Pflege: Profitabel bis zur Pleite

Die private Altenpflege steckt in der Krise. Experten der Rosa-Luxemburg-Stiftung fordern stärkere Verpflichtung aufs Gemeinwohl

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Das »Haus am Kirchweg« ist ebenso pleite wie die Convivo-Gruppe. Und mit der Hansa-Gruppe ist kürzlich auch der dritte Altenpflege-Träger in Bremen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Den Ökonomen Christoph Trautvetter überraschen solche Schreckensmeldungen nicht. Rund die Hälfte der Bremer Pflegeheime wird privat betrieben. Egal ob sie einem lokalen Gründer, einem milliardenschweren »Family Office« oder einem internationalen Immobilieninvestor gehören – sie stehen unter hohem Rendite- und Wachstumsdruck, schreibt Trautvetter in einer kürzlich veröffentlichten Kurzexpertise mit dem Titel »Wem gehört die Altenpflege?«, die er im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung angefertigt hat. »Das sorgt für Qualitätsmängel und Instabilität, wie die aktuellen Insolvenzen zeigen.«

Nicht allein im kleinsten Bundesland gibt es Probleme mit den »Privaten«. So betreibt die inhabergeführte Convivo-Gruppe in ganz Deutschland mehr als 100 Pflegeeinrichtungen. Kurz zuvor hatte schon die Curata-Gruppe, die mehr als 3000 Mitarbeiter in 40 Heimen beschäftigt, ein Insolvenzverfahren beantragt. Es ließen sich viele weitere Beispiele nennen. Bislang findet das Heimsterben allerdings meist nur regional Beachtung. Dabei handelt es sich offenbar um einen bundesweiten Trend.

In Deutschland werden mehr als 950 000 pflegebedürftige Menschen in über 15 000 Heimen versorgt. Mit fast 800 000 Beschäftigten ist die stationäre Altenpflege eines der größten Arbeitsfelder. Der Großteil der Einrichtungen befindet sich in frei-gemeinnütziger und kommerzieller Trägerschaft. Insbesondere bei letzteren haben Tarifverträge Seltenheitswert, beklagt die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Deshalb setzt sie sich für einen flächendeckenden Tarifvertrag ein, der in allen Einrichtungen unabhängig von deren Trägerschaft eingehalten werden muss.

Auch die Menschen misstrauen offenbar den vorhandenen Pflegeeinrichtungen, wie eine Forsa-Umfrage zeigt. Bei der Vorstellung der Umfrage Mitte März forderten die Krankenkasse DAK, die Diakonie und der Landkreistag einen Steuerzuschuss zur Pflegeversicherung und warnten vor der Gefahr einer Versorgungskatastrophe.

Dem widerspricht der Präsident des Arbeitgeberverbandes Pflege, Thomas Greiner. Die Warnung vor einem Pflegekollaps sei zwar richtig, aber es sei unverständlich, dass der Grund für die Versorgungskatastrophe verschwiegen werde: »Das Heimsterben schreitet voran, und ambulanten Diensten droht der Kahlschlag.« Da gehe es nicht um Steuerzuschüsse, sondern um die Frage: »Wer pflegt überhaupt die Pflegebedürftigen?«

Die Hintergründe des Heimsterbens sind überall gleich. Erst hatte die Corona-Pandemie für einen Kostenschub beispielsweise durch Schutzmaßnahmen gesorgt; dann sank monatelang die Auslastung, was sich auf Einnahmen auswirkte. Die Politik hat zwar zeitweilig mit dem steuerfinanzierten Corona-Rettungsschirm ausgeholfen, doch dieser wurde Mitte 2022 zusammengeklappt. Bereits seit der zweiten Jahreshälfte 2021 steigen auch für Heimbetreiber die Energie- und Sachkosten rasant. Seit Herbst gelten zudem höhere Entlohnungsvorgaben für fest angestellte Pflegekräfte und Leiharbeit. In jüngster Zeit belastet zudem die Zinswende alle Immobilien-Investoren und -Eigentümer zusätzlich. In einem Rechtsgutachten für die Rosa-Luxemburg-Stiftung weist Anwalt Sebastian Baunack auf ein grundlegendes Problem hin. In den 90er Jahren war der Altenpflegesektor von der Bundesregierung für Marktkonkurrenz und privatwirtschaftliche Akteure geöffnet worden. »Der Bundesgesetzgeber kann ihn aber auch wieder auf Träger begrenzen, die dem Allgemeinwohl verpflichtet sind, wie er es im Bereich der Jugendhilfe getan hat.« Solange er dies nicht tue, sei es für Bundesländer wie Bremen schwierig, dem Gemeinwohl verpflichtete Träger angemessen zu fördern.

Die Linke in der Bremischen Bürgerschaft will nun einen kommunalen Altenpflegeträger gründen, um selbst Pflegeplätze anzubieten. Damit ein solcher Träger auch als gleichberechtigter Anbieter auftreten kann, fordert Die Linke die Abschaffung des Subsidiaritätsprinzips auf Bundesebene. Dieses präge die Sozialgesetzgebung und schütze private Träger: Soweit sie sach- und fachgerecht arbeiteten, könnten sie eine Zulassung für einen Dienst bekommen und dafür finanzielle Hilfen vom Staat beanspruchen. Der Staat dürfe danach aber nur dann eigene Angebote bereitstellen, wenn die freie Wohlfahrt oder gewerbliche Anbieter nicht zur Erfüllung der Aufgaben in der Lage sind.

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