Perspektive für Industrie auf dem Papier

Wellpappe und Stahl mit Ökostrom herstellen – Betriebe in Eisenhüttenstadt rüsten sich für die Zukunft

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

In der Fabrikhalle herrscht ein Lärm, bei dem man sein eigenes Wort kaum versteht. Vorn an der riesigen Anlage dampft es, hinten kommt Rohpapier für Verpackungsmaterial heraus. Es wird zu dicken Rollen gewickelt, die bis zu 130 Tonnen wiegen. Zugeschnitten auf kleinere Formate ziehen Förderbänder immer noch imposante Rollen aus der Anlage. Auf einer Drehscheibe ändern diese kleineren Rollen ihre Richtung um 90 Grad und verschwinden im Lager.

An der Oderlandstraße in Eisenhüttenstadt investierte die Progroup 500 Millionen Euro in diese Papierfabrik. 2010 war das. Es entstand die auch heute noch leistungsstärkste Papiermaschine weltweit. Das Unternehmen rühmt sich. Keine andere könne so schnell so viel Wellpappenrohpapier herstellen: 650 000 Tonnen pro Jahr.

Das Geschäft läuft trotz stark gestiegener Energiekosten wie geschmiert. Die Kunden zahlen den zwangsläufig höheren Preis, denn die Nachfrage ist mit der Coronakrise enorm gestiegen. Seitdem erlebte der Online-Versandhandel einen nochmaligen Aufschwung und für nach Hause zu liefernde Waren wird sehr viel Verpackungsmaterial benötigt.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) besichtigt die Papierfabrik am Mittwoch. Für die Frauen, denen er begegnet, hat er zum Frauentag ein kleines Präsent dabei. Allerdings gibt es unter den rund 200 Beschäftigten am Standort nur 18 weibliche. Insbesondere interessiert sich Woidke für eine zukünftig CO2-neutrale Produktion. Er weiß zu berichten, dass sich die Polen wunderten, wieso sich die Tesla-Autofabrik im brandenburgischen Grünheide ansiedelte, obwohl doch im Nachbarstaat die Personalkosten geringer sind. Doch den Hersteller von Elektroautos lockte die Verfügbarkeit von Ökostrom in Brandenburg, dem Bundesland der Windräder und Solaranlagen. Nichts habe das Interesse an erneuerbaren Energien in Polen so befeuert wie die Tesla-Ansiedlung in Brandenburg, erzählt der Ministerpräsident.

Die Papierfabrik ist nach Angaben von Vorstandschef Maximilian Heindl auf einem guten Weg, was die Nachhaltigkeit betrifft. Erstens wird in der Branche sowieso 90 Prozent Altpapier zu frischem Papier verarbeitet. Zweitens seien 50 Prozent des Brennstoffs biogen, also mit Biomasse vergleichbar. Perspektivisch sei die Frage: »Wie bekommen wir die anderen 50 Prozent auch noch CO2-neutral?« Vielleicht mit der CCS-Technologie zur Abscheidung von Kohlendioxid? Technisch ist das machbar. Aber wohin dann mit dem Kohlendioxid? Es unterirdisch verpressen, das werde in Deutschland kurzfristig nicht klappen, ja nicht einmal mittel- und langfristig, weiß der Ministerpräsident. Koalitionsverträge schließen das aus, »auch bei uns in Brandenburg«. CO2 lässt sich in der Industrie verwenden. Die Papierfabrik könne es allerdings nicht gebrauchen, bedauert Heindl.

Auch im Stahl- und Walzwerk von Arcelor Mittal in Eisenhüttenstadt, dem Woidke am Mittwoch ebenfalls einen Besuch abstattet, geht es um Perspektiven für die Zeit, wenn die Kohlekraftwerke in der Lausitz abgeschaltet sind und der Industrie keinen Strom mehr liefern. Das soll für den Flüssigstahl aber nicht das Aus bedeuten. 2026/27 sollen zwei moderne Elektrostahlöfen errichtet sein und der traditionelle Hochofen außer Betrieb gehen. Auf 1,9 Milliarden Euro beläuft sich die Investition, erhoffte Fördermittel eingerechnet. Das teure Vorhaben zeige, dass der Konzern am Standort Eisenhüttenstadt festhalten wolle, erläutert Manager André Körner. Gewisse Voraussetzungen für eine grüne Zukunft bestehen. Das Werksgelände könnte zur Energieversorgung relativ einfach an eine Wasserstoffleitung angeschlossen werden.

Um die Zukunft geht es auch, als Dietmar Woidke im Berufsbildungszentrum des Stahlwerks vorbeischaut. Er spricht dort mit Chris Niedlich, der im zweiten Lehrjahr ist und die Ausbildung zum Elektroniker nächstes Jahr abschließen wird. Damit hört es bei ihm aber nicht auf, denn der 23-Jährige absolviert einen dualen Studiengang. Zwei Tage in der Woche ist er an der Technischen Universität Wildau und drei Tage im Betrieb in Eisenhüttenstadt. Sobald Niedlich seine Lehre abgeschlossen hat, konzentriert er sich ganz aufs Studium der Automatisierung. 2026 müsste er seinen Bachelor-Abschluss in diesem Fach haben und soll dann dazu noch den Master machen.

Woidke vermutet richtig, dass Niedlich nicht der erste in seiner Familie ist, der im Stahlwerk angefangen hat. Der Onkel von Niedlich arbeitet auch hier, sein Vater hat im Betrieb gelernt. Woidke freut sich, dass bei Arcelor Mittal ein duales Studium ermöglicht wird. »Das ist, glaube ich, genau der richtige Weg, die Fachkräfte in der Region zu halten.« Auch begrüßt er, dass sich das Stahlwerk auf den Weg zur klimaneutralen Produktion macht. »Wir werden die erneuerbaren Energien weiter ausbauen in Brandenburg«, verspricht er. »Denn das ist ja die Grundlage.«

Auch am Berufsbildungszentrum verschenkt Woidke Pralinen zum Frauentag. Man sollte vermuten, dass in einem Stahlwerk nur wenige Frauen anzutreffen sind. Doch weit gefehlt. Von den rund 2700 Mitarbeitern am Standort sind 502 weiblich. Das entspricht einem Frauenanteil von 19 Prozent. Durchschnitt in der Metallindustrie ist eine Quote von lediglich neun Prozent. Zwar arbeitet über die Hälfte der Frauen in der Verwaltung, genau gesagt 238. Aber es gibt auch 158 Frauen im Kaltwalzwerk und weitere in anderen Produktionsbereichen. Im Berufsbildungszentrum stehen zwar zufällig nur Jungs an den Drehbänken, die hier ihre Ausbildung zum Industriemechaniker absolvieren. Aber diesen Beruf erlernen auch Mädchen. Sie werden hier nicht nur zur Industriekauffrau oder Elektronikerin ausgebildet.

Der klassische Beruf des Metallurgen, der mit einer langen Stange den Stahl absticht, stirbt aus. Die Automatisierung ist weit fortgeschritten. »Es sind nur noch Knöpfe zu drücken«, erläutert ein Ausbilder. Werksstudent Niedlich zeigt an einem Modell, wie das funktioniert.

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