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Abtreibungen in den USA: Am Rande zur Illegalität
Eine Klinik im Süden der USA gerät unter Druck, weil sie Schwangerschaftsabbrüche anbietet
Santa Teresa liegt nur wenige Meter von der Grenze zu Texas entfernt. Doch diese Distanz macht für Personen, die eine Reise zur Women’s Reproductive Clinic antreten, einen großen Unterschied. Auf dem Parkplatz der Abtreibungsklinik sind die Nummernschilder ein Hinweis darauf, wer hierher kommt. Anstelle der Plaketten von New Mexico mit ihren markanten Chilischoten prangt auf jedem der Kennzeichen in großen Druckbuchstaben der Name des Nachbarstaates: Texas.
Santa Teresa ist zwar eine Vorstadt von El Paso, jener Großstadt am äußersten westlichen Zipfel von Texas, liegt aber in New Mexico – und ist damit eine der nächsten Adressen für Menschen aus Texas, die einen legalen Schwangerschaftsabbruch unter medizinischer Aufsicht durchführen wollen. Der weite Westen von Texas ist nur dünn besiedelt, viele Frauen kommen aus den Ballungszentren in der Mitte des Bundesstaates und haben damit meistens eine zehnstündige Autofahrt hinter sich, wenn sie Santa Teresa erreichen.
In der Klinik selbst herrscht geschäftiges Treiben, gut zwei Dutzend Personen sind heute gekommen, um unter der Aufsicht von Dr. Franz Theard das Medikament Mifepriston einzunehmen. Nach etwa zwei Stunden sind alle Personen versorgt, die Klinik ist wieder leer. Theard sitzt hinter dem großen Schreibtisch in seinem kleinen Büro und erzählt, wie er und seine Klinik in New Mexico gelandet sind.
»Wir hatten eine Klinik in El Paso«, erzählt der Mittsiebziger, der ursprünglich aus Haiti kommt. »Aber die Gesetze in Texas sind immer strenger geworden.« Abtreibungskliniken wurden durch ständig wechselnde und verschärfte Regelungen an ihrer Arbeit gehindert, sodass seine Klinik 2005 nach Santa Teresa umgezogen ist. »Wer sich in Texas nicht genau an die Regelungen hält, zahlt hohe Strafen«, weiß Theard. »Wenn eine Patientin zum Beispiel auch nur einen einzigen Kilometer von dem Ort entfernt lebt, an sie angibt, es zu tun, zahlen wir gleich 1000 Dollar Strafe.«
Abtreibungskliniken in Texas müssen zudem auf eigene Kosten Informationsmaterial bereitstellen, um Personen durch falsche oder unpräzise Daten von einem Abbruch abzuhalten. »Wir mussten zum Beispiel Broschüren auslegen, in denen stand, dass eine Abtreibung das Risiko auf Brustkrebs deutlich erhöht«, sagt Theard. »Obwohl das wissenschaftlich gesehen überhaupt nicht erwiesen ist.«
Im Sommer 2022 wurde das Grundrecht auf Abtreibung in den gesamten Vereinigten Staaten gekippt. Der Richterspruch »Roe versus Wade«, der im Jahr 1973 Schwangerschaftsabbrüche als Privatangelegenheit einordnete und fast fünf Jahrzehnte lang zumindest theoretisch Schwangeren in den Vereinigten Staaten eine Abtreibung ermöglichte, gilt nicht mehr. Durch das Urteil »Dobbs vs. Jackson Women’s Health Organization« sind in vielen amerikanischen Bundesstaaten die juristischen Barrieren gegen Abtreibungsverbote gefallen.
Besonders in den Südstaaten, in denen viele rechtskonservative Christen leben und die Republikanische Partei zum Teil die absolute Mehrheit hat, ist es mittlerweile vielerorts unmöglich, legal abzutreiben. Vergewaltigung, Inzest, sogar eine akute Lebensgefahr für die Mutter reichen in einigen US-Bundesstaaten nicht mehr als Begründung für einen eingeleiteten Schwangerschaftsabbruch aus – mit katastrophalen sozialen Folgen.
Radikale Abtreibungsgegner*innen wähnen sich nach dem Urteil aus dem vorigen Jahr im Aufwind und fordern jetzt, dass Schwangerschaftsabbrüche komplett eingestellt werden – auch in den Bundesstaaten, in denen diese noch erlaubt sind. Als nächstes Ziel wirken Abtreibungsgegner*innen auf ein Verbot der sogenannten medizinischen Abtreibung hin.
Mifepriston und Misoprostol heißen die Mittel, über deren legale Verabreichung derzeit in den USA diskutiert wird. Die zwei Pillen werden im kurzen Abstand nacheinander genommen, um eine Schwangerschaft abzubrechen, indem sie dem Uterus bestimmte Stoffe entziehen, mit denen dieser einen Embryo versorgt. Bis zum 70. Tag einer Schwangerschaft sind diese Abtreibungstabletten effektiv, danach ist ein chirurgischer Eingriff notwendig. Die Pillenkombination ist in den USA seit über zwei Jahrzehnten im Einsatz; sie ist effektiv und hat nur eine sehr geringe Quote von schweren Nebenwirkungen. Mit Wyoming hat nun der erste US-Bundesstaat ein Gesetz verabschiedet, das die Verabreichung der Abtreibungspillen unter Strafe stellt. Bis zu sechs Monate Haftstrafe und Bußgelder in Höhe von 9000 Dollar drohen allen Personen, die die Pillen »verschreiben, verabreichen oder verkaufen«.
Abtreibungspillen sind seit dem Ende von »Roe vs. Wade« ein wichtiges Mittel, um Schwangeren in jenen Bundesstaaten mit einer restriktiven Gesetzeslage eine sichere Abtreibung zu ermöglichen. In Texas ist seit letztem Sommer ein sogenanntes »Trigger-Gesetz« in Kraft, das mit dem Ende von »Roe vs. Wade« beschlossen wurde. Durch dieses ist ein medizinischer Schwangerschaftsabbruch illegal, es sei denn, das Leben der Mutter ist in akuter Gefahr.
Theard und seine Mitarbeiter*innen werden in Texas schon lange angefeindet. In den 80er und 90er Jahren, erzählt er, seien seine Kinder auf der Schule in El Paso wegen seines Berufs immer wieder beschimpft worden. Und Abtreibungsgegner*innen seien teilweise bewaffnet vor seiner Klinik erschienen und hätten auch ihn und seine Familie vor ihrem Privathaus bedroht. Theard redet gelassen, sogar humorvoll über diese Jahre der Angst.
Bis heute ist Sicherheit ein großes Thema für die Klinik in Santa Teresa. Ein ernst dreinschauender Wachmann kontrolliert den Eingang zum Wartebereich, Videokameras überwachen den Parkplatz. »Wir sind in regelmäßigem Kontakt mit dem örtlichen Büro des FBI«, sagt Theard. Die Polizeibehörde ist für die Klinik eine wichtige Ansprechpartnerin in Sicherheitsfragen.
Auch an diesem eher ruhigen Tag in der Klinik sind Demonstrant*innen auf dem Gehweg, der das Klinikgelände von einer viel befahrenen Schnellstraße trennt. Dort sitzt eine Gruppe von Menschen, die beten, darunter auch ein junges Mädchen im Schulalter. »Abortion Survivor« steht auf dem T-Shirt von Lynn Abitha, »Abtreibungsüberlebende«. Darunter in großen Blockbuchstaben: »Ich habe Roe vs. Wade überlebt, aber Roe vs. Wade hat mich nicht überlebt.«
»Für uns beginnt das Leben ab der Empfängnis«, erklärt Abitha. Selbst eine Vergewaltigung ist für sie kein legitimer Grund für einen Schwangerschaftsabbruch. »Abtreibung ist für uns niemals eine Lösung«, sagt sie. »Das Leben ist ein Geschenk von Gott, und wir haben nicht das Sagen darüber, ob wir es ablehnen dürfen oder nicht.«
Abitha scheut keine extremen Vergleiche, wenn sie anderen darlegt, was eine Abtreibung für sie bedeutet. »Die Leute werden immer gleich wütend, wenn man Abtreibung mit dem Holocaust gleichstellt«, sagt sie, während sie einen Rosenkranz in der Hand hält. »60 Millionen Menschen sind aber durch Abtreibung gestorben«, behauptet sie. Auch wenn Abitha und ihre Mitstreiter*innen in unmittelbarer Nähe zur Klinik stehen, sprechen sie die Frauen nicht an, die dort einen Termin haben. »Wir beten hier nur für das Ende der Abtreibung, und wenn uns jemand anspricht, dann beten wir natürlich auch für diese Person.«
Von der aggressiven Art der Abtreibungsgegner*innen in den 80er und 90er Jahren – Franz Theard nennt sie »die harten Jahre« –, möchte sich Abitha aber nicht distanzieren. Neben tätlichen Angriffen auf Abtreibungskliniken sowie das Personal war es üblich, Schwangere zu belästigen, die eine Klinik betreten oder wieder verlassen wollten. »Das war halt ziviler Ungehorsam«, sagt Abitha lapidar. So radikal ihre Einstellungen auch wirken mögen, die Amerikanerin schwimmt damit ganz im Mainstream der Republikanischen Partei.
In Amarillo, Texas, rund 600 Kilometer nordöstlich von El Paso, entscheidet derzeit ein oberer Gerichtshof darüber, ob Mifepriston in den USA überhaupt noch zugelassen werden soll. Der Vorsitzende Richter Matthew Kacsmaryk wurde von Ex-Präsident Donald Trump ins Amt berufen und gilt als besonders konservativ. Eine abtreibungsfeindlich eingestellte Gruppe hat dafür gesorgt, dass die entsprechenden Verhandlungen an seinem Gericht stattfinden, da sie sich bei ihm Chancen auf ein umfassendes Verbot der Abtreibungspille ausrechnen. Möglicherweise wird Kacsmaryk davon absehen, die Pille komplett zu verbieten, dafür aber Regelungen vorschreiben, dass die Pille nur von einem Arzt oder einer Ärztin verabreicht werden darf.
Sollte das geschehen, würde dies die Abtreibungsfonds in die Illegalität treiben. Organisationen sammeln bislang nämlich im gesamten Land Spendengelder, um Mifepriston und Misoprostol per Post an Schwangere zu versenden, die diese Mittel brauchen. Damit kann bis jetzt auch denen geholfen werden, die sich die weite und oftmals teure Reise in einen Bundesstaat mit besserer Gesetzeslage nicht leisten können. Dabei sind die Pillen ohnehin nicht für alle Schwangeren eine Lösung, sagt Franz Theard: »Frauen, bei denen die Schwangerschaft schon länger als 70 Tage besteht, müssen nach Albuquerque oder Las Cruces«, die nächsten Großstädte in New Mexico. Dort ist im Gegensatz zu seiner eigenen Klinik auch ein chirurgischer Eingriff möglich.
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