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Universitätsklinikum Gießen-Marburg: Ruf nach Entlastung
Beschäftigte am Universitätsklinikum Gießen-Marburg kämpfen zusammen mit Verdi für mehr Personal
Fragt man die Beschäftigten am Universitätsklinikum Gießen-Marburg (UKGM), dann ist oft zu hören, dass es so nicht mehr weitergehen könne. Eine Hebamme im Kreißsaal berichtet von ihrem Arbeitsalltag, wie sie zusammen mit zwei Kolleginnen vier Frauen, die gebären, und weitere, die schon in den Wehen liegen, betreuen muss. Ein Mitarbeiter vom Hol- und Bringedienst der Tochterfirma UKGM-Service weiß zwar, dass er ein wichtiges Rad im Getriebe des Klinikums sei, weil er etwa Laborproben transportiert, doch Wertschätzung erfahre er nur selten. Auch er klagt auf einer Stadtversammlung im Februar in Marburg über eine zu dünne Personaldecke – ebenso wie die Mitarbeiterin von der Intensivstation für Neugeborene, die sogar auf ihre Freizeit verzichtet, wenn es auf ihrer Station einen Engpass gibt. Viele Beschäftigte berichten von Situationen, in denen sie über ihre Grenzen gehen und ihre Arbeit nicht mehr zufriedenstellend machen können. Das Pensum ist für sie einfach zu groß.
Aus dieser Not heraus haben 4163 Beschäftigte aus dem nichtärztlichen Bereich des Universitätsklinikums im Dezember ein 100-Tage-Ultimatum unterzeichnet. Sie fordern einen Tarifvertrag, der sie spürbar entlastet. »Wir brauchen auf den Stationen und in den Abteilungen eine schichtgenaue Regelung für die Besetzung, immer in Relation zu den Patient*innen. Und bei Mehrarbeit einen Belastungsausgleich«, erklärte der Verdi-Gewerkschaftssekretär Fabian Dzewas-Rehm gegenüber »nd«. »Außerdem brauchen wir eine Beschäftigungssicherung.« Mit zwei Warnstreiks Anfang März hat die Gewerkschaft zusammen mit dem Personal ihre Forderung untermauert. Jetzt sind die 100 Tage verstrichen, und ein Streik an Deutschlands einzigem privat geführten Universitätsklinikum rückt näher. Für Montag kündigte Verdi den Ausstand an.
Vertreter des Klinikums und der Gewerkschaft hatten am Donnerstag über einen Entlastungstarifvertrag verhandelt. Doch schon vor dem Treffen hat niemand mit einer Einigung gerechnet, obwohl sich beide Seiten einvernehmlich bessere Rahmenbedingungen für die Beschäftigten wünschen. Während der Verhandlungsführer des UKGM, Gunther Weiß, längere Arbeitszeiten vorschlug, die ja auch Entlastung brächten, verlangte Verdi Neueinstellungen. »Wir brauchen in allen Bereichen Verbesserungen. Nötig sind zusätzliche Arbeitsplätze und verbindliche Personalschlüssel. Auf den Intensivstationen fordern wir beispielsweise, dass eine Pflegekraft anderthalb Patienten betreut.«
Eine solche Regelung sei viel zu teuer, ließ die Klinikleitung vor der Verhandlung über die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« verlauten. Die differenzierten Forderungen von Verdi für jede einzelne Arbeitseinheit seien unerfüllbar. Dies bedeute nämlich, dass 2300 neue Vollzeitstellen geschaffen werden müssten, was mit Kosten in Höhe von 150 Millionen Euro im Jahr verbunden wäre, so der Arbeitgeber. Alle Beteiligten bekräftigten zwar, nach guten Kompromissen zu suchen, aber von einer Einigung sind sie noch weit entfernt.
Noch immer hadert Verdi auch mit der Privatisierung des Universitätsklinikums. Im Jahr 2006 verkaufte das Land Hessen die Krankenhäuser in Gießen und Marburg für 112 Millionen Euro an die Rhön-Klinikum AG und behielt nur noch einen Geschäftsanteil von fünf Prozent. Vor zwei Jahren schluckte der Hamburger Konzern Asklepios wiederum die Röhn AG. »Durch die Privatisierung gibt es hier viele Nachteile, weil Fragen der Wirtschaftlichkeit eine ganz andere Rolle spielen«, sagte der Gewerkschaftssekretär Dzewas-Rehm. »Andere Universitätskliniken in öffentlicher Hand haben bessere Arbeitsbedingungen, weil es dort nicht den Maßstab gibt, schwarze Zahlen zu schreiben. Das sorgt für Druck, der sich auf den laufenden Betrieb auswirkt.«
Auch in der Bevölkerung ist es nicht gerade populär, wenn Gesundheitseinrichtungen wirtschaftlichen Interessen unterworfen werden. Darauf hat Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD) auf der Stadtversammlung hingewiesen. »Die Privatisierung war falsch, ist falsch und bleibt falsch.« Mit der Situation geht das Stadtoberhaupt pragmatisch um. Ziel müsse jetzt sein, Maßnahmen zu ergreifen, um die Situation zu verbessern. Dafür brauche es mehr Personal. »Dass die Beschäftigten das selbst in die Hand nehmen, ist ehrenwert und verdient alle Unterstützung«, sagte Spies. »Hier geht es nicht nur um ein Eigeninteresse, sondern auch um das Interesse der Menschen einer ganzen Region.«
Obwohl die Privatisierung schon länger als eine Dekade zurückliegt, ebben die Forderungen nach einem Rückkauf nicht ab. Die hessische Linke hat vor anderthalb Jahren ein Gutachten präsentiert, das eine Machbarkeit in Aussicht stellt. Doch bei der schwarz-grünen Landesregierung in Hessen fehlt offenbar der politische Wille dafür.
Ganz losgeworden ist das Land das Universitätsklinikum allerdings nicht, obwohl es sich das von einem Verkauf versprochen hatte. Noch immer fließen nämlich Landesmittel. Erst vor wenigen Wochen hat die Landesregierung mit den Konzernen Röhn und Asklepios ein »Zukunftspapier Plus« beschlossen, wonach das Land dem Universitätsklinikum in den kommenden zehn Jahren insgesamt 850 Millionen Euro zukommen lässt, damit an dem Klinikum kein Sanierungsstau aufkommt. Das Geld darf für Baumaßnahmen und neue technische Geräte ausgegeben werden, nicht aber für Personalkosten, wie der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Gunther Weiß, in der »FAZ« betonte. »Dies wäre schlicht Untreue.«
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