Innenstädte in NRW: Wenn der Konsum ausbleibt

Die Innenstädte im Ruhrgebiet stehen vor einem Wandel, weil sich das Leben um sie herum verändert hat

  • David Bieber, Duisburg
  • Lesedauer: 7 Min.
Wenn Innenstädte nicht noch mehr veröden sollen wie in Duisburg, braucht es vielfältige Nutzungskonzepte.
Wenn Innenstädte nicht noch mehr veröden sollen wie in Duisburg, braucht es vielfältige Nutzungskonzepte.

Was eint das Ruhrgebiet? Wer an Kohle, Stahl und Schwerindustrie oder an charmante Industriekulissen denkt, verkennt etwas Wesentliches: die öden Innenstädte. Ob in Bottrop, Duisburg, Bochum, Mülheim oder Oberhausen, überall ein ähnliches Bild: viel Leerstand, jede Menge Billigläden und wenig Branchenmix dominieren das Bild der Einkaufsmeilen.

Und seit vergangener Woche ist klar, dass weitere Probleme für die Innenstädte hinzukommen. Der Konzern Galeria Karstadt Kaufhof ist erneut pleite und will 52 Warenhäuser schließen, darunter auch Standorte in Gelsenkirchen, Duisburg, Dortmund und Essen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi warnte vor »verheerenden Folgen für die Innenstädte«.

Wenn jene großen Warenhäuser schließen und dort keine neuen nachhaltigen Nutzungen entwickelt werden, dann büßen die Innenstädte noch mehr an Attraktivität ein. »Die tradierten Nutzungskonzepte der auf Einzelhandel ausgerichteten Innenstädte stehen besonders im Ruhrgebiet unter massivem Druck«, erklärt Torsten Bölting, Sozialwissenschaftler an der EBZ Business School in Bochum, »auch weil hier schon länger eine im Vergleich zu anderen Regionen deutlich schwächere Kaufkraft besteht.« Hinzu kommt noch der für die Einkaufsstädte fatale Trend zum Online-Kauf. Davon zeugt ein großes Verteilzentrum des Giganten Amazon, das im niederrheinischen Rheinberg vor den Toren Duisburgs steht und von dort aus das westliche Ruhrgebiet mit im Internet bestellten Waren versorgt. Wenn der Paketdienst bis nach Hause liefert, stellt sich für viele die Frage, warum sie dann noch in die Innenstadt nach Duisburg zum Shopping fahren sollten.

Für jene, die aber gerne einen realen Einkaufsbummel machen wollen – und sich dies leisten können –, schwindet im Ruhrgebiet überall das Angebot. Viele zieht es daher nach Düsseldorf oder Köln. Manche fahren auch für eine Shopping-Tour ins benachbarte Roermond in den Niederlanden, wo ein sogenanntes Designer Outlet Center (DOC) steht, das Markenware verbilligt verkauft, oder ins »Centro« nach Oberhausen. Das vor knapp 30 Jahren erbaute Einkaufszentrum hat sicherlich nicht zur Belebung der Oberhausener Innenstadt geführt; die Marktstraße in der City erscheint heute seltsam öde.

Einer, der sich mit riesigen Einkaufszentren und ihren Folgen lange und intensiv beschäftigt hat, ist Lars Hoffmann. Der frühere Eigentümer eines Elektronikfachhandels und ehemalige Vorstandsvorsitzende des Handelsverbands Duisburg-Niederrhein hat mit seiner Bürgerinitiative »Ja zu Duisburg – kein DOC« 2017 einen Bürgerentscheid in Duisburg organisiert. Auf dem Güterbahngelände, wo 2010 die tragische Loveparade-Katastrophe geschah, wollte die Duisburger Stadtspitze gemeinsam mit der SPD und CDU ein riesiges Designer Outlet Center entstehen lassen. Dabei verzichtete die Stadt darauf, die Bevölkerung adäquat zu beteiligen. Gegen das Vorhaben kämpfte Hoffmann zusammen mit Verbündeten. Letztlich konnte die Initiative verhindern, dass das Duisburger Stadtzentrum noch weiter geschwächt wurde. »Das DOC wäre sicherlich das Ende der Duisburger Innenstadt gewesen«, sagt Hoffmann während eines Rundgangs durch die City.

Mit dem Aus für das DOC hat sich für die Stadt eine Verpflichtung ergeben, ihr Zentrum zu entwickeln. Darauf pochten insbesondere die damals oppositionellen Grünen. Tatsächlich hat sich seither aber in der City sowohl stadtplanerisch als auch konzeptionell wenig getan. Davon zeugt auch unser Rundgang: Wir schlendern an Billigläden, Nagelstudios und Fast-Food-Imbissen vorbei, die vor allem von jungen Menschen mit Migrationshintergrund aufgesucht werden. Die Innenstadt verliert weiterhin an Attraktivität, in Duisburg, aber auch anderswo.

Das Problem der trostlosen Stadtzentren will jetzt die Bochumer EBZ Business School mit dem Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung angehen. Ein urbanes Institut für Transformation solle gegründet werden, erklärt Bölting. Die Innenstädte müssten neu gedacht werden. Schließlich brächten der demografische Wandel und ein verändertes Kauf-, Freizeit- und Mobilitätsverhalten neue Anforderungen an die Nutzung hervor. Zudem müssten die Quartiere wegen des Klimawandels umgestaltet werden, und auch Wohnwünsche änderten sich. »Innenstädte müssen sich transformieren, Quartiere – ob in der Innenstadt oder anderswo – brauchen andere Nutzungskonzepte, andere Bewirtschaftungsmodelle«, davon ist Bölting überzeugt.

Dazu sollen in Bochum die vorhandenen Kompetenzen aus Sozialwissenschaften und Immobilienwirtschaft künftig gebündelt werden. Die Innenstädte in der Region könnten als »Experimentierfeld« und Blaupause für andere Städte dienen, so die Überlegung. Mit klugen Konzepten, davon ist man an der EBZ überzeugt, könnte das Ruhrgebiet gar ein internationales Vorbild werden. »Die Region ist mit ihren mehr als fünf Millionen Einwohnern eine große Stadt der Quartiere, wenn nicht sogar die größte Experimentierlandschaft in Europa. Hier könnten auch neue Energie- und Mobilitätskonzepte getestet werden«, hofft Bölting.

Anfang Februar fand in Bochum der erste Quartierskongress statt, zu dem Experten aus unterschiedlichen Branchen zusammenkamen. Dort herrschte Einigkeit darüber, dass die historischen Stadtzentren sich im Umbruch befinden. »Wir haben in den Innenstädten zunehmenden Leerstand, wenige Wohnungen, und zugleich wird zunehmend mobil gearbeitet«, konstatierte Daniel Kaltofen, Rektor der EBZ. Dies wiederum führe zu Leerstand von Bürogebäuden – auch bedingt durch die hohen Mieten. Die Krise großer Handelsketten wie Galeria, Görtz und Salamander sorge für verwaiste Ladenzeilen. Und auch mittelständische Fachhändler kapitulierten immer häufiger vor der Übermacht der Online-Giganten und Online-Shops. Der stationäre Einzelhandel werde weiterhin an Bedeutung verlieren, davon sei auszugehen. Für die Städte sei das erst einmal eine schlechte Nachricht, weil ihnen damit nämlich Steuereinnahmen wegbrächen.

Aber ohnehin funktionieren Monostrukturen wie reiner Einzelhandel und Dienstleistungen in den Innenstädten nicht mehr. Vielmehr muss ein Quartiersgedanke entstehen. Dabei geht es um »eine ganzheitliche, integrierte Vorgehensweise bei der Planung und Entwicklung unter Berücksichtigung der Vielfalt an Nutzungen«, erklärt Bölting. Heißt also: Innenstädte müssten vielfältiger werden, da das Einkaufen nur noch ein Teil der Nutzung ist. »Es geht dort auch um Erlebnis, um Entertainment, um Bildung, Arbeit, Produktion und auch Wohnen.« Es brauche einen Nutzungsmix, meint der Sozialwissenschaftler. Aber können die Innenstädte das alles leisten? Das fragt man sich schon angesichts der gegenwärtigen Tristesse.

Wir gehen die Königstraße entlang, die Haupteinkaufsstraße in Duisburg, vorbei an der namhaften Konditorei Dobbelstein neben dem Sparkassen-Klotz. Die Konditorei mit Café besteht seit 1858 und ist bis heute ein Begriff für Güte und Qualität. Hier trank schon Horst Schimanski sein Bier. An diesem Nachmittag sind vor allem Menschen im fortgeschrittenen Alter zu sehen. Kurz vor dem Übergang in die Altstadt liegt die »Königsgalerie«. Sie ist neben dem »City Palais« und dem »Forum«, die beide eher am Anfang der Innenstadt liegen, das dritte Einkaufszentrum. Ein Gang durch die 2011 eingeweihte Passage offenbart viel Leerstand und wenige Besucher. Frühere Mieter beklagten sich, dass für dieses Einkaufszentrum wenig bis nichts getan werde, liest man in der Lokalpresse. Der Eigentümer Klépierre betreibt auch das »Forum«. Daher liege der Verdacht nahe, so frühere Mieter, dass die Firma die »Königsgalerie« ausbluten lasse. Offenbar gibt es in Duisburg ein Überangebot an Einkaufstempeln.

Der Quartierskongress hat nach Auswegen aus der Misere gesucht und mögliche Entwicklungen skizziert: Studenten der Universitäten und Hochschulen des Ruhrgebiets sollten vermehrt in die Citys kommen, dort sichtbarer werden und somit die Innenstädte beleben. Vorlesungs- und Seminarräume könnten in die Innenstädte verlagert werden. Womöglich könnte auch ein Teil der brachliegenden Handelsflächen in Wohnraum umgebaut werden. Und grundsätzlich sollten in Innenstädten weitere Gastronomie- und Freizeitangebote geschaffen werden.

Allerdings ist auf der zweitägigen Tagung sichtbar geworden, dass es am Austausch zwischen den Ruhr-Kommunen fehlt. Es scheint eine Art Silo-Denken von Wirtschaftsförderern, Stadtplanern und der Immobilienbranche zu herrschen, woraufhin die EBZ sich als Vermittlerin angeboten hat.

Orte für einen Austausch gibt es aber auch niederschwelliger auf kommunaler Ebene. Demokratische Teilhabe sei auch bei Bürgerbeteiligungen der Städte sowie Seminaren und Workshops möglich, darauf weist der Bürgerentscheidorganisator Lars Hoffmann hin. Eines scheint klar, wenn man sich mit ihm unterhält: Nur wenn Menschen früh in die Planung und Gestaltung ihrer Innenstädte involviert werden, dann gelingt eine Neugestaltung und Aufwertung. Schließlich müssten sie die Räume annehmen und mit Leben füllen, meint er.

Angesichts der Galeria-Schließungen appellieren Wissenschaftler wie Immobilienexperten jetzt an die Ruhrgebietsstädte, nicht lange zu warten und zentrale Immobilen in den Innenstädten, wie nicht mehr genutzte Warenhäuser, zu erwerben. Dann hätten die Städte es selbst in der Hand, die Nachnutzung nach ihrer Wahl zu gestalten. Das wiederum wirke sich auf die ganze Innenstadt aus. Der Gedanke mag zwar schlüssig sein, aber viele Städte sind finanziell klamm. Ihnen werden für solche Aufkäufe womöglich die Mittel fehlen.

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