• Berlin
  • Autofreie Friedrichstraße

Autofreunde wollen die Friedrichstraße retten

Die Fußgängerzone sei ohne die Anrainer*innen und nicht zu Ende geplant worden, so die Kritik

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Gaststube im Erdinger-Restaurant am Gendarmenmarkt in Mitte ist prall gefüllt, über hundert Interessierte sind am Mittwochabend zur Podiumsdiskussion des Aktionsbündnisses »Rettet die Friedrichstraße« gekommen. Biergläser werden gefüllt, die Stimmung ist aufgeheizt. »Berlin verkehrt – Wie geht’s weiter mit der Friedrichstraße?« ist das Thema, das die Gäste, überwiegend Gewerbetreibende und Anwohner*innen der nahe gelegenen Friedrichstraße, mit Vertreter*innen aus Politik und Verbänden diskutieren wollen.’

»Leider fehlen die Befürworter der Sperrung«, kommentiert Frank Henkel, Moderator und Vorsitzender des Wirtschaftskreis Mitte, die Absagen der Grünen-Bezirkspolitikerinnen Stephanie Remlinger und Almut Neumann. Damit besteht das Podium dann auch nur noch aus Männern.

Das erste Wort hat jedoch Anja Schröder, Inhaberin des Weinhandels am Gendarmenmarkt und Vorreiterin des Bündnisses, die im vergangenen Jahr gegen die Sperrung der Friedrichstraße für Autos geklagt hatte. »Was uns hier an Fakten vor die Tür gelegt wurde, kann ich nur schwer akzeptieren. Ich liebe dieses Viertel und habe gar keine Lust, mir das mit Verkehrsversuchen kaputtmachen zu lassen«, erklärt sie. Aufgrund ihrer Klage musste die Straße Ende 2022 für drei Monate wieder für den motorisierten Verkehr freigegeben werden.

Seit dem 1. Januar ist sie jedoch wieder »dichtgemacht«, wie Marcel Templin sagt, Schröders Anwalt. Der Bezirk Mitte hatte den Abschnitt zwischen Französischer und Leipziger Straße dann zur Fußgängerzone umgewidmet. Auch dagegen haben Schröder und Templin bereits Widerspruch eingelegt – und im Zweifel werde man bis zum Europäischen Gerichtshof gehen, verspricht Templin. »Es geht nicht darum, gegen Fußgänger und Radfahrer zu sein«, beteuert der Anwalt, »sondern darum, dass das nicht in Abstimmung mit Betroffenen gemacht wurde«.

Das ist die große Anklage des Abends: Die Anrainer*innen seien in die Planungen zur Friedrichstraße nicht einbezogen worden. Dass Gewerbetreibende und Wirtschaftsverbände berücksichtigt worden seien, wie Noch-Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) stets verkündete, »stimmt nicht«, sagt einer der Gäste, Frank Sotola vom Restaurant »Maximilians« an der Friedrichstraße, Ecke Kronenstraße, zu »nd«. Seit die Friedrichstraße autofrei sei, kämen weniger Kund*innen dorthin. Es herrsche »ein halbgarer Zustand in den Nebenstraßen« und gebe nicht genug Parkplätze, kritisiert er. »Es findet Aktionismus statt. Das macht uns sprachlos.«

Der zweite Kritikpunkt: Die Umwidmung sei nicht ordentlich durchgeplant worden. »Ich bin dafür, erst zu planen und dann umzusetzen«, erklärt Lucas Schaal, der bei den Wiederholungswahlen den Friedrichstraßen-Wahlkreis als Direktkandidat der CDU für sich gewann, in einem sonst überwiegend grün gefärbten Bezirk Mitte. Daher wolle er sich dafür einsetzen, dass erst einmal der Zustand vor der Teileinziehung wieder hergestellt und dann gemeinsam über neue Konzepte diskutiert werde. »Konzept heißt nicht: Die Autos müssen raus. Sondern: Wo kann Verkehr gebündelt werden?«, ergänzt Robert Rückel von der Berliner Industrie- und Handelskammer.

Ein weiterer Aspekt, der beim Thema Stadtentwicklung oft diskutiert wird: »Keiner hat darüber nachgedacht, was die historische Mitte für uns bedeutet«, sagt Thomas Lengfelder, Geschäftsführer des Hotel- und Gastronomieverbands Berlin – ohne jedoch zu erklären, was die historische Mitte mit Autos zu tun hat. Michael Gorski, Inhaber des »Maximilians«, verweist gegenüber »nd« auf mangelnde Ästhetik. Die Gestaltung der neuen Fußgängerzone sei »abschreckend«, der Gendarmenmarkt mit einer rot-weißen Barke abgesperrt. Außerdem zeichne sich der Standort durch hochklassige Hotels aus. »Da können die Leute doch nicht mit dem Fahrrad hinkommen«, meint er.

Christian Gaebler, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, verkündet ebenfalls, von dem Projekt nicht überzeugt zu sein. »Auch die Holzklötze werten das nicht auf«, sagt er. »Doch, für die Penner«, ruft jemand und macht damit deutlich, welche Menschen in der historischen Mitte erwünscht sind und welche nicht. In einer Koalition mit der CDU werde es jedenfalls andere Prozesse geben, verspricht Gaebler.

Auf ein Problem, das die Friedrichstraße schon seit Jahren hat, weist Nils Busch-Petersen vom Handelsverband Berlin-Brandenburg hin: »Es ist die Straße mit dem größten Leerstand im Einzelhandel.« Eine Fußgängerzone habe ähnliche Situationen in Köpenick und Wilmersdorf jedenfalls nicht verbessert. Außerdem brauche es »eine Lösung für diesen Unfall in der Charlottenstraße«, die parallel zur Friedrichstraße verläuft und seit der Umwidmung eine reine Fahrradstraße ist. Sie sei aber der einzige Zugang zu 1500 Stellplätzen, was Busch-Petersen »grob fahrlässig« nennt. Das ganze Vorgehen erinnere ihn an DDR-Zeiten.

Ein Hotelier aus der Charlottenstraße teilt diesen Eindruck: »Vor dem Hotelrestaurant herrscht absolutes Chaos. Mitarbeiter und Lieferanten wissen nicht, wie sie die Charlottenstraße benutzen sollen.« Am Ende wird es doch noch einmal kontrovers: Ob denn gar kein Mitglied der Grünen im Raum sei, will eine Junge Liberale wissen. Stefan Lehmkühler von den Grünen in Mitte gibt sich unter den Gästen zu erkennen. »Ist Ihnen bewusst, was Sie bei der jungen Generation auslösen, wenn Partizipation so ignoriert wird?«, wirft die Junge Liberale ihm an den Kopf. Lehmkühler verweist darauf, dass es drei Termine gegeben habe, zu denen Anrainer*innen sich an der Planung der Friedrichstraße beteiligen konnten. Außerdem werde der Bezirk immer noch grün regiert und das Vorgehen sei »demokratisch legitimiert«, erklärt er.

Die anderen Gäste bringen ihr Missfallen zum Ausdruck und bestätigen sich erneut, wie chaotisch der Verkehr nun rund um die Friedrichstraße verlaufe. »Es wird ein ideologischer Kampf gegen das Auto geführt«, behauptet Schaal. Der Widerstand aber hat begonnen. »Das war ein Anfang, das wollen wir fortsetzen«, so Henkel.

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