anfrage, das persönliche Erscheinen der Parteien sei angeordnet. Sie fügt aber hinzu, ob die »doch recht betagte Klägerin« dem nachkommen könne, sei »nicht bekannt«. Sollte Zschau in Dresden erneut verlieren, will er den Fall nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht tragen. Immerhin: Hanka Krawcec und ihr Linolschnitt von »Monika« wären spätestens dann bundesweit bekannt.

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