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Union Berlin und der Fluch des Fortschritts
Warum sich der ganze Verein um das Kapital seines Erfolgsweges sorgt
Von kleineren Ärgernissen bis hin zu großer Wut – beim 1. FC Union hatte sich in den vergangenen Wochen einiges angestaut. Als Vereinspräsident Dirk Zingler am frühen Sonntagabend freudestrahlend aus der Mannschaftskabine kam, wurde deutlich, wie wichtig die so oft als sehr bedeutend beschriebenen Erfolgserlebnisse sind. Mit 2:0 hatten die Berliner Fußballer Eintracht Frankfurt am 25. Spieltag der Bundesliga besiegt.
Drei Tage zuvor hatte Kapitän Christopher Trimmel so etwas wie einen Hilferuf gesendet. Nach dem 0:3 bei Royal Union Saint-Gilloise hoffte er, dass sowohl der Trainer als auch der Präsident »die richtigen Worte« finden würden. Es war weniger das Ausscheiden im Achtelfinale der Europa League, das alle Berliner geärgert hatte, sondern die Art und Weise der Niederlage in Belgien. Trainer Urs Fischer sah danach sogar das Kapital des Köpenicker Erfolgsweges bedroht, als er forderte, dass seine Spieler wieder als Mannschaft auftreten müssten.
»Wir haben auch heute kein gutes Spiel gemacht«, bekannte Rani Khedira am Sonntag ehrlich. Mit seinem ersten Tor im Union-Trikot hatte der Mittelfeldchef die Berliner nach 53 Minuten in Führung gebracht. Die Freude darüber war ihm anzusehen. Wichtiger waren Khedira nach vier sieglosen Spielen die drei Punkte nach dem spielentscheidenden 2:0 durch Kevin Behrens eine Viertelstunde vor dem Abpfiff: »Der Sieg ist gut für das Gefühl.« Und weil der Trainer wieder eine Mannschaftsleistung loben konnte, kann die dringend benötigte, zweiwöchige Länderspielpause etwas entspannter und halbwegs harmonisch verbracht werden.
Atmosphärische Veränderungen beklagen auch die Fans. »Und wir lieben unsern Klub und wir sind stolz auf ihn, FC Union aus Berlin«, wurde ganz bewusst zum Anpfiff auf der Waldseite angestimmt. Wer zuvor das Stadionheft gelesen hatte, wusste warum. Auf einer ganzen Seite beschrieben die Ultras vom Wuhlesyndikat dort ihre Sorgen. »Enttäuschend« und »unwürdig« nennen sie die Bilder der Heimspiele gegen den 1. FC Köln und Union Saint-Gilloise, als ungewohnt viele Zuschauer direkt nach dem Abpfiff das Stadion verließen. Es mache »wütend, und in einem steigt das Gefühl auf, dass etwas Union-Eigenes mit dem sportlichen Erfolg verloren zu gehen scheint. Nämlich die Demut für all das, was wir gerade erleben dürfen, sowie die Anerkennung und Dankbarkeit gegenüber unserer Mannschaft und dem Trainerteam.«
Wo früher selbst nach Niederlagen das Team mit Applaus verabschiedet wurde, reicht dafür heute kein Punktgewinn, nicht einmal bei einem Europapokalspiel? Trotz der nachvollziehbar »gewachsenen Erwartungshaltung« solle keiner vergessen, wo der 1. FC Union herkomme und was ihn stark mache, fordern die aktiven Fans. Mit der gleichen Argumentation wiegelte Trainer Fischer die vielen unsinnigen Fragen nach der Meisterschaft ab. Es wirkt jedoch, als habe der ganze Verein mit den Auswirkungen der unerwarteten Erfolge zu kämpfen.
Wenn der Mannschaft zuletzt manchmal Dynamik und Kraft gefehlt haben, ist es der großen Belastung geschuldet. Das Spiel gegen Frankfurt war das 15. in den vergangenen acht Wochen. Phasen in einer Saison, in denen es mal schlechter läuft, kennt jedes Team. Wenn Union dann in solch einer Zeit sogar noch Punkte holt wie bei den letzten Unentschieden gegen Schalke, Köln und Wolfsburg, dann geben zumindest die Zahlen kaum Anlass zu großer Kritik. Und so nehmen die Köpenicker als Tabellendritter klaren Kurs auf das nach dem früh erreichten Klassenerhalt neu gesteckte Saisonziel. Der am Sonntag wieder einmal überragende Torwart Frederik Rönnow formulierte es nach dem »ganz, ganz wichtigen Sieg« gegen Frankfurt so: »Wir wollen nächstes Jahr wieder in Europa spielen.«
Das Fazit dieser Europapokalsaison fiel trotz des enttäuschenden Auftritts am vergangenen Donnerstag positiv aus. »Am Ende sind wir uns einig, dass das überragend war«, sagte Kapitän Trimmel. »Stolz« war auch Trainer Urs Fischer und meinte, »dass wir unsere Farben international gut vertreten haben«. Und mit neuer Frische können im kommenden Heimspiel am 1. April gegen den VfB Stuttgart die nächsten Punkte für neue europäische Erlebnisse eingespielt werden.
Ein Problem aber wird auch nach der Pause bleiben. Fischer ändert äußerst selten seine Stammelf. Gegen Frankfurt tat er dies beispielsweise auf der linken Abwehrseite: Dort waren Timo Baumgartl und Niko Gießelmann vor allem in der ersten Halbzeit oft überfordert. Gesetzt ist auch Rani Khedira. Fehlt er, fehlt im Zentrum die Stabilität. Als Paul Seguin für ihn im vorletzten Bundesligaspiel nach gut einer Stunde eingewechselt wurde, kamen die Wolfsburger in den dann offensichtlich größeren Räume vor der Abwehr zu mehr Chancen und letztlich zum Ausgleich. Probleme in der Offensive gibt es, seitdem Sheraldo Becker und Jordan Siebatcheu schwächeln. Mit neu gewonnener Kraft und ohne Dreifachbelastung soll das in den neun verbleibenden Bundesligaspielen funktionieren. Für die neue Saison hat Präsident Dirk Zingler schon größere Investitionen angekündigt.
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