Erfolg nach mehr als tausend Tagen Streik in Bilbao

Novaltia-Beschäftigte in Bilbao erhalten eigenen Tarifvertrag und deutliches Lohnplus

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.
Ganz schön viel Durchhaltevermögen war notwendig für die Streikenden bei Novaltia.
Ganz schön viel Durchhaltevermögen war notwendig für die Streikenden bei Novaltia.

»Endlich«, sagt Ibai Carranza gegenüber »nd.derTag«. Der längste Streik Europas ist Geschichte, erklärt das Betriebsratsmitglied der baskischen Gewerkschaft ELA. Die Beschäftigten der Pharma-Logistikfirma Novaltia im baskischen Bilbao sind zufrieden mit einem Ergebnis, für das sie über 1345 Tage, drei Jahre und acht Monate lang, gekämpft haben. »Niemand hatte einen so langen Streik erwartet und gewollt, doch das Ergebnis zeigt, dass das Unmögliche doch möglich ist«, fügt Carranza hinzu. Die etwa zwei Dutzend Kolleginnen und Kollegen seien »erleichtert«. Es sei sehr hart gewesen, vor allem in den vergangenen Monaten, »da wir nicht wussten, ob es eine Lösung geben würde oder wie lange wir noch in dieser Situation sein würden«. Zwar habe die Belegschaft den Streik längst einstellen wollen, aber es musste ein gutes Ergebnis herauskommen. »Um jeden Preis wollten wir ihn nicht beenden«, erklärt der Betriebsrat.

Das Resultat – deutliche Lohnsteigerungen – kann sich sehen lassen. Auch das zentrale Ziel, wieder einen eigenen Tarifvertrag zu erhalten, wurde erreicht. Novaltia hatte den Basken den schlechten spanischen Tarifvertrag aufgezwungen, was über eine Arbeitsmarktreform möglich geworden war. Diese hatte die sozialdemokratische Regierung eigentlich streichen wollen, doch blieb sie im Kern erhalten.

Auch deshalb war der Arbeitskampf nötig, in dem Lohnerhöhungen von bis zu 34 Prozent erkämpft wurden. Helka Fernández, die im Lager des Zusammenschlusses von Apotheken mit der Rechtsform einer »Kooperative« arbeitet, musste zuvor im teuren Bilbao mit knapp 1000 Euro über die Runden kommen. »An Kinder brauchte ich nicht einmal zu denken«, sagt sie. Für das Geld sollte sie »sogar noch am Wochenende antreten, ohne Zuschläge«. Das habe das Fass zum Überlaufen gebracht, berichtet die 31-Jährige darüber, warum sie mit etwa der Hälfte der 45-köpfigen Belegschaft in Bilbao 2019 in den Streik trat. Ihre Lage hat sich nun deutlich verbessert. Die Lagerarbeiterin erhält künftig ein Jahresgehalt von 22 500 Euro, 1607 Euro in 14 Gehältern.

Versüßt wird der Abschluss zudem durch eine Summe in Höhe von fast 9500 Euro, die Novaltia jedem Streikenden zahlen muss. Die können damit in den wohlverdienten Urlaub gehen. 60 Tage stünden allein aus den vergangenen zwei Jahren jedem zu, erklärt der 37-jährige Carranza. Die Firma hat sich gegenüber dem Streik-Komitee und der Gewerkschaft auch verpflichtet, keine Repressalien gegen die Streikenden einzusetzen, etwa Versetzungen, Herabstufungen oder Kündigungen.

Wichtig war zudem die Geste, dass Novaltia für jeden Streiktag einen symbolischen Euro an die Streikkasse der Gewerkschaft zahlen muss. Ohne diese »Widerstandskasse« der ELA und deren Unterstützung wäre der Kampf unmöglich gewesen, sind sich die Beschäftigten einig. Streikkassen sind in Spanien bei den großen Gewerkschaften CCOO und UGT unbekannt. Über eine Widerstandskasse verfügt neben der ELA noch die kleine baskische Gewerkschaft LAB.

Statt auf Sozialpartnerschaft vertrauen die Basken lieber auf ihre Beschäftigten. Die ELA, 1911 von Christdemokraten gegründet, scheut heute keinen Kampf im Betrieb oder in sozialen Fragen. Die Kampfkraft der Beschäftigten sei die einzige Garantie, »um die Unternehmen zu wirklichen Verhandlungen zu zwingen«, so ELA-Chef Mitxel Lakuntza. »Man kann nie vorhersagen, wie lange ein Streik dauert, deshalb ist die Aufgabe der Gewerkschaft, vorbereitet zu sein, um durchhalten zu können.«

Durchgehalten hatten in der ELA organisierte Beschäftigte auch einen weiteren langwierigen Streik: Mehr als zwei Jahre dauerte der Ausstand beim deutschen Schleifmittelhersteller Pferd-Rüggeberg an. Zwei willkürliche Kündigungen von schwangeren Frauen konnten damit rückgängig gemacht werden. Mut gemacht hatten den Novaltia-Beschäftigten auch Streiks anderer Belegschaften, etwa der Reinigungskräfte im Guggenheim-Museum von Bilbao, die fast ein Jahr erfolgreich kämpften, oder bei Zuloaga Vulcanizados, die zwei Jahre für einen Haustarifvertrag streikten.

Definitiv aber war der Novaltia-Streik der längste Europas. Bisher wurde die Besetzung einer Tee-Fabrik in Frankreich über 1336 Tage als der längste Streik gehandelt. Dieser Betrieb wurde von den Beschäftigten übernommen, der Tee wird nun unter dem Namen 1336 vertrieben.

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