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Früheres Aus bei vollem Lohnausgleich
Verdi kritisiert hundertprozentiges Ruhegehalt für freigestellte Bezirksamtsmitglieder
Nicht abgeholter Müll, geschlossene Bäder, verschobene Operationen: Dieser Tage bleibt vieles liegen. Grund sind die Warnstreiks im öffentlichen Dienst. Für bundesweit über zwei Millionen Beschäftigte fordern die Gewerkschaft Verdi und der Beamtenbund 10,5 Prozent mehr Lohn. Die Arbeitgeberseite, Bund und Kommunen, haben bisher fünf Prozent in zwei Schritten und eine Einmalzahlung zugesagt. Zu wenig, finden die Beschäftigten.
Ihrer Gewerkschaft stößt gerade noch etwas anderes übel auf. »Die geplante Vollversorgung von Stadträten und Bezirksbürgermeistern ist besonders in der aktuellen Situation ein falsches Signal, das heizt die Stimmung an«, sagt Benjamin Roscher, stellvertretender Verdi-Landesbezirksleiter.
Denn die durch die Wahlwiederholung veränderten Mehrheitsverhältnisse in den zwölf Berliner Bezirksverordnetenversammlungen sollen sich auch in den Bezirksämtern widerspiegeln. Doch Bezirksbürgermeister und Stadträte können nicht einfach ausgetauscht werden. Sie sind Beamte auf Zeit, ernannt bis zur nächsten regulären Wahl 2026. Die Parteien im Abgeordnetenhaus verhandeln deshalb über eine Lösung, wie Platz gemacht werden kann insbesondere für die CDU-Gewinner.
Der Vorschlag sieht vor, dass die Chefs der strittigen Bezirksämter zwar weiterhin im Amt bleiben, aber freigestellt werden – und ihre Nachfolger zusätzlich ins Amt gewählt werden. Die Freistellung soll mit einem Ruhegehalt in Höhe von 100 Prozent bis 2026 erfolgen. Nach der Besoldungsordnung erhalten Bezirksbürgermeister ein Grundgehalt von über 10 000 Euro. Bis 2026 würde ein freigestellter Bezirksbürgermeister damit über 300 000 Euro kosten. Schon jetzt schlagen die Kosten für die Wahlwiederholung mit 39 Millionen Euro zu Buche.
Die ansonsten übliche Regelung, wenn Bezirksbürgermeister vorzeitig durch eine Zweidrittelmehrheit abgewählt werden und dann für weitere drei Monate 71 Prozent ihres Gehalts bekommen, soll jedenfalls nicht greifen. Eine Abwahl mit Zweidrittelmehrheit ist schließlich eine hohe Hürde. Eine Einigung auf eine Freistellung bei reduziertem Ruhegehalt öffnet die Türen für Klagen. Benjamin Roscher von Verdi befürchtet, dass die Politikverdrossenheit durch solch eine Regelung, wie sie jetzt im Gespräch ist, weiter befördert wird. »Wir erwarten daher von den politischen Parteien, eine Lösung zu finden, die sachgerecht und angemessen ist«, sagt er.
Die CDU hatte schon vor der Wahl darauf hingewiesen, dass bisher nicht geregelt ist, wie sich die Zusammensetzung der Bezirksämter den Mehrheitsverhältnissen entsprechend ändern lässt. CDU, SPD, Grüne und Linke hatten sich vergangene Woche zusammengesetzt, um eine Lösung zu finden.
SPD-Innensenatorin Iris Spranger spricht dabei von schwierigen verfassungsrechtlichen Fragen, die zu klären sind. »Es sollte in der freien Entscheidung der demokratisch gewählten Bezirksverordneten liegen, die Mehrheitsverhältnisse auch im Bezirksamt abbilden zu können«, sagte sie jetzt.
Die SPD hatte bei der Wiederholungswahl auch in einigen Bezirken deutlich gegenüber der CDU verloren. In Spandau etwa wird SPD-Bezirksbürgermeisterin Carola Brückner Platz machen müssen für den bisherigen CDU-Bildungsstadtrat Frank Bewig. Auch der Linke-Bezirksbürgermeister von Lichtenberg, Michael Grunst, wird sein Amt wohl an den bisherigen CDU-Ordnungs- und Verkehrsstadtrat Martin Schaefer abtreten müssen.
Lösungen, bei denen Bezirksstadtrat und Bezirksbürgermeister aufgrund der veränderten Mehrheitsverhältnisse die Ämter »tauschen«, dürften für den Landeshaushalt noch relativ kostengünstig ausgehen.
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