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Konservative Brandmauer nach rechts existiert in Österreich nicht
Natascha Strobl über die neue Rechtskoalition in Niederösterreich
Niederösterreich ist das größte (Fläche) bzw. zweitgrößte (Bevölkerung) Bundesland Österreichs. Es umschließt Wien vollständig und hat viele hübsche Fleckchen. Gerne würde ich an dieser Stelle eine Tourismus-Werbung für Niederösterreich schreiben, doch wir müssen politisch über dieses Bundesland reden. Seit wenigen Tagen hat es eine ÖVP-FPÖ-Regierung und ein Regierungsprogramm an der Grenze zur demokratischen Legitimität.
Aber von vorne: Niederösterreich hat am 29. Januar gewählt. Das Bundesland ist seit jeher in der Hand der allmächtigen niederösterreichischen Volkspartei. Ihre Chefin ist Johanna Mikl-Leitner. Sie war eine der größten Förderinnen und engsten Vertrauten von Sebastian Kurz. Zuvor war Mikl-Leitner Innenministerin, danach ist sie zur niederösterreichischen Landeschefin aufgestiegen. Landeshauptfrau von Niederösterreich ist vielleicht der mächtigste Posten, den man innerhalb der ÖVP erreichen kann. Es ist auf jeden Fall der am besten abgesicherte Posten.
Eigentlich. Denn die jüngste Wahl brachte massive Verluste für die ÖVP. Auch die SPÖ verlor. Große Gewinnerin: die FPÖ. Die Grünen und die liberalen Neos ziehen zwar in den Landtag ein, spielen aber politisch für die Regierungszusammensetzung keine Rolle. Es bleiben also drei Möglichkeiten: ÖVP-SPÖ, ÖVP-FPÖ und SPÖ-FPÖ. Letzteres ist unrealistisch, wird aber von der ÖVP als große Warnung immer wieder genannt.
Die SPÖ stellte ein 5+1-Papier für die Verhandlungen mit der ÖVP vor. Die fünf Punkte: kostenloser Ganztagskindergarten, Job-Garantie für Langzeitarbeitslose, Preis-Stopp bei Heizkosten, Anstellung für pflegende Angehörige, Ortskern-Belebung. Der sechste Punkt betraf regierungsinterne Demokratisierungsmaßnahmen wie Budgethoheit der einzelnen Ressorts. Die ÖVP brach darauf die Verhandlungen ab und präsentierte wenige Tage später das gemeinsame Programm mit der FPÖ. Das ist beachtlich, denn im Wahlkampf schlossen beide Parteien aus, miteinander zu koalieren.
Die FPÖ Niederösterreich ist sogar innerhalb der FPÖ extrem rechts. Das zeigt sich am Personal wie dem Spitzenkandidaten Udo Landbauer. Landbauer musste 2018 als FPÖ-Chef des Bundeslandes zurücktreten, weil aufgedeckt wurde, dass seine Burschenschaft ein recht spezielles Liederbuch in Gebrauch hatte, das unter anderem das Kreta-Lied der Nazi-Fallschirmjäger beinhaltete. Zum Skandal wurde ein zynisch-propagandistisches Lied mit selbstgedichteten Strophen, die folgendermaßen lauten: »Da trat in ihre Mitte der Jude Ben-Gurion: ›Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebente Million‹« und »Da schritt in ihre Mitte ein schlitzäugiger Chines’«.
In einem normalen Land wäre die politische Karriere Landbauers für immer beendet. Österreich ist aber kein normales Land. Und Niederösterreich noch weniger. Nachdem juristisch nichts zu machen war, da verjährt, veranstaltete Landbauer unter großem Wehklagen (»Medienhetze!!!«) sein Comeback – und gewann. Es gab noch ein zweites Liederbuch, das Landbauer aktiv bewarb, das aber nicht für dieselbe Aufmerksamkeit sorgte.
Landbauer ist aber bei weitem nicht die einzige problematische Figur der FPÖ in Niederösterreich. Es gibt da auch noch Andreas Bors, FPÖ-Bezirksobmann im Bezirk Tulln. Von ihm existiert ein Foto mit Hitlergruß. Er ist nun Mitglied des niederösterreichischen Landtags.
Der wichtigste und erste Punkt im Regierungs-Programm von ÖVP und FPÖ lautet bezeichnenderweise: Corona. 30 Millionen Euro werden bereitgestellt, um eine diffuse »Wiedergutmachung« zu finanzieren. Nicht etwa für Pflegekräfte oder Schattenfamilien, sondern für Leute, die achso sehr unter Maßnahmen gelitten oder Garagen-Partys im Lockdown gefeiert haben und dafür eine Strafe zahlen mussten. Weitere wichtige Punkte im Regierungsprogramm: Gendern wird in der Sprache der Verwaltung verboten; und auf dem Pausenhof soll Deutsch geredet werden. Gratis-Kindergarten, ein Preis-Stopp bei Heizkosten oder die Anstellung von pflegenden Angehörigen fanden leider keinen Platz. Prioritäten eben.
Das alles ist sinnbildlich für die FPÖ auch auf Bundesebene, die um nichts weniger rechts ist. Im Wahlkampf mischte Herbert Kickl, Bundesobmann der Rechtspartei, kräftig mit. Da wurden unter Johlen Ohrfeigen für unliebige Politiker*innen gefordert. Mikl-Leitner wurde zur »Moslem-Mama«. Jetzt koaliert sie genau mit diesen Leuten.
Die Brandmauer des Konservatismus zum Rechtsextremismus ist in Österreich nicht existent. In Niederösterreich werden aktiv Brücken gebaut. Damit wird auch eine zukünftige Koalition auf Bundesebene und weitere Angriffe auf Minderheiten sowie demokratische Institutionen wahrscheinlicher.
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