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Lehre und Forschung: »Kaum mehr zumutbare Arbeitsbedingungen«

Nachwuchswissenschaftler*innen sollen nur noch kürzer befristet angestellt werden dürfen. Doch dagegen regt sich Widerstand

  • Christopher Wimmer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wissenschaftler*innen laufen Sturm gegen eine geplante Gesetzesänderung der Bundesregierung. Das Bildungsministerium hat jüngst Vorschläge zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) vorgelegt. Seit 2007 regelt das Gesetz für »wissenschaftliches und künstlerisches Personal« an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, wie lange deren Arbeitsverträge befristet werden dürfen.

Befristungen stellen in der Wissenschaft die Regel dar. 80 Prozent der Beschäftigten in der Wissenschaft, ausgenommen der Professor*innen, arbeiten laut dem Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs in befristeten Verhältnissen. Das WissZeitVG begründet dies damit, dass sich Promovierende und »Post-Docs«, Wissenschaftler*innen nach ihrer Doktorarbeit, in der wissenschaftlichen Qualifikation befinden. Dazu kommt der weit verbreitete Glaube, dass durch Fluktuation größere Innovation entstehe, also dass ein steter Wechsel der Stellen neue Impulse in die Forschung bringen würde.

Die vorgelegten Eckpunkte der Regierung sehen nun für die Phase vor der Promotion vor, dass der erste geschlossene Arbeitsvertrag eine Mindestlaufzeit von drei Jahren haben soll. »Das reicht nicht aus, da Promotionen heute im Schnitt vier bis fünf Jahre dauern«, sagte dazu Sylvia Bühler vom Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi. »Es muss verhindert werden, dass gerade in der Abschlussphase Arbeitslosigkeit und damit der Abbruch der Promotion drohen.«

Ein weiterer Vorschlag des Ministeriums lautet, Post-Docs nicht mehr für sechs Jahre in befristeten Arbeitsverträgen anzustellen, sondern nur noch für maximal drei Jahre. »Unser Ziel ist, die Arbeitsbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in frühen Karrierephasen zu verbessern«, sagte die Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) bei der Vorstellung der Vorschläge. Mit der Reform schaffe man mehr Verlässlichkeit, Planbarkeit und Transparenz im Wissenschaftsbetrieb.

Anders sieht das die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Ihrer Ansicht dürfte durch die Reform der Druck auf die Wissenschaftler*innen nur noch steigen: »Hochschulen und Forschungseinrichtungen müssten sie drei Jahre früher auf die Straße setzen als heute, denn verbindliche Vorgaben für eine Entfristung danach fehlen«, sagte Andreas Keller, stellvertretender GEW-Vorsitzender. Vielmehr braucht es berechenbare Perspektiven für eine Dauerstelle, so der Gewerkschafter.

Widerstand gegen die Pläne der Regierung regte sich auch bei den Professor*innen, die von den Änderungen selbst gar nicht betroffen sind. Die Münchner Soziologie-Professorin Paula-Irene Villa Braslavsky verbreitete auf dem Nachrichtendienst Twitter eine Erklärung, der sich bislang knapp 600 Professor*innen anschlossen. »Als Professorinnen und Professoren mit Festanstellung protestieren wir gegen die geplante Novellierung«, heißt es in dem Schreiben. Die »kaum mehr zumutbaren Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen drohen sich noch weiter zu verschlechtern«, so die Hochschullehrer weiter. »Der Vorschlag aus dem Hause von Bundesministerin Stark-Watzinger plant eine Verschlimmbesserung der bisherigen Situation durch noch niedrigere Befristungshöchstgrenzen für Post-Docs.«

Seit Jahren gibt es Kritik des Hochschulpersonals an den häufig prekären Arbeitsbedingungen. In den sozialen Netzwerken teilen Betroffene unter dem Hashtag #IchbinHanna ihre Erfahrungen. Eine Folge der gegenwärtigen Lage sei, dass viele Wissenschaftler*innen ins Ausland ziehen würden. Auch die Professor*innen sprechen von einem »brain drain«, einer Abwanderung des talentierten wissenschaftlichen Nachwuchs.

Bereits am vergangenen Sonntag zeichnete sich jedoch ab, dass der lautstarke Protest erfolgreich gewesen sein könnte: Der Vorschlag der Bundesregierung »geht zurück in die Montagehalle« und solle nochmals überarbeitet werden, schrieb Sabine Döring, Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium auf Twitter.

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