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Dortmund gegen Schalke: Zwischen Titeljagd und Abstiegskampf

Im wegweisenden Duell zwischen dem BVB und Schalke 04 geht es um so viel wie lange nicht mehr

  • Daniel Theweleit, Gelsenkirchen
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Aufeinandertreffen der Fans von Dortmund (l.) und Schalke macht jedes Derby zum Hochrisikospiel. Dieses Jahr ganz besonders.
Das Aufeinandertreffen der Fans von Dortmund (l.) und Schalke macht jedes Derby zum Hochrisikospiel. Dieses Jahr ganz besonders.

Wahrscheinlich gibt es keinen Zusammenhang zwischen der außergewöhnlichen sportlichen Brisanz des 160. Revierderbys und den Vorgängen in der Fanszene, die zuletzt für Schlagzeilen sorgten. Nachdem vor knapp drei Wochen Schalker Fans kurz vor ihrer Abfahrt zum Auswärtsspiel bei Union Berlin mit verstörender Brutalität von rund 100 Leuten überfallen worden waren, die mit der Anhängerschaft von Borussia Dortmund und Rot-Weiss Essen in Verbindung stehen sollen, zog die Polizei nun Konsequenzen. Beim Spiel der Schalker gegen den BVB an diesem Samstagabend darf im Stadion kein Alkohol ausgeschenkt werden, was dem gastgebenden Klub aus Gelsenkirchen »nicht zielführend und nicht verhältnismäßig« erscheint, wie ein Sprecher sagt. Denn solche Auseinandersetzungen finden in den allermeisten Fällen außerhalb der Stadien statt. Außerdem werden viele Leute wegen des Verbots in den Stunden vor dem Spiel besonders viel trinken, was die Anreise der gut 60 000 Menschen nicht sicherer machen dürfte. Und die Kriminellen, die explizit auf der Suche nach gewalttätigen Auseinandersetzungen sind, konsumieren bekanntermaßen ohnehin eher andere Drogen.

Am Donnerstag fand infolge der Prügelei dann auch noch eine Großrazzia der Polizei statt, in deren Rahmen 27 Objekte durchsucht wurden. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul sagt: »Wir haben 19 Tatverdächtige im Auge. Wir haben in mühsamer Kleinarbeit ermittelt, wer das war, und haben bei denen jetzt mal einen Hausbesuch gemacht.« Es sei »riesig«, dass die Beamten »in diesem Bereich der Hooligan-Szene jetzt mal Tabula rasa gemacht haben«.

Seit dem Ende der pandemischen Einschränkungen agiert die Polizei in vielen Bundesländern mit neuer Härte gegen gewaltbereite (und als Kollateralschaden auch gegen friedliche oder völlig unbeteiligte) Fußballfans. Vor dem Revierderby sprechen die Beamten in einem offenen Brief eine Drohung aus: »Gegen Personen, die anreisen, um ihre Aggressionen auszuleben und Gewaltdelikte zu begehen, wird die Bundespolizei konsequent einschreiten.« Gut möglich, dass es eher zu Konflikten mit den Beamten kommt als zu Auseinandersetzungen zwischen den Fangruppen, die bei Schalker Heimspielen aufgrund der örtlichen Gegebenheiten ohnehin gut voneinander getrennt werden können.

All das wird mitschwingen, wenn die Arena dann von dieser beeindruckenden Fußballenergie erfüllt sein wird, die hier während der vergangenen Wochen entstanden ist. Nun steht auch noch ein Spiel an, das nicht nur wegen der Rivalität der beiden Klubs ein würdiges Topspiel für den Samstagabend ist. Schalke und Dortmund sind die beiden einzigen Bundesligaklubs, die in der Rückrunde noch nicht verloren haben. Zwar ist der tabellarische Vorsprung der Dortmunder vor einem Derby noch nie so groß gewesen (15 Plätze), aber, so sagt Schalkes Trainer Thomas Reis, »jetzt hat sich das Blatt ein bisschen gewandelt. Und wir haben eine Riesenmöglichkeit zu zeigen, dass wir unser Momentum weiter ausführen wollen.«

Die Sätze, die dieser Trainer formuliert, klingen mitunter etwas holperig, aber irgendein geheimnisvolles Mittel, das verborgene Leidenschaften in den Spielern weckt, muss Reis haben. Schon als Coach des VfL Bochum verwandelte er 2019 einen Abstiegskandidaten in der zweiten Liga ohne große personelle Veränderungen in eine hingebungsvoll arbeitende Erfolgsmannschaft, die 2021 schließlich in die Bundesliga aufstieg und dort eine überraschend gute Saison spielte. Nun hat er ein leblos wirkendes Schalker Team erweckt.

Das liegt aber nicht nur am Trainer, sondern auch an ein paar Spielern: Ralf Fährmann, die neue Nummer eins im Tor, ist vielleicht technisch nicht so gut ausgebildet wie sein Vorgänger Alexander Schwolow, hat aber eine vollkommen andere Ausstrahlung. Moritz Jenz, der von Celtic Glasgow ausgeliehen wurde, hat mit Maya Yoshida einen perfekt passenden Partner gefunden; die beiden bilden ein exzellentes Innenverteidigerduo. Rodrigo Zalazar ist nach vielen Verletzungsproblemen zurück im Team und Reis hat den ängstlichen Niederlagenverhinderungsfußball von seinem Vorgänger Frank Kramer zu einem besser austarierten Stil weiterentwickelt. Er spricht von einer guten Mischung aus »Stabilität und Mut« und sagt: »Wir haben die Punkte nicht ermauert, sondern erkämpft und erspielt.«

Nach vier torlosen Unentschieden und anschließenden Siegen gegen den VfB Stuttgart sowie in Bochum sind die in der Winterpause noch abgeschlagenen Schalker jetzt wieder mittendrin im Abstiegskampf. Getragen von einem kraftvollen emotionalen Aufwind. Es gibt zwar in der Bundesliga weiterhin keinen Klub, der weniger Punkte hat, dennoch herrscht in Gelsenkirchen tatsächlich Euphorie statt Tristesse, die durch einen Derbysieg neuen Treibstoff erhalten soll. Und mit Reis haben sie jetzt auch noch einen Trainer, der als Dortmund-Spezialist gelten kann.

Bisher ist der 49-Jährige in Duellen mit dem BVB ungeschlagen. In der Vorsaison erkämpfte sein Bochumer Außenseiterteam im Heimspiel zunächst ein 1:1, bevor Reis nach einem 4:3-Auswärtssieg im Westfalenstadion den Klassenerhalt mit dem VfL feiern durfte. »Ich weiß, dass es schön ist, wenn man in einem Derby gegen Dortmund erfolgreich ist«, sagt er, als er auf diese beiden Erlebnisse angesprochen wird. Und Borussia Dortmund hat zwar zuletzt achtmal in Folge in der Bundesliga gewonnen, aber nach dem Ausfall wichtiger Spieler (Brandt, Adeyemi und womöglich Kobel) sowie dem Champions-League-Aus beim FC Chelsea wirkt das Team von Edin Terzić verwundbar.

Ganz besonders trifft das traditionell zu, wenn viel Leidenschaft im Spiel ist und es weniger um fußballerische Finessen geht als um gewonnene Zweikämpfe und Fleiß beim Verteidigen. Und wer in den vergangenen Wochen Heimspiele des FC Schalke erlebt hat, kann erahnen, was am Samstag auch ohne Alkohol für eine Energie in der Gelsenkirchener Fußballhalle entstehen wird in diesem brisantesten Revierderby seit langer Zeit.

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