Landwirtschaft: Schwieriges Gelände für Gewerkschafter

Tim Seuffert (IG BAU) über Arbeitskämpfe in der Landwirtschaft in Berlin und Brandenburg

  • Interview: Michael Zantke
  • Lesedauer: 4 Min.

Die »Initiative faire Landarbeit« fordert grundlegende Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen in der landwirtschaftlichen Produktion. Welche Missstände gilt es zu überwinden?

Insbesondere in der Saisonarbeit sehen wir eine Vielzahl an Missständen. So birgt etwa die Akkordarbeit beim gesetzlichen Mindestlohn ein hohes Betrugspotenzial. Auch beklagen Saisonkräfte oftmals fehlende Arbeitsverträge. Die Unterbringung erfolgt häufig in Massenunterkünften in schlechtem baulichen Zustand, ohne Privatsphäre oder zureichende Sanitäranlagen. Problematisch empfinden wir auch die hohen Abzüge für die Werkmietwohnungen sowie den unzureichenden Krankenversicherungsschutz und die fehlende Rentenversicherung.

Interview


Tim Seuffert arbeitet seit 2019 bei der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Im Bezirksverband Berlin ist er Ansprechpartner für Landwirtschaft, aber auch für Garten- und Landschaftsbau und das Gebäudereiniger-Handwerk. Seuffert setzt sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Branche ein.

Wie verliefen die jüngsten Verhandlungen?

Während wir in einzelnen westlichen Bundesländern Tariferhöhungen über der Bundesempfehlung aushandeln konnten, war es in Ostdeutschland kaum möglich, höher abzuschließen. Einerseits erkennen wir an, dass wir im Tarifgebiet Ost alleine mit der Bundesempfehlung schon über eine Lohnsteigerung von über 20 Prozent, teilweise sogar von über 27 Prozent sprechen. Auch die Ausbildungsvergütungen wurden um durchschnittlich 25 Prozent erhöht. Das sind historische Werte, die aber im Kontext der derzeitigen Inflation gesehen werden müssen. Zum anderen können wir anerkennen, dass die Arbeitgeber zum ersten Mal inhaltsgleiche Tarifverträge für ganz Ostdeutschland abschließen wollten. Verbandspolitisch war dies für unsere Verhandlungspartner Neuland. Auf der anderen Seite ist es in der Landwirtschaft extrem herausfordernd, gewerkschaftlich Druck auf die Verhandlungen ausüben zu können.

Seit Jahresbeginn erleben wir in Deutschland eine Reihe von großangelegten Streiks in verschiedenen Branchen. Sind organisierte Arbeitskämpfe für die Verbesserungen der Produktionsbedingungen in der deutschen Landwirtschaft in näherer Zukunft denkbar?

Überall da, wo Beschäftigte ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessern wollen, wird die IG BAU an ihrer Seite stehen. So finden derzeit heftige Auseinandersetzungen im Tierpark Hagenbeck in Hamburg statt. Erst kürzlich sind die Tarifverhandlungen bei Europas größtem Putenzuchtbetrieb Moorgut Kartzfehn gescheitert. Einen Erfolg hatten die Beschäftigten beim Verein Ostfriesischer Stammviehzüchter. Durch einen Warnstreik Anfang Februar konnte dort ein Tarifergebnis erzielt werden.

Zentraler Kritikpunkt sind die Arbeitsbedingungen für ausländische Saisonarbeiter. Werden die betroffenen Männer und Frauen an den Debatten beteiligt beziehungsweise sind Vertreter dieser Gruppen gewerkschaftlich integriert?

Bei Saisonarbeitskräften herrschen große Verunsicherung, niedrige Löhne, mangelnde Solidarität durch die Gesellschaft, fehlende Freizeit und ein Mangel an sozialen Kontakten. In der »Initiative faire Landarbeit« betreiben wir von Saison zu Saison Aufklärungsarbeit unter den Beschäftigten. Über unsere Jahresmitgliedschaft für ausländische Saisonarbeiter versuchen wir zudem, diese in unsere gewerkschaftlichen Debatten zu integrieren. Hierbei muss sich die IG BAU aber noch weiter öffnen. Klassische Gremienarbeit, wie wir sie kennen, ist in diesem Bereich schwer möglich.

Wie sind Sie international mit anderen Gewerkschaften vernetzt? Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da?

Die IG BAU ist auf internationaler Ebene in mehreren Organisationen vernetzt. Dies ist zum einen der Europäische Verein für Wanderarbeiterfragen, welcher mobilen Beschäftigten bei der Durchsetzung ihrer Rechte hilft, und zum anderen der Europäische Verband der Landwirtschafts-, Lebensmittel- und Tourismusgewerkschaften. Grundsätzlich kann ich sagen, dass nach meiner Meinung im internationalen Vergleich in Deutschland die Möglichkeiten für eine Flexibilisierung von Arbeitsverträgen zu groß sind und die Maßnahmen gegen Systeme möglichst billiger Arbeit nicht genügend greifen. Es bedürfte einer gesamtgesellschaftlichen Debatte, unter welchen Bedingungen wir unseren Spargel auf dem Teller haben möchten. Für zwölf Euro die Stunde mit hohen Abzügen für Unterkunft und Verpflegung und mangelndem Krankenversicherungsstatus für ausländische Beschäftigte bleibt da doch ein fader Beigeschmack.

Welche Ziele für die nähere Zukunft haben Sie sich gesetzt?

Es ist wichtig, in der Landwirtschaft über einen Branchenmindestlohn nachzudenken. Die IG BAU hat damit in vielen Branchen, zum Beispiel im Reinigungsgewerbe, gute Erfahrungen gemacht. Persönlich wünsche ich mir, durch meine Arbeit zu einer nachhaltigen Verbesserung von Arbeitsstandards beitragen zu können. In der Landwirtschaft findet eine massive Veränderung statt. Über die Hälfte der Landarbeiter sind mittlerweile in einer lohnabhängigen Beschäftigung und nicht mehr Betriebsinhaber von bäuerlichen Höfen. Die betriebliche Struktur in Deutschland verändert sich und benötigt eine gewerkschaftliche Antwort. Meine Antwort ist dabei: Um die eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern, bleibt der Eintritt in eine Gewerkschaft das beste Mittel.

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