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Bedrohter Boom: DFB-Fußballerinnen ohne Chance gegen Brasilien
Nach dem 1:2 gegen die Südamerika-Meisterinnen tobt der Kampf um WM-Bilder
An Aufmunterung hat es in Nürnberg nicht gefehlt. Unübersehbar prangte das rote Spruchband mit weißen Versalien an der Gegengerade im Max-Morlock-Stadion: »Ein neues Ziel – eine große Chance – auf zur WM 2023 nach Australien.« Doch was im Schwenkbereich der Fernsehkameras beim Länderspiel der deutschen Fußballerinnen gegen Brasilien eine Aufbruchsstimmung schüren sollte, verkam am Dienstagabend zum Stimmungskiller. Hätten sich die Frauen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit ihrem beherzten und bodenständigen Auftreten bei der EM in England nicht einen Vertrauensbonus erarbeitet, wären hörbare Unmutsäußerungen der 32 587 Augenzeugen das Mindeste für die fahrige und lange mutlose Vorstellung bei der 1:2-Niederlage gewesen.
Wo sind Idee und Inspiration, Lust und Leidenschaft, Abläufe und Automatismen bloß hin? Auch Behauptungswillen, Durchsetzungsvermögen oder Härte ließ der zweifache Weltmeister vermissen. 2,42 Millionen Fernsehzuschauern in der ARD ist es nicht entgangen: Die EM-Heldinnen hängen 100 Tage vor der Weltmeisterschaft fast kollektiv im Formloch.
»Wir sind gewarnt, dass wir Spiele auf dem Niveau nicht mit 80, 90 Prozent gewinnen«, gab Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg zu. Die 55-Jährige musste anerkennen, dass sich ihr Team nicht weiterentwickelt hat, während die Brasilianerinnen unter der charismatischen Kollegin Pia Sundhage große Fortschritte gemacht haben. Stand jetzt wären die Südamerika-Meisterinnen in einem möglichen Achtelfinale bei der anstehenden Weltmeisterschaft gegen die Vize-Europameisterinnen favorisiert.
Die im Mittelfeld vergeblich um Orientierung ringende Kapitänin Alexandra Popp sparte ebenfalls nicht an Kritik. »Wir wissen natürlich schon, dass es mit der Art und Weise bei der Weltmeisterschaft nicht reichen wird«, sagte die 32-Jährige, die wegen einer Fußverletzung zur Pause in der Kabine blieb. Die erste Heimniederlage seit Oktober 2017 – ein 2:3 gegen Island unter Kurzzeit-Bundestrainerin Steffi Jones – weckt Zweifel, ob das deutsche Team in Down Under wirklich um den Titel spielen kann. Die Vorbereitung ab Juni mit zwei Trainingslagern in Herzogenaurach steht damit unter besonderer Beobachtung. Keinen der drei Härtetests haben die DFB-Frauen in diesem Jahr bestanden: Gegen die Schwedinnen (0:0) und das Team aus den Niederlanden (1:0) konnten und mussten vor allem die Torhüterinnen glänzen, nun aber trug auch die für die verletzte Merle Frohms spielende Ann-Katrin Berger ihren Teil zur Niederlage bei.
Vor einem Jahr hatte nach einem vergeigten WM-Qualifikationsspiel in Serbien, wo sich die in Nürnberg aus dem Nationalteam verabschiedete Dzsenifer Marozsan das Kreuzband riss, eine interne Aufarbeitung eingesetzt. An diesem Punkt steht das Team nun wieder, wie Lena Oberdorf verriet. »Wenn wir so spielen, kommen wir bei der WM nicht weit«, kritisierte die Mittelfeldstrategin vom VfL Wolfsburg, die erst mit der Einwechslung der Münchnerin Sydney Lohmann engagierte Unterstützung im Kampf gegen gut organisierte Brasilianerinnen erhielt.
Schon am Sonnabend sehen sich die meisten Nationalspielerinnen im Halbfinale des DFB-Pokals zwischen Bayern und Wolfsburg wieder. Die hohe Dichte an Topspielen ist gerade die einzige schlüssige Erklärung für die erste richtige Delle nach der begeisternden EM. Der Boom im Fußball der Frauen mit höheren Besucherzahlen und mehr Liveübertragungen wird aber nicht nur durch schwache Leistungen der Nationalelf gefährdet.
Sehr real wirkt mittlerweile die Gefahr, dass die Fans beim kommenden Großereignis in die Röhre schauen, denn die Fifa und die TV-Anstalten aus den Kernmärkten in Europa haben sich in einer komplizierten Gemengelage völlig verhakt. Hintergrund ist, dass der Weltverband erstmals die Rechte für die Frauen-WM separiert vergibt, dafür aber erst im Januar die Ausschreibung auf den Weg gebracht hat. Reichlich spät. Für die Frauen-WM 2019 in Frankreich hatten ARD und ZDF die Übertragungen noch im Paket mit der Männer-WM 2022 in Katar erworben.
Plötzlich erhofft sich die Fifa, angeregt durch die guten Einschaltquoten von der Europameisterschaft, ganz neue Einnahmepotenziale, für die bitte Sponsoren und Medienanstalten sorgen müssten. Sarai Bareman, Chief Women’s Football Officer beim Weltverband, will rasch in die finanziellen Sphären einer Weltmeisterschaft der Männer vordringen. Das »Produkt« sei grundsätzlich auf einem guten Weg, und da verlangte die Neuseeländerin Bareman nun, dass der »kommerzielle Wert« des Fußballs der Frauen anerkannt werde. Man würde daher sogar in Kauf nehmen, dass einige Länder bei den Übertragungsrechten leer ausgehen. Eine unverhohlene Drohung, die bei ARD und ZDF mit starkem Befremden registriert wurde. Weder für Deutschland, noch Spanien, Italien oder Frankreich ist es bisher zu einem Abschluss gekommen – allein für England zeichnet sich wohl eine Einigung ab.
Wegen der Zeitverschiebung laufen die Spiele in den frühen Morgenstunden oder am Vormittag. Privatsender wie RTL und Sat.1 können damit weder Reichweite noch Werbeeinnahmen generieren. Für Pay-TV-Anbieter wie Sky oder DAZN sind solche temporären Events ebenfalls wenig lukrativ. Dem Vernehmen nach haben ARD und ZDF sehr wohl das beste Gebot hinterlegt, das die Fifa allerdings abgelehnt hat, weil sie einen selbst dotierten Preis verlangt.
Auch hier gilt Fifa-Präsident Gianni Infantino als Strippenzieher, der seine »Lieblingsfeinde« aus Europa reizt: Seine jüngste Aussage auf dem Kongress in Kigali, als der Schweizer über die angeblich zu niedrigen Gebote von Fernsehsendern wetterte, die vom Steuerzahler finanziert und Equal Pay fordern würden, war eine klare Spitze gegen die deutschen Anstalten. Wie der Machtkampf ausgeht, scheint derzeit völlig offen.
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