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Koalitionsvertrag: Lückentext zu Schwangerschaftskonflikten
Im schwarz-roten Koalitionsvertrag fehlen entscheidende Punkte zu reproduktiver Gerechtigkeit
Zwei kurze Sätze, mehr hat der vorläufige Koalitionsvertrag von CDU und SPD zum Thema ungewollte Schwangerschaft nicht zu bieten. »Die Koalition stärkt die Schwangerenkonfliktberatung. Der Zugang zu kostenfreien Verhütungsmitteln bleibt fortbestehen.« So heißt es in dem Entwurf, über den aktuell die Berliner SPD-Mitglieder abstimmen.
Die Lücken, die Schwarz-Rot mit dieser knappen Formulierung lässt, sorgen bei feministischen Akteur*innen für Verunsicherung. Wo bleibt das Bekenntnis zu niedrigschwelligen Informationen, wo die Absicherung des Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen? Insbesondere ein Punkt, den der alte Koalitionsvertrag von Rot-Grün-Rot festgehalten hat, fehlt: die angestrebten Bannmeilen, um politische Versammlungen vor Beratungsstellen einzuschränken. Dadurch könnten sogenannte Gehsteigbelagerungen durch Abtreibungsgegner*innen verhindert werden.
»Das ist ein ganz wichtiges Thema«, sagt die Berliner Gynäkologin Jutta Pliefke zu »nd«. Als Mitarbeiterin bei Pro Familia setzt sie sich für eine sichere Beratungssituation ein. Die bisherige Grünen-Gesundheitssenatorin Ulrike Gote sei hier sehr bemüht gewesen. »Sie hat uns mehrfach gesagt, dass sie zuversichtlich ist, die Bannmeilen in den geplanten vier Jahren umzusetzen.« Dass Schwarz-Rot diese Pläne mit keinem Wort erwähne, bereite ihr Sorge. »Man hat das Gefühl, das wurde bewusst nicht aufgenommen.«
2021 kam es erstmals in Berlin zu Belästigungen vor dem Familienplanungszentrum »Balance«, an anderen Orten wie Frankfurt am Main gehören Störaktionen bereits zum Alltag. Darunter litten nicht nur schwangere Menschen, sondern auch Ärzt*innen und Berater*innen, betont Ella Nowak vom queerfeministischen Bündnis »What the Fuck«. »Die Gehsteigbelästigung hat auch das Ziel, Ärzt*innen Angst zu machen und sie unter Druck zu setzen.« Nowak rechnet mit heftigeren Reaktionen angesichts der bundespolitischen Initiative, Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetzbuch zu streichen und damit endgültig zu legalisieren. »Das wird eine Phase, wo die Bewegung aktiver wird, weil sie sich unter Zugzwang sieht.«
Einen weiteren Punkt lässt der schwarz-rote Koalitionsvertrag ebenfalls schlicht aus: die Thematisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in der medizinischen Ausbildung. Aktuell findet das Thema laut den »Medical Students for Choice« an der Charité bis zum sechsten Semester überhaupt keine Erwähnung, nach dem ersten Staatsexamen beschäftigen sich Studierende nur im Rahmen eines Ethikseminars mit Schwangerschaftsabbrüchen. Das zu ändern, war zumindest der Plan der alten Koalition. »Wir haben da noch keine Welten bewegt«, gibt Ines Schmidt, die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zu. »Aber es gab erste Gespräche. Denn wenn es nicht Teil der Ausbildung ist, interessiert es auch niemanden.« Schon jetzt fehlt es in Deutschland an Nachwuchsärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Das Bündnis »What the Fuck« sieht zudem bereits in der Formulierung des neuen Absatzes eine problematische Geisteshaltung. Statt wie üblich »Schwangerschaftskonfliktberatung« heißt es hier »Schwangerenkonfliktberatung«. »Damit wird das Problem auf die schwangere Person verlagert, als wäre die Haltung der Person das Problem und nicht die Schwangerschaft selbst«, erklärt Nowak. Die Wortwahl erinnere sie an die Strategie konfessioneller Träger, die keine gesetzlich anerkannte Beratung für Schwangerschaftsabbrüche anböten und sich deshalb nur als Schwangerenberatung bezeichneten – was gezielt für Verwirrung sorgen könnte.
Die Gynäkologin Pliefke möchte sich mit derartigen Bewertungen zurückhalten. Doch Hoffnung auf reproduktive Gerechtigkeit macht die Passage zu Schwangerschaftsabbrüchen auch ihr nicht. Dabei gibt es viel zu tun, um den Bedarfen aller Schwangeren in Berlin gerecht zu werden. So mangelt es den Beratungsstellen etwa akut an Personal. Nach Angaben der Gesundheitsverwaltung aus dem Februar fehlten berlinweit 11,42 Vollzeitstellen, um die gesetzlich vorgeschriebene Beratungsdichte einzuhalten. Pliefke bestätigt dieses Problem aus eigener Erfahrung: »Wir müssen Frauen abweisen und an andere Stellen verweisen.« Es bräuchte mehr Geld, um ausreichend Berater*innen einzustellen. »Wir waren an dem Thema dran, es gab Gespräche«, erzählt sie von dem Austausch mit Gote. Doch seit der Wiederholungswahl stehe wieder alles auf der Kippe.
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