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  • »Macbeth« vom Berliner Gefängnistheater AufBruch

»Ach, Mackie!«

Das Berliner Gefängnistheater AufBruch inszeniert »Macbeth« in den Rüstungen moderner Menschen

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 4 Min.
Brust raus, Hals recken, Sakko richten: Die Inszenierung konzentriert sich auf Gesten der Macht.
Brust raus, Hals recken, Sakko richten: Die Inszenierung konzentriert sich auf Gesten der Macht.

»Macbeth« ist in dieser Spielzeit in vielen Theatern zu sehen. Die Mischung aus Politthriller und Mafiadrama passt zur Gegenwart, in der Banden und Cliquen um Staatsapparate und Weltregionen kämpfen. Doch egal, welche Inszenierungen des düsteren Shakespeare-Stücks noch kommen mögen, die außergewöhnlichste feierte am Montag in Berlin Premiere – in der Jugendstrafanstalt. Es ist die neueste Inszenierung des Projekts AufBruch, das seit über 25 Jahren in verschiedenen Berliner Gefängnissen Theater mit den Insassen macht. Das ist einmalig in der Bundesrepublik.

Hinter hohen Mauern mit Stacheldraht und stählernen Toren haben elf junge Männer für sieben Wochen sich durch den Shakespeare-Stoff gekämpft, angeführt von Regisseur Sven Daniel Bühler. Ein Glücksgriff ist die Übersetzung von Werner Buhss: Deren rauer und derber Tonfall ist der Straße näher als romantische Vorstellungen von Hochkultur. Im Mund der Darsteller – nahezu alle ohne vorherige Bühnenerfahrung, nur zwei haben zuvor schon mit AufBruch gearbeitet – bekommt der Text noch einen zusätzlichen Hauch Kiezdeutsch à la Sonnenallee: Shakespeare meets »4 Blocks«. Dazu kommen eigens erarbeitete Rapsongs, die bei der Premiere wegen eines Ausfalls der Tonanlage sogar a cappella vorgetragen werden, was die Wirkung sogar noch steigert.

Nun weiß man, dass es bei Shakespeare nur vordergründig um den schottischen Adel und seine Machtkämpfe vor Hunderten vor Jahren geht, schon seinerzeit hatte der Dichter der eigenen Lebenswelt nähere politische Vorgänge wie den Niedergang der elisabethanischen Epoche vor Augen. Seitdem hat sich das Stück immer wieder auf ebenso hartnäckige wie abscheuliche Eigenheiten politischer Machtausübung beziehen lassen, sodass »Macbeth« geradezu zum Modell ihrer selbstzerstörerischen Tendenzen geworden ist. Das Bühnenbild von Holger Syrbe holt mit stilisierten Zinnen und Türmen aus Trapezblech das Burgenpanorama ins Zeitalter des globalen Containerhandels. Und die Kostüme von Isabella Caiati zeigen mit klassischen Business-Anzügen und glänzenden Schuhen die elegante Rüstung des modernen Menschen, darunter kommen später – diesen ikonischen Kleiderwechsel kennt man inzwischen von gewissen Staatschefs ganz gut – olivgrüne Shirts und Military-Westen zum Vorschein.

Immer wieder treten die Darsteller als Gruppe auf und sprechen wuchtige Chöre (die fester Bestandteil der AufBruch-Ästhetik sind). Schöne Kontrapunkte sind kleine ironische Brechungen, von denen es einige gibt. »Ach, Mackie!«, ruft Lady Macbeth in Anspielung auf Brechts Mackie Messer theatralisch aus. Sie tritt in der Inszenierung nicht ausschließlich als Lady auf, auch weil dem Spielort geschuldet das Ensemble ausschließlich aus jungen Männern besteht. Für die Figurenzeichnung ist das kein Nachteil, ist die »Lady« doch meist wenig ladyhaft, sondern eher der robuste Buddy eines Powercouples (robust zumindest bis zu ihrem Abgang). Macbeth hingegen muss die Robustheit noch erlernen und erwerben, das wird durch einen Darstellerwechsel noch verstärkt. Ist er als zweifelnder Aufsteiger noch einer der Schmächtigeren der Gruppe, in der teils beeindruckende Oberarmumfänge zu bestaunen sind, wird er als König seiner Machtfülle entsprechend verkörpert. In Besetzung, Sprache und Bewegung konzentriert sich die Inszenierung auf die Physik der Macht mit ihren bekannten Gesten – Brust raus, Hals recken, Sakko richten, …

Das tödliche Spiel der Macht basiert zwar auf dem Regelbruch, es hat aber trotzdem Regeln. Und zur Tragik eines Charakters wie Macbeth gehört auch, dass er sich durch den Königsmord bereits jenseits aller Gesetzmäßigkeiten wähnt. Doch es holt ihn wieder ein, die Geschichte ist mächtiger als die zeitweiligen Sieger. Und am Ende gibt es womöglich gar niemanden mehr, den man ernsthaft so nennen könnte. Man ist kollektiv gefangen in einer Situation, im Gefängnis tritt dieses Moment des Stücks umso greller hervor. Es gibt begeisterten Applaus und Bravo-Rufe, ein paar Minuten mit Familie und Freunden noch, dann trennen sich die Wege wieder.

Nächste Vorstellungen: 9., 13., 15. und 17. März, Karten hier (leider derzeit ausverkauft).

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