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Zivil-militärische Gefechtswolken
Rechenzentren für die Kriegführung werden auch von privaten Dienstleistern betrieben
Neue Technologien werden in militärischen Fachkreisen als »Revolutionen« bezeichnet, die eine zumindest vorübergehende Überlegenheit über andere Armeen ermöglichen. Die derzeitigen revolutionären Hoffnungen liegen in der »Informationsüberlegenheit«, also im Sammeln, Übertragen und Verarbeiten von Daten. Auf den Schlachtfeldern dieses Jahrhunderts haben sich die erwarteten Vorteile einer solchen virtuell unterstützten Armee jedoch bislang nicht materialisiert. Auch das Versprechen, Künstliche Intelligenz (KI) in Militärtechnologie zu integrieren und dadurch Überlegenheit herzustellen, ist fast so alt wie der Begriff selbst – während damit verbundene Erwartungen immer wieder enttäuscht wurden.
Verschiedene Entwicklungen lassen aber Durchbrüche dieser Technologien realistisch erscheinen. Hierzu gehören Fortschritte bei der Datenverarbeitung durch künstliche neuronale Netze, deutlich gesteigerte Kapazitäten zur Datenspeicherung und -verarbeitung sowie die zunehmende Verfügbarkeit von unbemannten und (teil-)autonomen Systemen. Für den Austausch und die Verarbeitung in einem militärischen »Informationsverbund« hat sich der Begriff der »Gefechtswolke« (»Combat Cloud«) etabliert.
In der militärischen Praxis dienen etwa Flugdrohnen nicht nur als Waffenträger, sondern vor allem als Sensoren und Knotenpunkte einer solchen Gefechtswolke. Auch die Bundeswehr forscht zum massenhaften Einsatz vor allem kleiner Drohnen, die in Schwärmen eingesetzt für ein »gläsernes Gefechtsfeld« sorgen sollen. Schon 2019 hat die Bundeswehr bei dem französischen Konzern Atos hierzu eine Studie in Auftrag gegeben, um diese Technologien für Spezialkräfte zu erproben. Dabei ging es um das »taktische Teaming«, also die Zusammenarbeit zwischen Gefechtsstand, Bodentruppen (die selbst ebenfalls als Sensoren wirken) und Drohnenschwärmen.
Im Rahmen der Studie sollten verschiedene Formen von KI eingesetzt werden, um Soldaten »Handlungsempfehlungen« zu geben. Für diesen Zweck hat sich Atos für die Soft- und Hardware »Fire Weaver« des israelischen Rüstungskonzern Rafael entschieden. Sie wird bereits von israelischen Spezialkräften genutzt, um »ein 3D-Bild von mobilen Operationen in Echtzeit« zu erstellen. Gegnerische Ziele und »sensible Standorte« können darüber auf den Helmdisplays der Soldaten angezeigt werden. Die KI-basierte Technologie ermöglicht laut Hersteller die »Feuerzuweisung« und bezieht in diese Berechnung Werte wie Standort, Wirksamkeit und vorhandene Munition mit ein.
Das »gläserne Gefechtsfeld« hatte die Bundeswehr noch als kleinen, experimentellen Informationsverbund erprobt. Unter dem Kürzel D-LBO werden diese Konzepte zugleich im Heer in deutlich größerem Maße umgesetzt. Es steht für »Digitalisierung landbasierter Operationen« und soll einen »durchgängigen Informationsverbund« schaffen, der von Soldaten auf dem Schlachtfeld bis zur Führungsebene alle beteiligten Einheiten digital vernetzt. Bis zu 25 000 Fahrzeuge und bis zu 155 000 Soldaten sollen dadurch untereinander kommunizieren können.
Im Rahmen des deutsch-französisch-spanischen Projekts »Zukünftiges Luftkampfsystem« (FCAS) entwickelt auch die Luftwaffe derartige Drohnenschwärme und hat hierzu bereits erste Tests durchgeführt. Diese Kampfflugzeuge der »sechsten Generation« sollen von unbemannten »Ferngesteuerten Trägern« (»Remote Carriers«) begleitet und über Satelliten in einer Gefechtswolke vernetzt werden. Wie beim Heer berechnet eine KI die effiziente Durchführung der Missionen und gibt Entscheidungshilfen. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch der Waffeneinsatz dieser fliegenden Systeme weiter automatisiert wird.
Zu den Ferngesteuerten Trägern im FCAS gehört etwa die große »Eurodrohne«, die wie ein bewaffnetes fliegendes Rechenzentrum fungiert. Die ebenfalls eingebundenen, kleineren Drohnen verfügen jedoch über eine deutlich geringere Nutzlast; deshalb müssen ihre Rechenprozesse in die Gefechtswolke des FCAS ausgelagert werden. Mit deren Entwicklung hat die Luftwaffe die Firmen Airbus und Thales beauftragt. Auch die großen Player der deutschen Rüstungsindustrie Hensoldt, Diehl, ESG und Rohde & Schwarz haben sich bereits für deren Umsetzung in Stellung gebracht.
Für ihre Gefechtswolke unterhält die Bundeswehr selbst größere Rechenzentren, wie etwa in Wilhelmshaven, Strausberg, Bonn und Köln-Wahn. Sie werden mit Unterstützung der von der Bundeswehr hierfür gegründeten BWI GmbH beständig ausgebaut und modernisiert, die eigens für solche Zwecke vom Bund gegründet wurde. Diese Anlagen werden jedoch absehbar den wachsenden Rechenbedarf nicht befriedigen.
In den USA hat das Militär seine Gefechtswolken wegen dieser Kapazitätsprobleme auf zivile Dienstleister wie Amazon, IBM und Oracle ausgelagert. Zwar verfügen das Pentagon und der Militärgeheimdienst NSA über eigene, hoch gesicherte Rechenzentren, die aber mit der zunehmenden Verlagerung des Gefechtsfeldes in Datenwolken an ihre Grenzen gelangen. Deshalb wird dort gegenwärtig relativ offen darüber diskutiert, ob und wie die Verarbeitung besonders sensibler militärischer Daten physisch von den zivilen Dienstleistungen der beteiligten Unternehmen getrennt werden muss und kann.
In Deutschland wird über diese Verlagerung auf zivile Anbieter bislang wenig gesprochen. Bereits jetzt aber sind private Dienstleister wie Atos und Airbus stark in die IT-Verwaltung der Bundeswehr und auch in den Betrieb ihrer Rechenzentren eingebunden. Auf Dauer werden der Staat und seine Armee deren wachsenden Bedarf an Rechenkapazitäten – und den beständigen Druck zur Modernisierung – noch weniger selbst bewältigen können. Denn Rechenzentren benötigen neben großen Mengen Energie auch einiges an Fläche, die innerhalb militärischer Liegenschaften begrenzt ist.
Zugleich sprießen aktuell an den Rändern deutscher Metropolen und Städte sowie an neuen Infrastruktur-Knotenpunkten Rechenzentren geradezu aus dem Boden. Äußerlich unterscheiden sich die fensterlosen Hallen zunächst kaum von den im Umfeld oft ebenfalls gebauten Logistik-Zentren. Was in ihrem Inneren berechnet wird, ist selbst Zulieferern, dem Sicherheits- und Wartungspersonal meist unbekannt. Vermutlich werden auch an solchen Orten künftig Entscheidungen über Leben und Tod an der Front getroffen.
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