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Hohenzollern spielen Ball zu Historikern

Der Streit mit dem Land Brandenburg um 1,2 Millionen Euro Entschädigung soll ein Ende haben

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Haus der Bundespressekonferenz am Berliner Schiffbauerdamm ist ein modernes Gebäude. An diese keinesfalls hochherrschaftliche Adresse lud die Generalverwaltung des vormals regierenden preußischen Königshauses am Donnerstag. In den zu einem kleinen Saal zusammengelegten Tagungsräumen 1 bis 3 diskutieren die Geschichtsprofessoren Lothar Machtan, Peter Brandt und Ulrich Schlie. »Mehr Licht!« – das sollen die letzten Worte des Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe 1832 auf dem Sterbebett in Weimar gewesen sein. »Mehr Licht« lautet jetzt auch das Motto der Veranstaltung, die einen Einblick in aktuelle Forschungen zum Haus Hohenzollern im 20. Jahrhundert erlauben soll. Verschiedene Historiker leuchteten in den vergangenen Jahren immerhin dunkle Ecken aus. Dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts viel Schatten war, steht außer Frage. Man denke an die berüchtigte Hunnenrede von Wilhelm II. mit anschließendem Krieg in China und an den Ersten Weltkrieg, an dessen Ende der Kaiser dann auch abdankte.

Eine Art Kalter Krieg tobte seit 2014 zwischen den Nachfahren des Kaisers und dem Land Brandenburg, je nach Sichtweise angezettelt von Georg Friedrich Prinz von Preußen oder vom damaligen Finanzminister Christian Görke (Linke). Es ging um 1,2 Millionen Euro Entschädigung für nach dem Zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Besatzungszone enteigneten Besitz. Wenn der letzte Kronprinz Wilhelm (1882-1951) den Nazis erheblich Vorschub leistete, so hätten seine Erben den Anspruch auf die Zahlung verwirkt. Entscheiden müsste das Verwaltungsgericht Potsdam. Es wollte am 13. Juni verhandeln. Doch dieser Termin wird voraussichtlich abgesagt. Denn wie tags zuvor überraschend angekündigt, nutzte Prinz von Preußen am Donnerstag die Bühne der Bundespressekonferenz, um seinen Verzicht zu erklären.

Schon lange verhandle seine Familie mit Bund und Ländern, wie ungeklärte Fragen zum Eigentum an mehr als 10 000 Kunstwerken abschließend geregelt werden könnten, führt der 46-Jährige zur Begründung aus. Für die Zuordnung von 4000 Objekten sei von Bedeutung, ob und in welchem Maße sein Urgroßvater »in der Endphase der Weimarer Republik dazu beigetragen hat, dem Nationalsozialismus den Boden zu bereiten«.

»Auch wenn ich selbst weder Historiker noch Jurist bin, lässt sich aus meiner Sicht nicht nachweisen, dass mein Urgroßvater dem NS-Regime Vorschub geleistet hat – selbst wenn er dies vielleicht gewollt hätte«, sagt das aktuelle Oberhaupt der Hohenzollern. Das ändere aber nichts an der Tatsache, dass Ex-Kronprinz Wilhelm zeitweise mit den Nazis sympathisiert habe. Mit »aller Deutlichkeit« wolle er sagen: »Wer sich dem Rechtsextremismus anbiedert, kann nicht traditionsstiftend für das Haus Hohenzollern sein.« Daher habe er sich entschieden, auf die Rückgabe der 4000 Objekte und auf eine finanzielle Entschädigung zu verzichten. Leihgaben aus der privaten Sammlung der Hohenzollern werde er dennoch staatlichen Museen zur Verfügung stellen. Er sei zuversichtlich, dass in den nächsten Jahren für die noch strittigen 6000 Objekte eine Lösung gefunden werde.

Mit alldem möchte Prinz von Preußen den Weg frei machen für eine »unbelastete Debatte der Geschichtswissenschaft«. Denn neben NS-Sympathisanten habe es in der Familie auch andere Menschen gegeben, etwa Prinz Leopold Friedrich, der im KZ Dachau gesessen habe, und Großvater Prinz Louis Ferdinand, der 1934 auf Distanz zu den Faschisten gegangen sei.

Nachdem in den zurückliegenden Jahren Historiker, Journalisten und Politiker mit Klagen überzogen worden sind, ist jetzt eine ungehinderte Debatte möglich. Sie entspinnt sich dann auch gleich unter den anwesenden Historikern, in deren Spielfeld der Ball nun liege, wie Ulrich Schlie betont. Kollege Lothar Machtan veröffentlichte vor 17 Jahren die Studie »Der Kaisersohn bei Hitler« über den berüchtigten Nationalsozialisten Prinz August Wilhelm, nicht zu verwechseln mit Kronprinz Wilhelm, dem Machtan vor zwei Jahren das Buch »Der Kronprinz und die Nazis« widmete. Jetzt sitzt Machtan an einer Bestandsaufnahme von 1500 Quellen zur Biografie des Kronprinzen. Eingekürzt sei das Material, aber nicht verkürzt, versichert er. Nichts sei absichtlich weggelassen. Er habe die Originalquellen mit Randglossen versehen, als Lesehilfe. »Zu keiner Zeit ist nach meiner Wahrnehmung Kronprinz Wilhelm ein Aktivposten der Politik gewesen«, eher eine »Trumpfkarte«, mit der im Verborgenen gepokert worden sei, urteilt der Historiker. »Der Kronprinz war politisch unfähig, den Nazis erheblich Vorschub zu leisten.« Dafür hätten ihm das Format und die Möglichkeiten gefehlt.

»Die Quellensammlung ist außerordentlich aufschlussreich und fesselnd«, lobt Machtans Duzfreund Peter Brandt, der im Rechtsstreit um die Entschädigung ein Gutachten verfasst hatte, das die Position von Finanzminister Görke stützte. Die Quellensammlung veranlasst den Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) aber nicht, »mein Urteil von 2014 zu revidieren«, wie er betont. Der Ex-Kronprinz habe zwar »keine entscheidende Rolle gespielt« bei der Zerstörung der Weimarer Republik, aber eine »nicht unerhebliche, nicht belanglose« Rolle. Wilhelm hatte sich in Adelskreisen unmöglich gemacht durch seine Flucht ins Exil 1918 und durch seinen unmoralischen Lebenswandel. Dass Wilhelm dem Kandidaten Hitler mit einem Aufruf, diesen zu wählen, bei der Reichspräsidentenwahl 1932 zwei Millionen Stimmen zugeführt habe, nennt Brandt eine »Angeberei«. Dass er Hitler damit aber im Gegenteil sogar geschadet habe, weil die Hohenzollern im Volk unbeliebt gewesen seien, sei ebenfalls nicht glaubhaft.

Prinz von Preußen verfolgt die Diskussion in der ersten Reihe, wie man ihn kannte, bevor 2014 die Streitereien begannen: stets lächelnd – mal mehr, mal weniger. Sichtlich freut ihn, was die Historikerin Antonia Podhraski über seinen Großvater Prinz Louis Ferdinand erzählt: Dieser habe Hitler anfangs zwar nicht kritisch gegenübergestanden und im März 1933 die NSDAP gewählt. Doch 1934 sei seine bereits früher einsetzende Reserviertheit in Ablehnung umgeschlagen. Der Hohenzollern-Sproß, der bis 1933 drei Jahre in den USA gelebt hatte, habe keine aktive Rolle im Widerstand gegen Hitler gespielt, aber durch seine Kontakte eine Bedeutung für den Widerstand gehabt. Er habe die demokratische Gesellschaftsordnung akzeptiert und eine Restauration der Monarchie zeitlebens kritisch beurteilt. Kurz vor seinem Tod 1994 hatte Louis Ferdinand noch die Entschädigung beantragt, um die bis jetzt gerungen wurde.

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