- Politik
- Drei Jahre Pandemie
Dauergast Covid
Für die meisten Menschen ist wieder eine trügerische Normalität eingezogen
Alles wieder gut? Seit Anfang März ist nun auch noch die Maskenpflicht für Beschäftigte in Heimen und medizinischen Einrichtungen weggefallen. Dabei halten die winterlichen Temperaturen an und die Krankenstände im Gesundheitswesen sind schwindelerregend hoch. Lediglich für Patient*innen in Arztpraxen und für Besucher*innen in Krankenhäusern, Pflegeheimen und anderen medizinischen Einrichtungen gibt es noch eine Maskenpflicht – bis zum 7. April, wenn das Infektionsschutzgesetz ausläuft.
Sieben-Tage-Durchschnitt. Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Zuordnung der Todesursache kann die Zahl der bestätigten Todesfälle die tatsächliche Zahl nicht ganz exakt wiedergeben.
Da die Test- und Isolationspflicht bei Erkrankung aufgehoben wurde, können nun auch coronainfizierte Pfleger*innen zur Arbeit gehen, ihnen wird das Tragen einer Maske immerhin weiter empfohlen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begründete den frühzeitigen Wegfall der Maskenpflicht mit der »stabilen Infektionslage«. Die Maskenpflicht bei Besuchen im Heim »sollte uns der Schutz vulnerabler Gruppen wert sein«, fuhr er fort. Mehr als das aber offenbar auch nicht. Wer Verwandte oder Bekannte hat, die im Krankenhaus liegen oder im Heim wohnen, dem wäre mehr Schutz wohl so einiges wert, genauso wie den Menschen mit Vorerkrankungen oder Immunproblemen, die nicht in Einrichtungen leben. Aber das ist nun nicht mehr vorgesehen, ihnen bleibt nur der Selbstschutz. Für den Gesundheitsminister hat »die Pandemie ihren Schrecken verloren«. Das Virus sei »im Alltag beherrschbar«. Kommt halt drauf an, von wessen Alltag man ausgeht.
Direkt nach dem Fall der Maskenpflicht stiegen in einigen Regionen karnevalsbedingt die Inzidenzen sprunghaft an. Das Gesundheitsamt von Köln geht aufgrund der Virenlast im dortigen Abwasser davon aus, dass die wirkliche »Inzidenz mittlerweile zehnfach so hoch liegt wie der offiziell gemessene Wert«. Nicht nur die Wartezimmer waren voll, auch die Ärzt*innen und Angestellten waren betroffen: Der Hausärzteverband Nordrhein ging von einer Personalausfallquote von 25 Prozent aus. Ohne Schutzmaßnahmen sind solche Superspreader-Events das neue Normal.
Da zu Anfang März auch die letzten Möglichkeiten für kostenlose Schnelltests abgeschafft wurden und kostenfreie PCR-Tests nur noch bei Ärzt*innen gemacht werden können, werden die Inzidenzen auf dem Papier weiter fallen. Der Anschein, dass Covid vorbei und alles wieder normal sei, wird so verstärkt. Die Kluft zwischen den offiziellen Zahlen und der Menge der tatsächlich Infizierten und Ansteckenden wird weiter wachsen.
Weiter auseinander driften wird auch die Realität der Menschen, die meinen, selbst von wiederholten Covid-Infektionen nichts zu befürchten zu haben, und wieder zu ihrem normalen Alltag zurückgekehrt sind, und der Alltag der behinderten und vorerkrankten Menschen, die weiterhin in weitgehender, aber immer schwieriger werdender Selbstisolation leben.
Der jüngste Vorstoß des Bürgermeisters von New York zeigt, dass auch der simpelste Selbstschutz immer schwieriger wird. Der Demokrat Eric Adams forderte Anfang der Woche, Einkäufer*innen sollten beim Betreten eines Geschäfts die Maske vom Gesicht nehmen, damit sie von Angestellten und Kameras erkannt werden könnten. So könnten Diebstähle und Verbrechen verhindert werden. Mit anderen Bürgermeister*innen in den USA sei er über solche Maßnahmen im Austausch. In Österreich ist durch den Fall der Maskenpflicht nun das Verhüllungsverbot in der Öffentlichkeit wieder wirksam. Dies kann man nur mit einer medizinischen Indikation umgehen, wer also kein ärztliches Attest vorweisen kann, begeht fortan mit Maske eine Ordnungswidrigkeit. Das Innenministerium gibt an, an einer Lösung des Problems zu arbeiten, bis dahin reiche gegenüber der Polizei auch eine mündliche Erklärung, warum man weiterhin Maske trage. Verfassungsrechtler*innen halten das in der andauernden Pandemie für nicht verfassungskonform.
Wir müssten lernen, mit dem Virus zu leben, heißt es mittlerweile immer öfter. Dies wäre für viele jedoch einfacher, wenn nicht die Politik und die große Mehrheit der Bevölkerung wieder zu einem Verhalten wie vor der Pandemie zurückgekehrt wäre. Auf Dauer und global werden wir nur mit diesem und weiteren Viren leben, wenn wir aus der Pandemie lernen und einige Schutzmaßnahmen dauerhaft übernehmen.
Die UN-Behindertenkonvention verpflichtet die Staaten, besonders auf die Einhaltung der Menschenrechte für Menschen mit Behinderung achten. Dazu gehört auch, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten in der Gesellschaft zu ermöglichen. Wenn Behinderten aber nur die Selbstisolation bleibt, um eine möglicherweise schwerwiegende oder tödliche Covid-Infektion zu vermeiden, Menschen mit Einschränkungen also sich selbst und ihrem Glück überlassen werden, verstößt das gegen die Menschenrechte. Die Pandemie ist noch nicht vorbei, für niemanden.
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