AfD will Amadeu-Antonio-Stiftung mit Steuerrecht mundtot machen

Bundestagsagenordneter fordert, der Stiftung die Gemeinnützigkeit aberkennen zu lassen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.
Im Kampf gegen rechtes Gedankengut engagiert: die Amadeu-Antonio-Stiftung
Im Kampf gegen rechtes Gedankengut engagiert: die Amadeu-Antonio-Stiftung

Kürzlich ergab die Studie »Zivilgesellschaft in Zahlen«, fünf Prozent aller als gemeinnützig anerkannten Vereine in Deutschland würden sich nicht trauen, politisch stärker aktiv zu sein, weil sie Angst davor hätten, dadurch möglicherweise ihren Status beim Finanzamt zu verlieren. Fünf Prozent mag im ersten Moment nicht viel klingen, steht aber in absoluter Zahl für bundesweit 30 000 Vereine und andere Organisationen. Noch alarmierender ist dieser Wert, setzt man diesen in Bezug zum jeweiligen Engagement einer Organisation: Während vier Prozent aller Sportvereine bei einer stärkeren politischen Positionierung um ihre Gemeinnützigkeit fürchten würden, sind es im Bereich des Umwelt- und Naturschutzes elf Prozent, bei Vereinen und Organisationen mit dem Schwerpunkt auf Bürger- und Verbraucherinteressen neun Prozent.

14 Organisationen, darunter der Deutsche Naturschutzring, Foodwatch und die Gesellschaft für Freiheitsrechte, forderten deshalb im März in einer gemeinsamen Erklärung eine Überarbeitung des Gemeinnützigkeitsrechts. Einem als gemeinnützig anerkannten Verein müsse es »erlaubt sein, sich an der politischen Willens- und öffentlichen Meinungsbildung zu beteiligen«, heißt es. Zudem seien die in der zugrundeliegenden Abgabenordnung als gemeinnützig anerkannten Zwecke unzureichend und unkonkret formuliert, was »als Instrument zur Disziplinierung« genutzt werden könne, warnte damals Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS), die sich ebenfalls für eine Reform einsetzt. Reinfrank wusste da noch nicht, dass der AAS womöglich bald einen Kampf um ihre Gemeinnützigkeit bevorsteht.

Eine Aberkennung fordert nun nämlich der AfD-Politiker René Springer. Das ist für sich genommen noch keine große Neuigkeit, ähnliche Ansinnen aus der Rechtsaußenpartei gab es in der Vergangenheit wiederholt. Springer jedoch geht nun einen Schritt weiter: Der Brandenburger Bundestagsabgeordnete wandte sich vor ein paar Tagen schriftlich an das Finanzamt Berlin, fordert in einem Brief, der AAS die Gemeinützigkeit abzuerkennen. Springer behauptet, die Stiftung sei eine »der bekanntesten Plattformen zur Diffamierung und Denunzierung oppositioneller und allgemein patriotisch gesinnter Menschen in Deutschland« und betreibe »undemokratische Stimmungsmache«.

In dem Schreiben argumentiert der AfD-Politiker auch mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und zwei auch unter Jurist*innen umstrittenen Urteilen gegen den Trägerverein des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac aus den Jahren 2019 und 2021. Das BFH hatte in beiden Fällen den Entzug der Gemeinnützigkeit durch das Frankfurter Finanzamt im Jahr 2014 für zulässig erklärt. Zur Begründung hieß es, der Verein betreibe eine »allgemeine Einflussnahme auf politische Willensbildung«, was in der Abgabenordnung jedoch nicht als gemeinnütziger Zweck aufgeführt ist. Sprich: Attac tritt nach Ansicht des BFH zu politisch auf, dies sei aber nur in eingeschränktem Rahmen erlaubt. Bereits 2021 legte die Organisation beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde ein, das Verfahren steht in Karlsruhe noch zur Entscheidung aus. Springer zieht den Attac-Fall nun heran und argumentiert, die AAS verfolge »überwiegend den politischen Zweck, die AfD mit ihren öffentlichen Beiträgen zu diskreditieren«.

Auf Nachfrage von »nd.derTag« erklärt AAS-Geschäftsführer Reinfrank, die Stiftung habe vom Schreiben Springers an das Berliner Finanzamt erst durch eine Presseanfrage erfahren, der Brief liege ihm auch nicht vor, genauso wie es bisher keine Reaktion seitens des Finanzamtes gibt. »Sofern die Steuerbehörden an uns herantreten, werden wir uns entsprechend verhalten«, sagt Reinfrank.

Wundern tue ihn das Vorgehen des AfD-Politikers indes nicht: »Die AfD versucht damit kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen. Die Meldung ans Finanzamt wird anscheinend breit platziert, um Organisationen einzuschüchtern und eine kritische Auseinandersetzung mit der AfD zu verhindern.« Dies sei nur »die neueste Episode von Versuchen der Diffamierungen gegen die Stiftung«. Stets seien die Vorwürfe aber »konstruiert und entbehren jeglicher Grundlage«.

Reinfrank betont, welche Bedeutung die Anerkennung als gemeinnützig für die Stiftung hat. »Der Entzug der Gemeinnützigkeit würde unsere Projekte gefährden, die an den Status der Gemeinnützigkeit gekoppelt sind. Dazu gehört unsere Arbeit im Bereich gegen Antisemitismus und Rassismus, in der offenen Kinder- und Jugendarbeit, aber auch Projekte für Betroffene rechter Gewalt wären gefährdet.«

Auch gegenüber »nd« betont der AAS-Geschäftsführer, warum er die geltende Gesetzeslage für problematisch hält. »Die aktuelle Rechtsunsicherheit im Gemeinnützigkeitsrecht hindert Organisationen daran, sich in unserer Demokratie aktiv einzubringen und sich mit Rechtsextremismus auseinanderzusetzen.« Dadurch werde das Engagement für Demokratie und Menschenrechte gehemmt, warnt Reinfrank. Deshalb ist es aus seiner Sicht wichtig, dass die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung versprochene Reform des Gemeinnützigkeitsrechts schnell kommt.

Danach sieht es nicht aus. Das für die Abgabenordnung zuständige Bundesfinanzministerium unter Führung von Christian Lindner (FDP) hat bisher noch nicht einmal einen Referentenentwurf vorgelegt, es existiert lediglich die vage Ankündigung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) aus dem vergangenen Jahr, es sei ein Gesetz für 2023 geplant. Direkt zuständig sind beide Ministerinnen nicht, ihre Ressorts stellen allerdings millionenschwere Fördertöpfe für Vereine und Organisationen – auch aus der Zivilgesellschaft – zur Verfügung. Eine Grundbedingung für die finanzielle Unterstützung durch die Ministerien ist in der Regel die Anerkennung der jeweiligen Organisation als gemeinnützig. Auch Projekte der Amadeu-Antonio-Stiftung erhalten staatliche Förderung, zuletzt etwa die Meldestelle Antifeminismus vom Familienministerium.

Reagiert hat das Finanzministerium bisher nur mit einem Erlass. Im Februar 2022 stellte es klar, dass sich Vereine »außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen« äußern dürfen. Dabei gilt die Einschränkung, wonach Tagespolitik nicht die Hauptbeschäftigung sein dürfe und ein Verein parteipolitisch neutral auftreten müsse. Im Kern geht der Erlass damit nicht über die Entscheidung des Bundesfinanzhofs hinaus. Dessen Schicksal ist kein Einzelfall: 2019 verlor die Kampagnenplattform Campact den Status als gemeinnützig, 2021 traf es die Petitionsplattform Change.org.

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