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Dzsenifer Marozsán: »Irgendwann hat man die Nase voll!«
Die 30-Jährige über den Rücktritt aus dem DFB-Team und den ermüdenden Kampf der Fußballerinnen
Die deutschen Fußballerinnen werden auf dem Weg zur WM in diesem Sommer in Australien und Neuseeland rund um Ostern zwei Testspiele in den Niederlanden und gegen Brasilien bestreiten. Sie hatten das Trainingslager in Spanien und damit auch den Jahresauftakt gegen Schweden abgesagt. Sind Sie diesmal wieder dabei?
Die 30-Jährige gab am Montag nach 111 Länderspielen ihren Rücktritt aus dem DFB-Team offiziell bekannt. Mit der technisch hoch verlangten Mittelfeldspielerin holten die deutschen Fußballerinnen bei der EM 2013 und den Olympischen Spielen 2016 ihre letzten Titel.
Sie gewann fünfmal die Champions League, viermal mit Olympique Lyon und 2015 mit dem 1. FFC Frankfurt, für den sie zwischen 2009 und 2016 spielte. Die in Budapest geborene und im Saarland aufgewachsene Tochter des ungarischen Nationalspielers Janos Marozsán über die Gründe ihres Rücktritts, Training und Talent, die Liebe zum Spiel und den schwierigen Kampf um Respekt.
Ich werde dabei sein, aber mit dem Grund, gegen Brasilien mein Abschiedsspiel zu geben. Ich werde aus der Nationalmannschaft zurücktreten. Seit einigen Monaten habe ich mir intensive Gedanken dazu gemacht, die jetzt zu dem Entschluss gereift sind.
Das kommt jetzt sehr überraschend. Welche Gründe haben Sie dafür?
Durch meine schwere Knieverletzung (Frühjahr 2022, Anm. d. Red) habe ich gemerkt, dass es sich richtig anfühlt, in der Nationalmannschaft aufzuhören. Die verpasste EM in England war eines von vielen Zeichen. Ich erinnere mich gut, wie ich bei der WM 2011, als ich ebenfalls verletzt war, nicht mal ein Spiel anschauen wollte. Jetzt war ich am Fernseher der größte Fan von den Mädels, ohne dass es wehtat, nicht dabei zu sein. Hinzu kommt die Doppelbelastung, die nicht optimal wäre. Ich bin zwar im Verein wieder gut dabei, aber das Knie ist nicht mehr das alte – ich muss enorm viel arbeiten, damit ich alle Trainingseinheiten und Spiele absolvieren kann. Ich glaube, es wäre einfach zu viel, dann noch Länderspiele, Vorbereitung und das Turnier zu spielen. Während der Verletzungspause hatte ich so viel Zeit für mich wie nie zuvor: Ich habe es extrem genossen, meinen kleinen Neffen fast jedes Wochenende zu sehen. Das möchte ich nicht mehr missen. Er hat einfach mein Herz gewonnen …(lacht).
Das klingt verständlich, aber Sie sind bei Olympique Lyon in der französischen Liga wieder in guter Form und es steht immerhin eine Weltmeisterschaft an. Das Heimturnier 2011 haben Sie verpasst, 2015 in Kanada sind Sie auf Kunstrasen früh böse umgeknickt und 2019 in Frankreich haben Sie sich im Auftaktspiel gegen China den großen Zeh gebrochen. Gab es nicht die Überlegung, diesen Fluch jetzt zu besiegen?
Ja, natürlich war das ein Gedanke, aber es kommen viele Elemente für mich zusammen, dass es gefühlt der richtige Moment ist, das Kapitel Nationalmannschaft abzuschließen. Jede Weltmeisterschaft ist für mich unglücklich gelaufen: Ich will nicht sagen, dass ich Angst hätte, mich wieder zu verletzen, aber natürlich sind diese Erlebnisse ein Teil meiner persönlichen Geschichte und daher präsent.
Welche Rolle spielt es, dass Sie den Kreuzbandriss im April 2022 in einem WM-Qualifikationsspiel in Serbien erlitten haben, die Verletzung aber erst sehr viel später in Lyon erkannt worden ist? Was ist damals schiefgelaufen?
Klar lief das unglücklich, aber mein Rücktritt hat damit überhaupt nichts zu tun. Niemand hat einen Fehler gemacht. Einige Ärzte haben es auf den Bildern erst nicht erkennen können, weil die Kapselhülle des Kreuzbandes noch intakt war. Deswegen kam die Diagnose erst sehr, sehr viel später – nach drei Wochen durch einen Spezialisten bei Lyon.
Sie sind im November 2022 in Lyon auf den Platz zurückgekehrt. Sie schrieben, sie seien bereit für mehr Comebacks. War da schon der Entschluss gereift, der Nationalmannschaft den Rücken zu kehren?
Mit dem Gedanken habe ich mich wie schon erwähnt länger beschäftigt, aber ausgesprochen habe ich es erst vor einem Monat – und das nur intern mit dem DFB-Trainerteam.
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ist also eingeweiht?
Richtig.
Wie hat sie reagiert?
Sie war sprachlos, aber sie hat meine Entscheidung respektiert. Im ersten Moment fehlten ihr wirklich die Worte, deswegen bot ich ihr an, eine Woche später noch mal zu telefonieren. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass ich mit ihr immer über alles offen sprechen kann. Von ihr kam dann auch das Angebot, ein Länderspiel als Abschiedsspiel zu deklarieren. Das empfinde ich als schöne und besondere Geste von ihr und dem DFB.
Wie wird das konkret ablaufen? In Sittard am Karfreitag gegen die Niederlande sitzen Sie auf der Bank und laufen dann in Nürnberg am 11. April das letzte Mal für Deutschland auf?
Genau im Detail haben wir es noch nicht besprochen. Ich werde auf jeden Fall den kompletten Lehrgang mitmachen. Ob ich dann gegen Brasilien von Beginn an spiele oder reinkomme, entscheide nicht ich. Es ist wie früher auf dem Bolzplatz: Wenn mich jemand aufstellt, mache ich sofort mit (lacht).
Sie waren zuletzt nach dem EM-Finale beim Team. Was sagen Sie zur Entwicklung?
Es war in England wirklich toll, dass diese Mannschaft so befreit so schönen Fußball gespielt hat. Das erleichtert die Situation auch für mich, weil ich sehe, dass die Mädels es super machen. Ich werde ein Riesenfan von ihnen bleiben.
An den letzten Titeln bei der EM 2013 und dem Olympiasieg 2016 waren Sie aktiv beteiligt. Was bedeutet Ihnen das?
Die EM 2013 war mein erstes großes Turnier mit der A-Nationalmannschaft, und wir haben gleich gewonnen. Von meinen ersten Olympischen Spielen kam ich mit der Goldmedaille nach Hause und hatte im Finale das entscheidende Tor geschossen. Das hätte man sich schöner nicht vorstellen können. Ich bin stolz und dankbar: Was ich mit der Nationalmannschaft erlebt habe, ist unbeschreiblich – vor allem die Menschen, die ich dadurch kennengelernt habe, obwohl ich auch Turniere erlebt habe, die sportlich nicht so gelaufen sind, wie wir uns das vorgestellt haben.
Sie gelten bis heute als Deutschlands Fußballerin mit den besten technischen Anlagen. Wie viel war davon Talent und wie viel Training?
Wenn man meine beste Freundin aus dem Saarland fragen würde, wüsste sie genau, wie viel Zeit sie mit mir auf dem Bolzplatz verbringen musste! (lacht). Ich habe den Fußball im Blut: Mein Vater war Profi, mein Bruder war auch ein überragender Kicker. Aber das alleine reicht nicht aus. Ich war nach der Schule, bis abends die Laternenlichter ausgegangen sind, auf dem Bolzplatz und habe mich gegen Jungs, die vier, fünf Jahre älter waren, durchgesetzt. Ich habe dazu oft Youtube-Videos geschaut, um die Tricks von Ronaldinho und Ronaldo nachzumachen. Es steckt viel Arbeit dahinter, ich trainiere bis heute sehr viel. Und ohne meine Familie hätte ich das nicht geschafft: Es ist nicht selbstverständlich, dass sie immer für mich da waren. Wenn ich meine Eltern in einem Stadion sehe und ihre Augen leuchten, ist das ein Grund, warum ich noch heute Fußball spiele: Weil ich weiß, wie stolz ich sie damit machen kann.
Ist solch eine enge Bindung zu den Eltern auch die Bedingung, dass wieder mehr Mädchen Fußball spielen?
Schwierig zu sagen. Klar hatte ich die Motivation durch meinen Vater und meinen Bruder, dem ich immer folgen wollte. Das macht es sicher einfacher, aber am wichtigsten ist es, einen Sport zu lieben. Es muss vom Herzen kommen, wenn Mädels zum Fußball gehen.
Im Fußball der Frauen ging es zuletzt oft um mehr Wertschätzung, bessere Bedingungen und vielleicht auch dieselben Prämien wie bei den Männern. Wo hat sich denn wirklich mehr getan: beim Equal Play oder Equal Pay?
Wenn ich zehn Jahre zurückschaue, hat sich der Frauenfußball in allen Bereichen enorm entwickelt, aber es ist auch überall noch Luft nach oben. Das wissen wir, das sehen wir, auch wenn wir vielleicht nie da hinkommen, wo die Männer sind. Ich habe das Glück, dass es bei Olympique Lyon sehr professionell zugeht, aber bei manchen Auswärtsspielen sind die Bedingungen wirklich noch unterirdisch. Es kann auch nicht sein, dass eine professionelle Spielerin nebenbei noch arbeiten muss. Wir haben hier bei kleineren Vereinen in Frankreich übrigens dieselben Probleme wie in Deutschland. Und auch in England haben nicht alle die Voraussetzungen, die Manchester City, Arsenal oder Chelsea bieten.
Von Ihnen war zu solchen Themen eher selten etwas zu hören. Warum?
Ich finde es einfach nur schade, dass wir einen Zirkus veranstalten müssen, um respektiert zu werden. Irgendwann hat man die Nase voll! Die Kanadierinnen haben lila Trikots angezogen, um ausstehende Zahlungen einzufordern. Es ist doch krass, was wir immer wieder anstellen müssen, um Anerkennung und Sichtbarkeit zu erfahren. Das macht mich müde.
Welche sportlichen Ziele haben Sie noch?
Diese Saison möchte ich mit Lyon mit so vielen Titeln beenden wie möglich und gesund bleiben – und dann schaue ich, was die Zukunft noch bringt.
Ihr Vertrag läuft aus, aber Sie wollen nicht mit dem Vereinsfußball aufhören?
Ich möchte noch ein paar Jahre kicken. Aber es ist noch nicht entschieden, wo ich weiterspiele. Ich halte mir da wirklich alles offen und werde mir alle Angebote mit meinem Berater in Ruhe anhören.
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