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Jenseits der Hautfarben

Der afroamerikanische Bürgerrechtler W.E.B. Du Bois reiste 1936 durch Europa und Nazideutschland

  • Matheus Hagedorny
  • Lesedauer: 5 Min.
William Edward Burghardt Du Bois (Mitte) im Gespräch mit Mitstreitern der Bürgerrechtsbewegung
William Edward Burghardt Du Bois (Mitte) im Gespräch mit Mitstreitern der Bürgerrechtsbewegung

Ich komme nicht über die fortwährende Überraschung hinweg, wie ein Mensch behandelt zu werden.» So bilanziert W.E.B. Du Bois (1868–1963), einer der bedeutendsten schwarzen Bürgerrechtler der USA, seine Monate im Europa des Jahres 1936. Dabei hat der sozialistische Intellektuelle die meiste Zeit davon in Nazideutschland verbracht.

Das Buch «Along the color line» versammelt die ursprünglich für die afroamerikanische Tageszeitung «Pittsburg Courier» verfassten Reportagen erstmals auf Deutsch. Die von Johanna von Koppenfels übersetzten und vom Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich herausgegebenen Deutschlandberichte sind zugleich ein Kommentar zur Lage der Afroamerikaner. Hier schreibt der Mitbegründer der Bürgerrechtsorganisation NAACP und erste afroamerikanische Absolvent der Harvard University mit soziologischem Blick. Seine Kolumnen werden vor allem von Menschen gelesen, die auch dort an den Rand der US-Gesellschaft gedrängt werden, wo der Staat die Segregation nicht organisiert.

Was will Du Bois in Hitlerdeutschland erfahren? Er möchte klären, wie dort die «color line», die Grenze zwischen den Hautfarben, wirkt. Die offizielle Mission des Forschers gilt dem industriellen deutschen Ausbildungssystem, sein erklärtes Interesse den möglichen Anregungen für eine bessere Berufsbildung von schwarzen US-Amerikanern. Viele seiner Artikel folgen dieser vordergründigen, unpolitischen Mission. Sie zeigen eine reibungslos funktionierende Gesellschaft, die dem dunkelhäutigen Besucher aus den USA einen Respekt entgegenbringt, den er in seinem Herkunftsland nicht erwarten kann.

Bei seinen Fahrten verlässt Du Bois den geschützten Rahmen der akademischen Welt, bereist die bedeutendsten Städte und auch die Provinz. In München staunt er über die überbordende Fülle des Deutschen Museums und genießt das Bier im Hofbräuhaus. In Bayreuth verfolgt er die Richard-Wagner-Festspiele und erkennt in dem Komponisten einen quasi-sozialistischen Bruder im Geiste. Du Bois’ Schwäche für deutsche Kultur geht auf seine Zeit als Austauschstudent in den 1890er Jahren zurück, wo er unter anderem Max Weber hörte. Zurück in Harvard galt sein erster akademischer Vortrag Otto von Bismarck, in dessen Politik er ein Vorbild für die Einheit der Afroamerikaner sah.

Du Bois ist sich nur allzu bewusst, dass seine Begegnungen auf Augenhöhe unterm Hakenkreuz der Erklärung bedürfen. Die rassistischen Gesetze und die Propaganda Nazideutschlands unterschlägt er nicht. Er weiß, dass das NS-Regime im Jahr der Olympiaden von Berlin und Garmisch-Partenkirchen ein möglichst günstiges Image erreichen will. Und er betont, dass Rassifizierte wie er oft Situationen meiden, in denen Gewalt gegen sie sehr wahrscheinlich ist. Trotz alldem erkennt er keine Diskriminierung gegen sich – selbst «gaffende Menschenansammlungen» in der Provinz empfindet er nicht als bedrohlich. In der NAACP ist Du Bois’ Position zu diesem Zeitpunkt beschädigt. Nachdem er das Prinzip «Seperate but equal», mit dem die Segregation in den Südstaaten der USA legitimiert wurde, zu einem akzeptablen Ausgangspunkt afroamerikanischer Emanzipation erklärt hatte, war er 1934 im Streit aus dem Vorstand ausgeschieden.

Der erstaunlich milde Ton seiner Kolumnen ändert sich, als Du Bois sicher sein kann, bei Veröffentlichung außerhalb des deutschen Machtbereichs zu sein. In seinen letzten Kolumnen über Deutschland liefert er Urteile nach, die ihm vorher zu riskant schienen: Das Land sei «schweigsam, nervös und bedrückt», der Judenhass «übertrifft an rachsüchtiger Grausamkeit und öffentlicher Herabwürdigung alles, was ich jemals erlebt habe; und ich habe vieles erlebt». Hellsichtig analysiert Du Bois die Glaubenssätze der Zustimmungsdiktatur, die Verdrängung der Frauen vom Arbeitsmarkt und die Rassenideologie. Seinen Eindruck vom Alltagserleben als schwarzer US-Amerikaner in Deutschland revidiert er jedoch nicht. Abermals betont Du Bois, dass er in Deutschland eine «menschliche Gemeinschaft» mit Weißen erlebt hat, die ihm in den USA verwehrt blieb.

In seinem Nachwort ordnet der Herausgeber Oliver Lubrich die Texte detailliert in die Biografie des Autors ein und gibt dem Leser eine lebendige Vorstellung des Jahres 1936, in der Demokratie weltweit in der Defensive und westlicher Kolonialismus höchst lebendig sind. Vor diesem Hintergrund entsteht das Bild eines frühen transatlantischen Intellektuellen, der sozialistischen Ideen anhängt, zugleich auf bildungsbürgerliche Emanzipation der Afroamerikaner setzt und von Zuversicht geprägt ist. Mit diesen Perspektiven auf Du Bois’ schillernden Horizont in einer mehrdeutigen «Zwischenzeit» lassen sich auch manche seiner Irrtümer besser einschätzen, etwa wenn er die Wirtschaftsordnung der Sowjetunion und Nazideutschlands deutlich ähnlicher beschreibt, als sie sind, oder wenn er in Japans zutiefst chauvinistischem Regime ein Bollwerk gegen westlichen Imperialismus sieht. Bedauerlich unscharf wird das Nachwort ausgerechnet an der Stelle, wo es die Beziehung von Rassismus und Antisemitismus behandelt. Lubrich endet sprunghaft mit irritierenden Gedankengängen aus dem laufenden «Zweiten Historikerstreit» wie dem, ob Juden weiß oder People of Color sind. So selbstverständlich es auch jüdische Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und Klasse gibt, so deutlich zeigen Du Bois’ Deutschlandberichte, wie zwingend Judenfeindschaft für das NS-Regime ist, während Hautfarbenrassismus wesentlich flexibler funktioniert, wie es im Zweiten Weltkrieg beispielsweise mit der Aufstellung der Indischen Legion für die Wehrmacht deutlich wird.

W.E.B. Du Bois’ berühmte Prognose von 1903, dass das Problem des 20. Jahrhunderts entlang der «color line» liegen werde, scheint durch seine Erfahrungen im NS-Deutschland fragwürdig. Die Schwerpunkte des Rassismus in den USA und in Europa unterscheiden sich bis heute deutlich. Es ist das Verdienst dieser gesammelten Kolumnen, den historischen Blick darauf zu schärfen.

William du Bois: Along the color line. C.H. Beck, 168 S., geb., 20 €.

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