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Ines Schmidt: »Mein zweiter Name ist nicht Geduld«
Die Frauenpolitikerin der Berliner Linksfraktion und der Wandel ihres Lichtenberger Wahlkreises zu einer Hochburg der CDU
Ob sie enttäuscht ist über den Ausgang der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus? Ines Schmidt überlegt einen Moment, einen für ihre Verhältnisse sogar durchaus langen Moment. Dann sagt sie: »Ich bleibe da halt dran. Es gibt so viele Sachen, die gemacht werden müssen. Ob es die Schwangerschaftsberatung ist, ob es die Alleinerziehenden sind, ob es die Frauenhäuser sind.« Das ist ihr Thema. Hier ist die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus in ihrem Redefluss nicht mehr zu bremsen. Wahlausgang hin oder her.
Seit der Wahl 2016 macht Schmidt Politik im Berliner Landesparlament. Ihr Wahlkreis Lichtenberg 1 liegt am äußersten Ostberliner Stadtrand und umfasst vor allem die in den 80er Jahren hochgezogene Großwohnsiedlung Neu-Hohenschönhausen. Zu ihren besten Zeiten fuhren die Sozialisten hier Ergebnisse von 50 Prozent und mehr ein. Das ist freilich über zwei Jahrzehnte Jahre her. Seither geht es stetig bergab.
Bei der Abgeordnetenhauswahl am 12. Februar kam Schmidt nur noch auf 15,4 Prozent der Erststimmen, 2021 waren es 18,8 Prozent, 2016 immerhin noch 25 Prozent gewesen. Gereicht hatte das auch damals nicht für ein Direktmandat. Vor sechseinhalb Jahren lag der später konsequentwerweise zur neofaschistischen NPD wechselnde AfD-Kandidat Kay Nerstheimer knapp vor Schmidt, 2021 gewann der CDU-Politiker Danny Freymark das Mandat mit 25,5 Prozent dann schon deutlicher, bei der Wiederholungswahl nun eilte der Christdemokrat mit 40,8 Prozent der Erststimmen allen Mitbewerbern davon. Aus der einstigen PDS-Hochburg ist eine CDU-Hochburg geworden. Dabei verfängt auch nicht die Erklärung, dass die Wahlbeteiligung mit 55 Prozent auffällig niedrig war. In Neu-Hohenschönhausen ist die Wahlbeteiligung seit jeher auffällig niedrig.
Klar ist: In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Ortsteil stark gewandelt. Zwar wohnten viele Menschen nach wie vor gern in Hohenschönhausen, sagt Schmidt: »Aber viele andere sind aus der Innenstadt hierhergezogen, weil sie mussten, weil Investoren dort die Wohnungen aufgewertet haben wie die Weltmeister. Die wollten hier nie her.« Die Linke wählen sie offenkundig auch nicht oder auch nicht mehr.
Ines Schmidt sagt: »Da brauchen wir gar nicht darüber diskutieren. Wir haben zu wenig erreicht. Das ist so. Wir haben die Leute teilweise nicht mehr erreicht, die hier wohnen. Ich weiß auch gar nicht, was man noch hätte machen können.« Dem Abgeordnetenhaus wird sie trotzdem weiter angehören. Ihr Mandat ist – wie bei den beiden Wahlgängen zuvor – über die Linke-Landesliste abgesichert. Und sie habe auch Lust, weiter Politik zu machen, natürlich: »Es muss doch noch so viel getan werden für die Frauen, hier und in ganz Berlin. Da muss ich doch weiterkämpfen.«
Die 63-jährige Berlinerin ist herzlich, nahbar, lebhaft – und tatsächlich kämpferisch, so auch an diesem Mittwoch, dem 8. März. Schmidt hat in Neu-Hohenschönhausen in der Jugendkunstschule an der Demminer Straße, wo sich auch ihr Wahlkreisbüro befindet, zum Frauentagsfrühstück geladen. Hier ist sie in ihrem Element. »Da kommen die Leute, wir quatschen, das ist total schön.« Schmidt hat Zwiebeln geschnitten und Schnittchen geschmiert für die mehr als 20 Frauen und Mädchen, die sich in Lichtenberg bei sozialen Trägern, Initiativen, Verbänden engagieren.
Darunter ist auch Annegret Gabelin vom Sozialwerk des Demokratischen Frauenbundes. Sie ist 1988 nach Hohenschönhausen gezogen, war hier später zehn Jahre Bezirkschefin der PDS und dann der Linkspartei, damals, als das hier noch Hochburg war. Gabelin sagt zum Absturz der Linken in ihrem Viertel: »Vielleicht sind wir jetzt in der Normalität angekommen. Vielleicht fehlt bei uns aber auch die Nähe zu den Menschen inzwischen etwas. Da ist sicher mehr möglich.« Nachbarn hätten zu ihr gesagt: »Der Danny Freymark von der CDU, der macht doch so viel hier.« Und das hätte sich 2021 und nun erneut und stärker auch an der Wahlurne ausgezahlt. Hinzu komme die intensive und nicht ganz preiswerte Öffentlichkeitsarbeit. Die CDU habe letztlich »mit unserer Strategie aus den 90ern Erfolg«.
Das stimme ja auch, dass er viel mache, sagt Danny Freymark. Sein Wahlkreisbüro in einer Ladenzeile an der Warnitzer Straße, nur ein paar Straßenzüge von Schmidts Büro entfernt, erfreue sich seit Jahren regen Zulaufs. »Wir sind ein echtes Bürgerbüro und hier auch deutlich aktiver als Die Linke. Wir helfen einfach sehr vielen Menschen vor Ort auch in privaten Angelegenheiten, vom Wohngeldantrag über das Organisieren eines Arzttermins bis zur Hilfe bei Anträgen für eine DDR-Opferrente.« Er versuche, »Politik zum Anfassen« zu machen.
Der 39-Jährige ist seit 2011 für die CDU Mitglied des Abgeordnetenhauses. Seinerzeit dümpelte seine Partei in Neu-Hohenschönhausen bei 15 Prozent herum. Von Wahl zu Wahl holte die CDU dann mehr Punkte, mit dem umweltpolitischen Fraktionssprecher Danny Freymark als ihrem Direktkandidaten. Sicher, bei der Wahl vor einem Monat habe er auch vom positiven CDU-Landestrend profitiert, sagt Freymark. Aber es sei falsch, das Wahlverhalten in der Großwohnsiedlung als bloßen Protest abzutun. »Ich habe zehn Jahre meines Lebens in die politische Arbeit für die Menschen hier vor Ort investiert. Die Linke sagt immer nur: Der und der ist schuld, dass es nicht läuft. Wir konzentrieren uns auf die Bedürfnisse der Menschen.«
Der Abstieg der Sozialisten in Neu-Hohenschönhausen habe dabei im Grunde schon vor Jahren begonnen, noch bevor Ines Schmidt 2016 erstmals für die Partei angetreten ist. Freymark sagt: »Die Linke konnte ja lange aufstellen, wen sie wollte. Sie wurde sowieso gewählt. Weil sie eben Die Linke war. Letztlich hat die Partei hier viel zu lange vom Festgeld gelebt und ist dann in den Dispo gerutscht.«
Auf seinem eigenen Habenkonto – um halbwegs im Bild zu bleiben – verbucht Freymark, dass er durch und durch Hohenschönhausener sei, einer von hier, aufgewachsen in einem Hochhaus direkt in der Nähe seines heutigen Bürgerbüros. »Das ist mein Barrio. Es ist unverhandelbar, dass ich für Hohenschönhausen Politik mache«, sagt Freymark.
Dazu gehört für den CDU-Politiker, dass die S-Bahnlinie S75, die Hohenschönhausen mit der Innenstadt verbindet, seit 2016 aber an der Warschauer Straße endet, wieder bis Charlottenburg verlängert wird. Oder dass die trostlos zerfallende Polizeiwache an der Pablo-Picasso-Straße endlich saniert wird. Oder dass das seit dem Auszug von Galeria Karstadt Kaufhof vor drei Jahren schwächelnde Linden-Center wieder stabilisiert wird.
Freymark ist bei alldem optimistisch: »Die Investitionsoffensive kann gleich hier beginnen. Und dadurch, dass wir die Wahl gewonnen haben und mit Kai Wegner den künftigen Regierenden Bürgermeister stellen werden, hat sich die Ausgangslage für die Umsetzung solcher Vorhaben natürlich deutlich verbessert.«
Auf Freymark will Schmidt zwar nichts kommen lassen: »Wir verstehen uns gut. Wenn wir uns gesehen haben am Wahlstand, dann haben wir uns umarmt, gedrückt und uns viel Erfolg gewünscht.« Ihr Urteil über den CDU-Landes- und wohl auch nächsten Senatschef Wegner klingt dagegen deutlich anders: »Wenn du dir diese Berlin-Karte ansiehst mit den vielen CDU-Direktmandaten außerhalb der Innenstadt, dann weißt du doch auch, dass da ganz viel Frust dabei ist. Ich meine, der Kai Wegner ist doch ’ne Lutschpille, ehrlich, also ein richtig lascher Puffer ist das, der wird hier nichts wuppen. Aber die Leute haben sich gesagt: Rot-Grün-Rot, das geht so nicht weiter, das wollen wir nicht mehr haben.«
Lutschpille, Puffer: Es macht Spaß, Ines Schmidt zuzuhören. Auch wenn sie aus ihrem Leben erzählt. Geboren und aufgewachsen in Friedrichshain, nach der Schule Ausbildung zur Schneiderin, dann zwölf Jahre Büglerin, nach der Wende Neuanfang als Straßenbahnfahrerin, schließlich über 15 Jahre Gesamtfrauenvertreterin der BVG: Als sie 2016 von der Linken angesprochen wurde, ob sie nicht Direktkandidatin in Neu-Hohenschönhausen werden und sich im Abgeordnetenhaus für Frauenrechte einsetzen wolle, habe sie sich gesagt: »Na, in der Politik war ich ja schon als Gesamtfrauenvertreterin unterwegs. Und als ich mir dann das Wahlprogramm der Linken näher angeschaut hatte, dachte ich: Sag mal, das haben die doch von Verdi abgeschrieben. Wenn ich jetzt im Abgeordnetenhaus Politik mache, kann ich ja die Forderungen von Verdi umsetzen.«
Natürlich habe sie sich nach der Wahl 2016 erst mal eingewöhnen müssen. Bei der BVG habe sie sich vielleicht um 30 kleinere Projekte gleichzeitig gekümmert. »Dann bin ich reingekommen in die Politik und hatte hier plötzlich 184 Frauenprojekte, die ich alle persönlich kennenlernen wollte. Da habe ich gedacht: Na, jetzt klotzen wir mal richtig ran.«
Allein, das mit dem Ranklotzen im Abgeordnetenhaus sei nicht so leicht gewesen. Das habe sie lernen müssen. Schmidt sagt: »Eine Verwaltung ist eine Verwaltung, da werden Sachen verwaltet. Manchmal tut mir das total weh. Klar, die Verwaltung ist auch überfordert, in ganz Berlin. Aber manche Sachen laufen auch wirklich langsam. Da denke ich dann: Mein zweiter Name ist echt nicht Geduld.«
Auch Schmidt sagt, dass sie sich um die Bedürfnisse der Menschen in Neu-Hohenschönhausen kümmere. »Alles, was gut ist für die Leute hier.« Auch sie will, dass die S75 wieder verlängert und das Linden-Center wiederbelebt wird. Sie verstehe bis heute nicht, weshalb Galeria Karstadt Kaufhof die Filiale in dem Einkaufscenter dichtgemacht habe. »Wieso nimmt man das hier weg, hier, in Neu-Hohenschönhausen, wo über 57 000 Menschen wohnen? Da haben wir wirklich gekämpft.« Genützt hat es nichts.
Oder die Sache mit der mangelnden Ärzteversorgung im Ortsteil, ein Dauerärgernis. »Wir haben da richtig Ballett gemacht, ohne Ende. Den Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung eingeladen ins Abgeordnetenhaus. Und was ist passiert? Selbst wenn wir jetzt einen Kinderarzt haben an der Gehrenseestraße: Was ist denn ein Kinderarzt hier?« Ihr Einfluss als Politikerin sei kleiner, als sie anfangs gedacht habe. Das zumindest sei ihre Erfahrung. Spaß mache ihr die Arbeit trotzdem. Und Neu-Hohenschönhausen will sie trotz des enttäuschenden Wahlausgangs nicht aufgeben. »Ja, was glaubst du denn? Ich doch nicht.«
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