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Kakaoanbau in Mexiko: Alles wird zur Ware
Korrupte Behörden, Drogen und ein Pilz machen den Kakao-Bäuerinnen und -Bauern im südlichen Mexiko das Leben schwer
Das Knacken und Knistern der Blätter und kleinen Zweige reiht sich ein in die Symphonie des Urwalds. Marilena läuft voraus, mit festen Schritten, die Machete in der Hand und der holzfarbene Hut auf dem Kopf. Sie hebt eine in der Mitte durchgeschnittene Plastikflasche vom Boden auf, tunkt sie ein und füllt das Gefäß mit einer braunen Brühe. »Das hier ist unser organischer Dünger«, grinst Marilena, wie María Elena Jimenez Crispín meist genannt wird. Die 59-Jährige mit sehr aufrechter Körperhaltung läuft zu verschiedenen Bäumen, senkt die Flasche mit dem Flüssigdünger vorsichtig und gießt.
Klein gemahlene Steinchen, Asche und Jauche werden zusammengemischt. Seit Generationen bewirtschaftet die Familie Crispín ihre vier Hektar Kakao. Das mineralreiche Gemisch nährt die Kakaofrüchte, belastet die Umwelt nicht – und kann zudem fast umsonst selbst hergestellt werden. Die Kleinbäuer*innen sind stolz darauf, mit und nicht gegen die Natur zu leben. Daniel Dominguez Hidalgo schaut zufrieden in die Runde, pH-Wert sieben wäre optimal, die Böden in der Region Soconusco seien in der Regel etwas säuerlicher. Er rückt seine rote Regierungsmütze zurecht, um den Sonnenschutz zu justieren. Dominguez ist Ingenieur und beim Landwirtschaftsministerium tätig. Nur das Astwerk bietet Schutz vor der schwülen Hitze hier in Huixtla, nahe der Grenzstadt Tapachula, unweit der Grenze zu Guatemala. Auch der Kakao braucht Schatten – nicht zu viel, nicht zu wenig. Dominguez mustert eine Kakaofrucht, prüft und zögert. Dann reißt er sie ab. Das gehört gewissermaßen zu seinem Job. Er hilft und berät Kleinbäuer*innen, gibt Workshops, observiert das Erntegeschehen.
Die Frucht nimmt er zur Inspektion an den großen Tisch. Was er beim Anblick schon vermutet hat, bestätigt sich: Monilia. Hinter diesem Begriff mit dem schönen Klang steckt ein für die Kakaofamilie fieser Pilz. Die Sporen dringen in die Kakaofrucht ein, nähren und laben sich an ihr und lassen sie von innen heraus verfaulen. Genau das ist problematisch: Wenn die ersten Anzeichen des Schädlings zu erkennen sind, ist es schon zu spät.
Daniel Dominguez sitzt am Tisch, erinnert sich und lacht. Er war damals, 2006, der Erste, der die Monilia-Plage in der Region entdeckte: »Deshalb wurde ich anfangs beschuldigt, den Schädling eingeschleppt zu haben.« Seit 2003 arbeitete der Ingenieur bei der Schädlingsüberwachung.
Theorien, wie der Pilz ins Land kam, gibt es viele. Was sicher ist: Monilia hat es sich bequem gemacht und wird nicht gehen. Die Bekämpfung ist zur Daueraufgabe geworden. Die Pflanzen müssen ständig beschnitten, kranke Früchte so früh wie möglich entfernt werden. Der Pollenflug des Pilzes kann zudem andere Früchte anstecken. Daher muss für eine gute Luftzirkulation gesorgt werden. Viele Kleinfamilien in der Gegend haben mehr als die Hälfte ihrer Ernte verloren. Dank der Beratung der Agraringenieure ist die Plage mittlerweile einigermaßen unter Kontrolle.
Das kollektive Krebsgeschwür
Das Schlagwort Drogenkrieg fällt in Mexiko meist in Verbindung mit nördlichen Bundesstaaten wie Sinaloa, Jalisco oder Tamaulipas. Doch seit einiger Zeit sind kriminelle Gruppen auch im äußersten Süden Mexikos aktiv. Wer mit den vollgestopften Kollektivbussen durch die Provinz fährt, erwartet in dieser Gegend eigentlich hölzerne Marimba-Klänge oder Cumbia-Rhythmen. Stattdessen dröhnen Gesänge aus dem äußersten Norden des Landes aus den Boxen. Die Band Tucanes de Tijuana besingt in einem für die Narco-Kultur berühmten Corrido das Leben als Menschenhändler. Narco-Kultur bedeutet, dem Lebensstil der Drogenkriminellen nahe sein oder imitieren zu wollen. Die Jungs am Steuer finden das so toll, dass sie das Lied in Dauerschleife spielen.
Proportional zu den Höhenmetern wächst das Misstrauen. Hoch oben in der Sierra wird man kritisch beäugt. Statt herzlichem Palaver quittieren die Bergbewohner*innen die Anwesenheit mit einem barschen: »Was wollt ihr hier?« Untypisch für Mexiko, aber es hat seinen Grund: In der Gemeinde Motozintla köpften Kartellmitglieder kürzlich fünf verfeindete Kartellmitglieder. Das Video stellten sie später ins Netz.
Auch die jährliche Messe für Handel, Kultur und Sport wurde abgesagt – ohne offizielle Begründung. Doch hier weiß jeder, weshalb sie nicht stattfindet. Die Menschen gehen kaum mehr aus dem Haus, kurz vor Sonnenuntergang sind die Straßen wie leergefegt. Die Sierra bietet einen guten Rückzugsort für Kriminelle: Das Gebiet ist schwer zu erreichen, leicht zu kontrollieren, Handyortung unmöglich. »Es ist wie ein Krebs, der sich ausbreitet«, bilanziert Isaín Mandujano in der Zeitschrift »Proceso« die Situation in Chiapas. Erpressung, Schutzgeldzahlungen und Entführungen sind auch hier zur alltäglichen Realität geworden. Chiapas ist ein logistisch wichtiger Knotenpunkt für Drogen, die aus Zentralamerika kommen. Die Kakaobäuer*innen seien nicht direkt betroffen, so der Agronom Daniel Dominguez. Jedenfalls noch nicht. Aber: »Der Drogenkrieg ist angekommen. Man sieht, wie hier verkauft wird, wie konsumiert wird, wie überfallen wird. Wir leben mit Angst und Unsicherheit«, so der 51-Jährige.
Auf dem Weg in die Gemeinde Tuzantán werden wir rausgefischt. Landespolizisten mit Sturmgewehren halten das Motorrad auf der Autobahn an. »Kennen Sie diesen Mann?«, raunt der Uniformierte schroff. Er denkt, Ingenieur Dominguez sei Menschenhändler und will uns jetzt verkaufen – oder andersherum. Die Staatsmacht will alles sehen: Migrationsnachweis – obwohl sie keine Migrationsbeamt*innen sind – Presseausweis, Rucksack. Dann vergeht ihnen die Lust. Immerhin pressen sie uns zumindest kein Geld raus. Huixtla ist, so unscheinbar wie die Kleinstadt daherkommt, umsäumt von Bergen und kleinen Gemeinden, ein Dreh- und Angelpunkt der lateinamerikanischen Migration. Wer aus Mittel- oder Südamerika kommt und die Grenze passiert, kommt in Tapachula an und zieht dann weiter nach Huixtla, bevor es nach Norden geht.
Unzählige solcher Checkpoints säumen die Strecken. 2500 Pesos, rund 125 Euro, kassierten die durch und durch korrupten Behörden pro Checkpoint, glaubt man den Taxifahrern in Tapachula. Dann lassen sie Geflüchtete passieren. Migration ist ein Geschäft, Menschen werden zur Ware – die mehr Geld abwerfen als der Kakao, dessen Kilopreis zurzeit bei 60 Pesos (drei Euro) liegt. Vorbei an riesigen Kapokbäumen, Bananenstauden und sonnengelben Sternfrüchten, die an den Bäumen hängen, lindert der Fahrtwind die tropische Hitze etwas. Hier verlief ein Streckenabschnitt des berüchtigten Güterzugs »La Bestia«. Viele Migrant*innen reisten früher mit dem Zug nach Norden – bis sich die tödlichen Unfälle häuften. Die Schienen sind noch zu sehen. »Todeszug« nannte ihn die Bevölkerung. Dann biegen wir ab, und endlich trällert Cumbia-Musik aus einer kleinen Musikbox.
Don Hermans gutes Leben
Don Herman, eigentlich Herman López y López, ist ein älterer Herr mit kompakter Statur und wachem Blick. Er freut sich immer über Besuch. Von überall seien sie schon hergekommen, erklärt er: aus Kolumbien, den USA, allen Teilen Mexikos. Seine Ranch ist sein Leben. 14 Stunden täglich sei er auf dem Feld. Don Herman hat alles: Mais, 1800 Kakaopflanzen, Zimt, Bohnen, Skorpione, Schlangen. Für ihn ist es nicht bloß ein Stück Land, sondern ein Ökosystem. Vor rund zwei Jahren habe er begonnen, Vanille zu pflanzen und wartet jetzt auf die erste Ernte. Geduld ist eine Tugend, die ihn die Feldarbeit lehrt. Don Herman sieht sich selbst als Teil eines Kreislaufs. »Natur ist Leben. Sie ist meine zweite Mutter. Sie gibt mir zu essen«, so der 70-Jährige. Ob er denn gut davon leben könne? Don Herman zögert nur kurz. Es reiche fürs Leben, mehr brauche er nicht. Er macht sich auf den Weg, zeigt sein Bewässerungssystem, jetzt sei systematisches Gießen angesagt.
Don Herman ist jemand, der nicht nur gerne nachdenkt, sondern auch zum Nachdenken anregt. Was bedeutet gut leben? Die westliche Perspektive wäre: Welch Armut, welch Elend, das kann kein gutes Leben sein! Über 45 Jahre Feldarbeit und keine Aspirationen! Doch diese Wahrnehmung setzt das Materielle, das Monetäre an erste Stelle; sie ist geprägt vom westlichen Wachstumsfetischismus, der Neurose des Aufstiegs und der Expansion. Insgesamt beherberge seine Ranch 42 Pflanzenarten, erzählt Ingenieur Daniel Dominguez, der Don Herman seit langem kennt. Don Herman ist ein Mensch, der Gelassenheit, Glück und Zufriedenheit ausstrahlt. Er wischt sich den Mittagsschweiß von der Stirn, rollt einen Gartenschlauch zusammen und verlautbart: »Mir gefällt meine Arbeit. Wir sind hier ohnehin nur auf der Durchreise. Es gibt keine Ewigkeit in uns.« Er habe nie die Schule besucht, sagt er mehrfach – und doch fehle ihm nichts.
Die Schädlinge sind zurzeit nicht die größte Herausforderung für die Kleinbäuer*innen. Menschengemachte Probleme wiegen schwerer: Klimawandel und Abholzung bereiten Zukunftssorgen. Unternehmer*innen, kriminelle Banden und politische Interessen konkurrieren um die Wälder Mexikos. Es ist wieder jene Marktlogik: Der Mensch erklärt die Natur zur Ware. Fehlen die Bäume, fehlt der Schatten. Fatal für Kakao und Kaffee, die beiden wichtigsten Erzeugnisse der Region.
Die Hilfe für die Monilia-Plage kam vielerorts nicht von der Regierung, sondern von einem transnationalen Unternehmen: Hersheys. Das hat, zusammen mit Nestlé, den mexikanischen Schokoladenmarkt ohnehin im Würgegriff. Denn Mexiko exportiert kaum Kakao. Der Großteil wird im Land verkauft und weiterverarbeitet. Über Mittlerfirmen wie Agroindustrias Unidas de Cacao und Zwischenhändler*innen, sogenannte Coyotes, bringen die Kleinbäuer*innen ihr Produkt in Umlauf. Viel Ware aus Chiapas kommt nach Oaxaca. Großen Verhandlungsspielraum bei den Preisen gibt es nicht. Verkaufen oder verhungern ist das Motto. Die Geschichte wiederholt sich: Bereits zu vorkolonialen Zeiten mussten die Mayas den Azteken den Kakao als Tribut darbringen.
Unweit von Marilenas Farm hat Pedro seine Parzelle. Festgenagelt auf Holzbalken unter dem Dach seines Hauses prangt das Schild, das das »Projekt Hersheys« ausweist. Der Schokoladenriese hat investiert: Mehr als 500 000 Pflanzen, resistent gegen die Monilia-Plage, hat er an 1200 Produzent*innen in ganz Chiapas verteilt – auch an ihn. Beschwerden gegen den Konzern und seine Marktmacht hört man nicht. Kakaobauer Pedro ist zufrieden.
Er hat, wie Marilena auch, schon schwierigere Zeiten erlebt. Früher hatte er vier Hektar Kakao, nur zwei sind ihm nach der Monilia-Plage geblieben. Zudem sank sein Ertrag drastisch. Das zwingt den jungen Familienvater, auf Alternativen zurückzugreifen. Hier in Huixtla bedeutet das: Zuckerrohr anbauen. Weniger Arbeit, weniger Schädlingsbefall, finanzielle Absicherung. Aber auch: endlose, hässliche Monokultur, Feld um Feld. Doch monieren ist nicht die Art der Menschen hier. Sie schätzen die Natur, leben mit und für sie.
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