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Atomabkommen in weiter Ferne
Eine iranische Atombombe wäre eine Bedrohung für wichtige Schifffahrtsrouten
Zum ersten Mal seit gut einem Jahr besuchte Rafael Grossi, Generaldirektor der internationalen Atomenergieagentur (IAEA), die iranische Hauptstadt Teheran und bekam dort eine Zusage, die viele überraschte: Die Überwachungskameras in den iranischen Atomanlagen sollen wieder angeschlossen werden; auf dem Höhepunkt des Ringens um den Atomvertrag waren sie abgeklemmt worden. Außerdem sollen 50 Prozent mehr Inspektionen durch die IAEA durchgeführt werden als bisher.
Doch die Regierungen der USA, Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands sind verhalten. Zusammen mit China, Russland und der Europäischen Union gehörten sie zu den Unterzeichner*innen des Atomabkommens, das US-Präsident Donald Trump 2018 einseitig aufgekündigt hatte. Damit hatte er eine Kette von Verhandlungen und Vertragsverletzungen durch die iranische Führung in Gang gesetzt. Und trotz dieses kleinen Fortschritts stehen die Dinge wahrscheinlich schlechter als je zuvor.
In einem Interview mit dem US-Sender CBS erklärte CIA-Chef William Burns, im Iran sei bis auf 84 Prozent angereichertes Iran gefunden worden; Waffenfähigkeit werde bei einem Grad von 90 Prozent erreicht. Er glaube nicht, dass die Führung um Ajatollah Ali Khamenei tatsächlich bereits die Entscheidung getroffen habe, eine Atombombe zu bauen und zu testen.
Die Bedeutung eines solchen Schritts zeigt ein Blick auf die Landkarte: Potenziell befänden sich mit dem Roten Meer und dem Persischen Golf sowie dem Bosporus drei der weltweit wichtigsten Schifffahrtsrouten in Reichweite der Revolutionsgarden, außerdem ein Großteil der weltweiten Öl- und Gasreserven, der Erzfeind Israel und die Wirtschaftszentren Vereinigte Arabische Emirate (VAE) und Katar.
In keinem dieser Länder wollen die Regierungen darauf vertrauen, dass sich der Iran und sein großer Militärapparat rund um die Revolutionsgarden auch mit der Bombe in der Hand an das Konzept der guten Nachbarschaft halten wird. »Wer einfach nur leben und leben lassen will, braucht keine Waffe«, sagt ein hochrangiger Diplomat der VAE. Es droht endgültig ein Wettrüsten in der Region. Schon seit Längerem kaufen vor allem die VAE und Saudi-Arabien alle Rüstungstechnologie ein, die westliche Produzenten an sie verkaufen dürfen. Und längst tauscht sich auch Saudi-Arabiens Sicherheitsapparat mit den Kolleg*innen in Israel, mit denen er offiziell noch keine Beziehungen hat, in Sachen Iran aus.
Im Raum steht derzeit vor allem die Befürchtung, dass sich die Dinge verselbständigen könnten: Nach der einseitigen Aufkündigung des Atomabkommens durch Trump hatte die iranische Führung zunächst mit der Anreicherung von Uran begonnen, um die europäischen Staaten dazu zu zwingen, die Investitionen europäischer Unternehmen zu sichern. Doch politische Maßnahmen wirkten nicht: Unter dem Druck der neuen US-Sanktionen zogen sich auch die Europäer*innen fast vollständig zurück. Also setzte man sich wieder an den Verhandlungstisch und war auch wohl schon fast bei einem neuen Abkommen angekommen, begleitet von immer neuen Drohgebährden, als dann im Iran die Protestwelle ausbrach und auch in Bezug auf das Abkommen eine völlig neue Situation schuf.
Die iranische Regierung, nun geführt von dem extrem konservativen Präsidenten Ebrahim Raisi, fordert vor einem Abkommen Zurückhaltung bei der westlichen Unterstützung für die Proteste, auch wenn diese vor allem aus lauter Regimekritik westlicher Regierungen besteht. Für die internationale Politik und Diplomatie stellt dies eine Herausforderung dar, für die noch niemand eine Lösung gefunden zu haben scheint: Es ist offensichtlich, dass das Regime in Teheran und ein Großteil des Volks sich nichts mehr zu sagen haben; zudem ist ein Großteil der Führung überaltert und wird zwangsläufig in naher Zukunft abtreten. Wer danach kommt, darüber kann nur spekuliert werden. Sicher scheint, dass die Revolutionsgarden, die schon jetzt eine Art »Staat im Staat« bilden, durch eine Atombombe auch nach innen gestärkt würden, denn welche Regierung könnte dem etwas entgegensetzen?
Der Sinn von Verhandlungen wird vor allem in den Golfstaaten und in Israel schon seit Langem infrage gestellt: Niemand könne garantieren, dass sich das iranische Regime, von dem man zudem auch noch gar nicht wisse, wie es künftig aussehen werde, an irgendein Abkommen halten werde.
Bleiben also Sanktionen. Doch weder Russland noch China, zwei der Mitunterzeichner des ursprünglichen Abkommens, halten sich daran; Raisi war vor einigen Wochen in Peking zu Gast und erhielt dort Zusagen für milliardenschwere Investitionen.
Und so brachte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu vor einigen Tagen erneut einen Militärschlag gegen die iranische Atomanlagen ins Spiel. Es ist eine Option, die als vermeintlich einfache Lösung erscheint, aber eine große Gefahr mit sich brächte: dass die Revolutionsgarden zurückschlagen und die Region in einen konventionellen Krieg verwickeln, in dessen Epizentrum sich wichtige Rohstoffvorkommen und Transportwege befinden.
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