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Suche nach dem Krabbenfrieden
Ein mögliches Verbot von Grundschleppnetzen bringt die Fischer an der Nordsee auf die Barrikaden
Jan Möller ist sauer. »Die Nordseeküste und die Krabbenfischerei gehören zusammen«, ist er überzeugt. Der Fischer steht auf einer Bühne auf dem Ankerplatz am Büsumer Hafen und redet sich in Rage. Normalerweise schlendern hier Touristen entlang, genießen ihren Urlaub, kaufen sich ein Krabbenbrötchen und genießen die lokale Spezialität mit Blick auf das schleswig-holsteinische Wattenmeer. Möller sieht diese touristische Idylle bedroht, zumindest jenen Part, der das Krabbenbrötchen betrifft. Deren namensgebende Zutat, die Krabbe, bei der es sich zoologisch korrekt um eine Garnele handelt, könnte bald nicht mehr aus der Nordsee kommen, glaubt er. Nicht nur der Büsumer Krabbenfischer in dritter Generation sieht das so, sondern mit ihm die gesamte Branche.
Drei Tage lang ist diese wortwörtlich in Büsum vor Anker gegangen. Fast 100 Krabbenkutter liegen dicht an dicht im Hafenbecken, so viele hat die Kleinstadt an der Westküste im Landkreis Dithmarschen seit den Hochzeiten der lokalen Fischerei nicht mehr gesehen. Das ist lange her, der Höhepunkt war bereits in den 40er Jahren überschritten. Landesweit gibt es laut Landwirtschaftskammer noch 80 Krabbenfischer im Haupterwerb, als ihre wichtigsten Heimathäfen in Schleswig-Holstein gelten neben Büsum auch Husum und Tönning. Entlang der deutschen Nordseeküste existieren insgesamt rund 160 Betriebe, die Mehrzahl in Familienhand. Festgemacht hatten in Büsum vergangene Woche auch Krabbenfischer aus Niedersachsen, Dänemark und den Niederlanden. Ihr Ziel: Gehör bei der Agrarministerkonferenz zu finden, die von Mittwoch bis Freitagnachmittag in einem schicken Hotel, dem »Lighthouse«, direkt am Hafen tagte.
Die Wut der Krabbenfischer richtet sich gegen einen im Februar von der EU-Kommission vorgelegten »Aktionsplan zur Erhaltung der Fischereiressourcen und zum Schutz der Meeresökosysteme«. Besonders großen Zorn löst jener Passus des Papiers aus, in dem die Kommission vorschlägt, bis spätestens 2030 die Fischerei mit Grundschleppnetzen in Meeresschutzgebieten zu untersagen. Erste Maßnahmen sollten bereits ab März 2024 greifen.
Das Problem aus Sicht der deutschen Fischerei: Rund 70 Prozent ihrer Fanggründe für Nordseegarnelen liegen im Nationalpark Wattenmeer und Natura-2000-Gebieten, das sind Lebensräume, die auf Grundlage von EU-Richtlinien unter Schutz stehen. »Wird der Aktionsplan umgesetzt, käme das einem Berufsverbot gleich«, fürchtet Möller, der die Krabbenfischer auch ehrenamtlich im Landesfischereiverband Schleswig-Holstein vertritt.
Damit dieses Worst-Case-Szenario nicht eintritt, machen die Krabbenfischer seit Wochen mobil, der dreitägige Protest in Büsum ist nur ein erster Höhepunkt. Vor allem aber ist er ein öffentliches Signal, dass die Fischer – tatsächlich sind es bis auf wenige Ausnahmen Männer, die den harten und rauen Job machen – bereit sind, sich vehement gegen die EU-Pläne zu wehren. In Büsum ertönen deshalb immer wieder die Nebelhörner der Kutter zu einem Konzert, 20 Schiffe fahren am Donnerstag zu einer Demo raus auf die Nordsee, kreuzen für eineinhalb Stunden vor der Küste, einige Fischer zünden dabei rot leuchtende Signalfackeln an. Dass es nicht noch mehr Kutter sind, liegt am Wetter und dem Meer: Der Westwind lässt das Hochwasser der Flut schneller und höher als normal auflaufen, weshalb das Sperrwerk seine Fluttore schließen muss, die den Hafen schützen. Nordsee, das bedeutet eben immer auch ein Leben mit der Natur und den Gezeiten.
Die Krabbenfischer sind überzeugt, das Weltnaturerbe Wattenmeer zu schützen. »Wir sind Teil der Lösung«, ruft Möller von der Bühne und erntet dafür Applaus. Die Lokalpolitik wissen die Krabbenfischer ohnehin hinter sich: »Es geht um Existenzen, es geht um Identität und Kultur«, sagt Veronika Kolb (FDP), stellvertretende Dithmarscher Kreispräsidentin. Unisono klingen die Töne aus dem benachbarten Nordfriesland, wo es in Husum jeden Herbst mit den Krabbentagen sogar ein Fest gibt, das den nicht einmal zehn Zentimeter großen Meerestieren gewidmet ist. Am Freitag beschloss der nordfriesische Kreistag eine Resolution gegen ein mögliches Verbot von Grundschleppnetzen in Meeresschutzgebieten. Ein Antrag der Grünen und des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW), die Resolution zumindest um den Zusatz zu ergänzen, dass der Kreistag den »Aktionsplan der EU zum Schutz der Biodiversität im Meer« begrüßt, fand keine Mehrheit. Die grundsätzliche Skepsis gegenüber Brüssel wiegt in diesen Wochen schwer an der Westküste in Schleswig-Holstein.
Längst nicht immer geht es bei den Protesten in Büsum sachlich zu. In die Existenzsorgen mischen sich Ressentiments und populistische Töne. An einigen Kuttern hängen Banner, auf denen es fordernd heißt: »Grüne Welle brechen.« Eine Prozession aus Fischern trägt zur Melodie des Westernklassikers »Spiel mir das Lied vom Tod« einen Holzsarg, der mit den Schiffskennungen von Krabenkuttern beschriftet ist, durch die Menge zur Bühne. Auf dem Deckel steht: »Von den Grünen zu Grabe getragen.« Die Partei scheint für die versammelten Fischer und auch Landwirte Projektionsfläche für alles zu sein, was aus ihrer Sicht falsch läuft. Nüchtern gesehen ist das reichlich übertrieben: Der scharf kritisierte Aktionsplan stammt von der EU-Kommission und nicht den Grünen, Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özedemir – kaum ein Jahr im Amt – hat zudem längst erklärt, ein Pauschalverbot von Grundschleppnetzen in Schutzgebieten nicht zu unterstützen. Die Agrarministerkonferenz sieht das am Ende genauso, dazu fällt am Freitag ein einstimmiger Beschluss. »Wir müssen Schützen und Nutzen zusammenbringen – ausgewogen und differenziert«, sagt Özdemir. Am Vortag stellte sich der Bundeslandwirtschaftsminister sogar einer Debatte mit den vor dem Tagungsort protestierenden Fischern und Landwirten. Beide Berufsgruppen hatten sich für die Proteste in Büsum zusammengeschlossen, gemeinsam erhoffen sie sich mehr Gehör.
Unproblematisch ist das nicht: Vereinzelt wehen auf der Kundgebung Fahnen der Landvolkbewegung, leicht zu erkennen an ihrem Symbol, das einen weißen Pflug und ein rotes Schwert auf schwarzem Grund zeigt. Im letzten Jahrhundert war die Landvolkbewegung in Schleswig-Holstein ein völkischer und antidemokratischer Zusammenschluss, der als ein Wegbereiter der Nazis im ländlichen Raum galt. Seit 2021 taucht ihr Symbol bei Bauernprotesten wieder verstärkt auf. In Büsum ist das teilweise anschlussfähig: Manche Beiträge – besonders jene bäuerlicher Vertreter – durchziehen Pauschalkritik an der EU, der Politik im Allgemeinen, dem urbanen Leben oder der Energiewende.
Seitens der offiziellen Verbände und besonders der Fischereilobby ist man jedoch stärker um sachliche Töne bemüht. In Büsum tritt auch eine Vertreterin des Marine Stewardship Council (MSC) auf, einer gemeinnützigen Organisation, die Siegel für Produkte vergibt, die aus nachhaltiger Fischerei stammen sollen. Mit dem MSC-Logo werben dürfen seit 2017 auch die deutschen Nordseekrabbenfischer, für sie einer der wichtigsten Belege dafür, dass Grundschleppnetze keine großen Schäden in der Nordsee anrichteten. Überhaupt hätten die Fischer in den letzten Jahren – teils wissenschaftlich begleitet – viel dafür getan, ihre Fangmethode zu verbessern. Dadurch würde nicht nur der Beifang, also andere Lebewesen, die eigentlich nicht in den Netzen landen sollen, reduziert, sondern auch der Schaden für den Meeresboden minimiert. Dazu gehen die Meinungen jedoch weit auseinander: Die Krabbenfischer sagen, ihre Schleppnetze wühlten den Grund kaum auf, Umwelt- und Naturschutzverbände sehen die Auswirkungen viel kritischer.
Die Grundschleppnetzfischerei muss vollständig aus allen Meeresschutzgebieten ausgeschlossen werden, fordert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Beim WWF sieht man es genauso. »Die Krabbenfischerei profitiert schon lange Zeit von gesetzlichen Ausnahmen und hat sich in der Vergangenheit viel zu wenig bewegt. Das muss sich jetzt zwingend ändern«, so Heike Vesper, Geschäftsleiterin Transformation beim WWF Deutschland.
Regional mitten drin in der Debatte steckt auch die Schutzstation Wattenmeer. Der Naturschutzverein unterhält entlang der schleswig-holsteinischen Nordseeküste sowie auf den Inseln und Halligen Informationszentren, insgesamt sind es 17 Stationen. Neben der Aufklärung über das Leben im Weltnaturerbe gehört es ebenso zu den Aufgaben des Vereins, Veränderungen in dem sensiblen Ökosystem zu dokumentieren.
Auch in Husum leiten die Naturschützer eine Station. Das Nationalpark-Haus befindet sich in einem für die Region typisch mit rotbraunen Ziegeln verklinkerten Gebäude direkt am Husumer Hafen. Keine drei Gehminuten von hier entfernt liegen Krabbenkutter vor Anker. »Wir begrüßen den EU-Aktionsplan ausdrücklich«, erzählt Barbara Ganter, Bereichsleiterin Naturschutz bei der Schutzstation Wattenmeer. Anders als die Fischer bei ihren dramatisch inszenierten Protesten in Büsum geht die Biologin nicht davon aus, dass die Krabbenfischerei verschwindet, geschweige die Kommissionsvorschläge eins-zu-eins umgesetzt werden. »Wir sehen natürlich auch, dass sich die Krabbenfischer hier bei uns an der Küste in einer Spezialsituation befinden, weil sie fast ausschließlich in Schutzgebieten fischen. Das ist ein Problem. Aber dafür werden sich Lösungen finden lassen. Es gibt nicht nur null oder 100 Prozent«, sagt sie pragmatisch, stellt aber auch klar: »Wenn eine Fischerei auf Dauer möglich sein soll, braucht es auch mehr Zonen, wo sich Fische ungestört entwickeln können.«
Tatsächlich nutzungsfreie Gebiete gibt es im Wattenmeer laut Ganter viel zu wenige. Dazu muss man wissen: Der Nationalpark ist in zwei Schutzzonen aufgeteilt, wobei selbst in den am strengsten geschützten Gebieten (Schutzzone 1) Krabbenfischerei größtenteils erlaubt ist. Frei von jeglicher Nutzung durch den Menschen sind bisher offiziell gerade einmal drei Prozent des Nationalparks, laut Bundesnaturschutzgesetz müssten es aber mindestens 50 Prozent sein. »Seit 40 Jahren tut sich hier nichts«, kritisiert Harald Förster, Geschäftsführer der Schutzstation Wattenmeer. Fast wirkt er ein wenig resigniert, weil sich bisher so wenig getan hat. Förster verweist auf eine Studie des WWF aus dem Jahr 2018, wonach die Krabbenfischerei fast im gesamten Wattenmeer stattfindet. Für das Ökosystem habe das erhebliche Folgen, neben dem viel zu hohen Beifang werde der Meeresboden durch die Grundschleppnetze geschädigt. »Da gibt es keine Sandkorallen, Blumentiere und Seemooswiesen mehr, die sind einfach wegrasiert«, sagt Förster.
Auch das von den Krabbenfischern angeführte MSC-Siegel sei »nicht so toll, wie es sie sich anhört«, erklärt Ganter. Zwar schaue die Zertifizierung darauf, dass durch die Fischerei keine bedrohten Arten gefährdet werden und auch die Bestände der befischten Arten erhalten bleiben. »Völlig außer Acht lassen sie jedoch, dass in Schutzgebieten eigentlich andere Regeln gelten sollten als in nicht geschützten Gebieten. Doch für MSC spielen Schutzgebiete keine Rolle«, so die Biologin.
Förster begrüßt den EU-Aktionsplan, besonders weil damit der Druck für die Krabbenfischerei steige, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Gesprächsformate gibt es längst, etwa den seit 2017 existierenden Krabbenfischereibeirat Schleswig-Holstein. Darin vertreten sind neben den Fischern auch die im Nationalpark tätigen Naturschutzverbände, die Fischerei- und Naturschutzbehörden sowie die Parkverwaltung. Ziel des Gremiums ist es, die Krabbenfischerei im Wattenmeer nachhaltiger zu gestalten und Empfehlungen für das Landesumweltministerium auszuarbeiten. »Das ist im Moment das wichtigste Instrument, das wir haben«, sagt Förster. Er geht davon aus, dass die nun anstehenden Diskussionen um eine mögliche Beschränkung der Fischerei mit Grundschleppnetzen auch dort stattfinden werden.
Leicht werde die Verhandlungen nicht, glaubt der Geschäftsführer der Schutzstation Wattenmeer. Aktuell seien die Krabbenfischer nicht bereit, auch nur auf wenige Hektar an Fanggründen zu verzichten. Hoffnung macht Förster jedoch ein Beispiel aus der Vergangenheit. Beim sogenannten Muschelfrieden von Tönning erzielten Fischer, Naturschutz und Politik 2015 nach anderthalbjährigen Diskussionen eine Einigung darüber, wie die Miesmuschelnutzung im Nationalpark Wattenmeer aussehen dürfe. »Da kämpfte man um jeden Priel«, erzählt Förster. Gemeint sind Wasserläufe im Watt, die auch bei Ebbe nicht trockenfallen. Federführend am Muschelfrieden beteiligt war jemand, den die Fischer heute noch kritischer als damals sehen: der Grünen-Politiker Robert Habeck, 2015 Landwirtschafts- und damit auch Fischereiminister in Schleswig-Holstein. »Man muss auch jetzt wieder verhandeln«, ist Förster überzeugt.
Und die Krabbenfischer? Die zeigten sich zumindest bei ihren Protesten in Büsum nicht kompromissbereit, zumindest wenn man die Worte von Fischer Jan Möller ernst nimmt. Er stellte klar: »Ich werde keinen Quadratmeter an Fanggebieten mehr hergeben.«
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