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Klimabewegung in Berlin: Coca Cola und Co am Kunstöl-Pranger
Extinction Rebellion beginnt seine Aktionswoche mit zivilem Ungehorsam bei Konzernen
In der riesigen Glasfassade spiegeln sich Autos und Häuser der gegenüberliegenden Straßenseite der Stralauer Allee in Friedrichshain. Ein roter Coca-Cola-Schriftzug und ein gleichfarbiger Berliner Bär schmücken den Firmensitz des US-amerikanischen Getränkeherstellers. Es ist noch früh, halb acht am Morgen, als plötzlich zwei Personen mit orangen Eimern auf das Gebäude zugehen und deren Inhalt mit Schwung auf der bis dahin blank polierten Scheibe ausleeren. Schnell verteilt eine kleine schmale Frau die schwarze Farbe und klebt zwei Plakate darauf. »Hier werden unsere Lebensgrundlagen zerstört«, steht auf dem einen.
»Coca Cola ist der größte Plastikvermüller der Welt«, erklärt Hanna von der Klimagerechtigkeitsgruppe Extinction Rebellion (XR). Ihren vollständigen Namen will sie nicht in der Zeitung lesen. Genau genommen wurde der Cola-Konzern vom weltweiten »Break Free From Plastic«-Netzwerk in den vergangenen fünf Jahren als jeweils weltgrößter Plastikverschmutzer ermittelt. Demnach produziert der Konzern über drei Millionen Tonnen Plastik jährlich. »89 Prozent davon werden nicht recycelt«, kritisiert Hanna.
Außerdem werfen die Klimaaktivist*innen Coca Cola die Plünderung und Privatisierung von Wasserreserven in Indien vor. Das Unternehmen ist eines von 25 Firmen, Lobbyverbänden und Parteizentralen – darunter Shell, die Deutsche Bank und die FDP –, denen rund 20 Kleingruppen von XR am Donnerstagmorgen einen Besuch abstattete, um die Umweltzerstörung des derzeitigen Wirtschaftssystems anzuprangern. »Wir machen heute sichtbar, wer an dieser Zerstörung beteiligt ist«, erklärt XR-Sprecherin Amelie Meyer.
Die Aktionen leiten die diesjährige »Frühlingsrebellion« ein, die sich den Themen Biodiversitätskrise und sozialer Ungerechtigkeit widmet. Extinction Rebellion fordert, die Bundesregierung solle den Biodiversitätsnotstand verkünden und einen gelosten, repräsentativen Bürger*innenrat einberufen, um Maßnahmen für eine gerechte Lösung der Energie- und Umweltkrise zu entwickeln.
Das Kunstöl, mit dem die Filialen überschüttet wurden, ist biologisch abbaubar und lässt sich mit Wasser abwaschen. Ein Mitarbeiter von Coca Cola hat trotzdem kein Verständnis. »Und wer macht das weg? Dreckspack, geht arbeiten!«, schreit er den fünf Aktivist*innen nach, die sich nach der Aktion schnell entfernen, um dasselbe beim nahegelegenen Chemiekonzern BASF zu wiederholen. Doch bevor sie dazu kommen, werden sie schon von einem Polizeiauto eingeholt. Wenig später sind es 20 Polizist*innen, die die Aktivist*innen sowie Pressevertreter*innen eine Stunde lang festhalten. Schließlich wird Hanna in Handschellen abgeführt und in eine Gefangenensammelstelle gebracht, alle Übrigen dürfen gehen.
»Absolut unverhältnismäßig« nennt Christian, einer der vier verbliebenen Aktivisten, den Polizeieinsatz gegenüber »nd«. Schließlich sei »nichts kaputt gegangen und niemand stand im Stau«. Bei der Gruppe überwiegt trotzdem die Zufriedenheit. »Wir müssen die Verursacher der Krise ans Licht zerren«, sagt Paul. Repressionen gelte es in Kauf zu nehmen.
Frank kritisiert, dass Konzerne wie Coca Cola durch Lobbyismus Grenzen »immer weiter in die Zukunft« verschieben, also zum Beispiel ein Verbot von Plastikflaschen. Dafür sollte es eine gesetzliche Regelung geben, findet Christian. Paul hofft, dass durch die »Frühlingsrebellion« angestoßene Diskussionen vielleicht auch Coca Cola-Mitarbeiter*innen zum Nachdenken anregen, ob sie wirklich weiter für diesen Konzern arbeiten wollen. Coca Cola selbst ließ eine nd-Anfrage zu den Vorwürfen der Klimagruppe unbeantwortet.
Am Donnerstagmittag nehmen rund 400 Menschen an einer ironischen »Demonstration der Superreichen« teil. »Obwohl Superreiche den 200-fachen CO2-Abdruck deutscher Durchschnittspersonen haben, werden die Kosten des Hyperkonsums, Steuererlass für die Superreichen und stetig steigende Steuern für die Mehrheit von der breiten Masse der Bevölkerung getragen. Schluss damit!«, fordert XR auf Twitter. Zur abschließenden Kundgebung am Brandenburger Tor zünden Aktivist*innen vom obersten Stockwerk des Hotels Adlon – einer beliebten Unterkunft der Superreichen – Rauchbomben und lassen ein Banner herunter mit der Aufschrift: »We can’t afford the super rich!« (»Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten!«)
Im Rahmen der »Frühlingsrebellion« plant Extinction Rebellion bis Montag weitere Demonstrationen und Aktionen zivilen Ungehorsams. Darüber hinaus laden die Aktivist*innen zu Workshops, gemeinsamen Essen, Musik- und Filmabenden ins Protestcamp im Invalidenpark in Mitte ein. Nicht-Berliner Aktivist*innen können hier auch übernachten. »Wir haben diesen Ort zwischen den Ministerien für Verkehr, Wirtschaft und Klimaschutz gewählt, weil vor allem diese Ministerien einer nachhaltigen Transformation im Wege stehen«, erklärt Manon Gerhard von XR.
Folgende Aktionen sind angemeldet: Samstag, 13 bis 17 Uhr, Bündnisdemonstration »Notstand Biodiversität« von der Bayer-Zentrale in Wedding zum Bundesumweltministerium; Sonntag, 16 bis 18 Uhr, »Küche für alle« am Schlesischen Tor in Kreuzberg; Sonntag, 13 bis 16 Uhr, Gehmeditation Biodiversitätskrise vom Brandenburger Tor zum Bundestag.
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