Guter Rap, schlechter Rap

Je populärer, desto kriegsrelevanter: Der russische Staat begutachtet die Loyalität der Musikszene

  • Ewgeniy Kasakow
  • Lesedauer: 4 Min.
Egor Kreed war vor Kurzem noch Elternschreck, jetzt trägt er Kindern Staatspropaganda vor.
Egor Kreed war vor Kurzem noch Elternschreck, jetzt trägt er Kindern Staatspropaganda vor.

Wadim Schumkow, Gouverneur des Gebiets Kurgan, ist überzeugt: Depressionen und Suizide nehmen zu, weil viele »unserer Kinder und Enkel des Siegervolkes« nun mit Liedern der »Nachfahren afroamerikanischer Sklaven« aufwachsen. Gemeint ist damit der Rap, die populärste Musikrichtung bei Russlands Jugendlichen. Mit seinem Ressentiment gegen die westliche Massenkultur befindet sich der Politiker von »Einiges Russland« einerseits im Trend der Zeit und kommt dennoch vier Jahre zu spät. Im Trend ist Schumkow, weil seit Kriegsbeginn beliebte Musiker zunehmend auf ihre politische Loyalität getestet werden, zu spät, weil auch Rap für die Mobilisierung zum Krieg eine Rolle spielt.

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Rapmusik schon früher im Fokus des Staates

Rückblick: Ende 2018 rollte eine Welle von Konzertverboten durch Russland. Vorausgegangen war die Empörung von Politikern und Eltern über den angeblich schädlichen Einfluss der Songtexte auf Minderjährige. Eine Zeit lang gerieten vor allem Rapper ins Visier der Sittenwächter. Nachdem aber Präsident Wladimir Putin ein Machtwort sprach und sich für die Integration der populären Musikrichtung in die »patriotische Erziehung« aussprach, endete die Hetzkampagne abrupt und das Thema schien vergessen zu sein.

Doch mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine wurde die Debatte um den Einfluss von Musikern mit neuer Schärfe wieder entfacht. Seitdem gehen Gesetzesverschärfungen, die Kunstschaffende für ihre politischen Positionierungen sanktionieren und Forderungen nach mehr Nationalmoral in der Populärkultur Hand in Hand.

Neu ist auch das nicht. Bereits seit 2014 haben sich Russland und die Ukraine einen regelrechten Sanktionswettbewerb gegen Musiker geliefert, die beim »Feind« auftreten. Für viele Künstler, die ihre Fangemeinde in den postsowjetischen Staaten und der russischsprachigen Diaspora haben, wurde das zunehmend zu einem Dilemma. Ein Auftritt auf der Krim etwa bedeutet Konzertverbot in der Ukraine. Weigert man sich, wird der Zugang zu vielen russischen Bühnen und den lukrativen TV-Auftritten versperrt.

Wer oppositionell ist, muss vom Ausland finanziert sein

Neu hingegen ist, dass Moskau missliebige Musiker ins Register der »ausländischen Agenten« aufnimmt. Die Message an die potenziellen Unruhestifter ist klar: Der Staat kann ihre Lebensumstände jederzeit ohne Gerichtsbeschluss massiv verschlechtern. Die Einstufung als »ausländischer Agent« ist auch eine Botschaft an das Publikum: Oppositionelle Positionen sind immer Frucht der Finanzierung aus dem feindlichen Ausland. Wer gegen Russland ist, hat sich kaufen lassen.

Die Vorstellung aber, Menschen seien allein aus finanziellen Gründen gegen den russischen Staatskurs, ist für Putins Regime ebenso so konstituierend wie fatal. Konstituierend, weil im Weltbild der russischen Führung alle Proteste auf der Welt, ob Maidan, MeToo, Black Lives Matter oder der Arabische Frühling einzig auf die Intention vermeintlicher Strippenzieher im Hintergrund zurückgeführt werden. Fatal, weil diese Welterklärung im Widerspruch zur Realität steht und zu Fehlentscheidungen führt.

Auf der Liste der »ausländischen Agenten« finden sich mittlerweile einige namhafte Musiker, wie der Rapper Oxxxymiron, das Popwunder der 2000er Jahre Zemfira und die Newcomerin Monetotschka. Andere, wie der Rapper Face oder Ilja Pruskin, Sänger der Band Little Big, bekamen schon während der Kampagne 2018 Schwierigkeiten. Während Noize MC schon immer offen oppositionell auftrat, galt Rapperkollege Morgenstern dagegen lange Zeit eher als unbedarft und oberflächlich. Jetzt sind sie alle mit dem Stigma des »Agentenstatus« markiert und zehren dadurch auch von ihrem Image als Opfer der Repression.

Rapper werden zu Propagandisten

Einige Musiker, die 2018 noch Zielscheibe der staatlichen Kampagne waren, treten nun in vorderster Front der Z-Progaganda auf (in Anpielung auf den von russischen Truppen zur Markierung verwendeten Buchstaben Z). Rapper Husky meldete sich freiwillig zum Einsatz im Donbass. Egor Kreed, vor ein paar Jahren noch Schrecken vieler »besorgter Eltern«, die ihm Satanismus und Drogenverherrlichung vorwarfen, ist jetzt Vorbild für Schüler. Bei den »Gesprächen über wichtige Themen«, einer Pflichtveranstaltung an Schulen, bringt er Jugendlichen im Auftrag des Bildungsministeriums patriotische Haltung bei.

Patriotische Jugend und vor allem patriotische Massenkultur hat auch der Duma-Abgeordnete, Schriftsteller und Veteran diverser lokaler Konflikte, Sachar Prilepin, im Sinn. Dafür hat Prilepin, Mitglied der »linksnationalistischen« Partei »Gerechtes Russland – Patrioten – Für die Wahrheit« einen eigenen Pool an loyalen jungen Künstlern aufgebaut und arbeitet systematisch an ihrer Etablierung. Der Schriftsteller träumt von einer bevorstehenden »Kulturrevolution«, bei der Patrioten das prowestliche Establishment ersetzen sollen. Dafür kämpft Prilepin, der selbst schon ein Rap-Album aufgenommen hat, wortwörtlich an allen Fronten. Angeblich soll er bereits seit November in der Ukraine sein.

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