- Berlin
- Schwarz-Rot in Berlin
Law and Order in der Berliner Bildungsverwaltung
Wirbel um durchgestochene CDU-Personalentscheidungen für den künftigen Senat
Eigentlich haben sich CDU und SPD mit Blick auf die Besetzung der noch offenen Spitzenposten im künftigen Senat Stillschweigen auferlegt. Bis zum Ende des SPD-Mitgliederentscheids in gut einer Woche sollten Personalentscheidungen nicht nach außen dringen. Wie bei solchen Vereinbarungen üblich, gelingt das nur bedingt. So sickerte am Mittwoch durch, dass Neuköllns CDU-Sozialstadtrat Falko Liecke als Staatssekretär in die Senatsbildungsverwaltung wechseln soll.
Im Haus der bereits als gesetzt geltenden Senatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) soll Liecke der »B.Z.« zufolge künftig den Bereich Jugend und Familie verantworten. Der Noch-Stadtrat, der in der Vergangenheit immer wieder als innen- und migrationspolitischer Hardliner von sich reden gemacht hat, wollte sich zu seiner durchgestochenen Nominierung nicht äußern, dementierte diese aber auch nicht.
Die Kritik von Linken, Grünen und Teilen der SPD an der Personalentscheidung der CDU ließ dabei nicht lange auf sich warten. Ferat Koçak, Sprecher für antifaschistische Politik und Strategien gegen rechts der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, erklärt kurz nach Bekanntwerden der Personalie gegenüber dem nd-Newsletter »Muckefuck«, dass er es zugleich wenig verwunderlich finde, »dass Liecke auf der politischen Karriereleiter nach oben steigt, erst recht unter dem möglichen Regierenden Bürgermeister Kai Wegner«.
Wie der CDU-Landeschef mache auch Liecke »seit Jahren Politik und persönliche Karriere auf dem Rücken von Migrant*innen«, so Koçak weiter. Liecke verdanke seinen Sprung in die Landespolitik »vor allem auch der rassistischen Silvesterdebatte über Jugendliche in Neukölln«. Koçak sagt: »Neben der Hetze gegen junge Menschen mit Migrationsgeschichte oder Frauen mit Kopftuch ist mir keine Qualifikation von Liecke bekannt, die ihn zu einer guten Wahl als Jugendstaatssekretär macht.«
Tatsächlich war Liecke zehn Jahre Jugendstadtrat in Neukölln, bevor er nach der Wahl 2021 in die Abteilung Soziales des Bezirksamts wechselte. Auch ein im vergangenen Sommer auf einem Kleinen Landesparteitag verabschiedetes CDU-Programm gegen Kinderarmut trägt seine Handschrift.
Dass Liecke in der Hinsicht also kein komplettes Neuland betreten würde, sei ihr bewusst, sagt dann auch Marianne Burkert-Eulitz, die familien- und bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. »Natürlich hat Herr Liecke auf der einen Seite hier Erfahrungen. Auf der anderen Seite bin ich aber doch sehr besorgt, wenn ich mir seine Positionen zu Menschen mit Migrationsgeschichte anschaue.« Sollte Liecke wirklich Jugendstaatssekretär werden, »erwarte ich hier künftig selbstverständlich etwas anderes«, sagt Burkert-Eulitz zu »nd«.
Zuletzt hatte Liecke nicht nur im Zusammenhang mit der von der CDU losgetretenen Vornamensdebatte nach den Berliner Silvesterkrawallen Stimmung gemacht gegen Menschen mit Migrationsgeschichte. Auch kurz vor Beginn der Sondierungsverhandlungen im Februar meldete sich der Neuköllner noch einmal zu dem Thema zu Wort. »Die – mittlerweile erneut – unkontrollierte Migration in unser Land muss gestoppt werden«, forderte Liecke auf Facebook. Und fügte hinzu: »Die Belastungsgrenze ist erreicht.«
Lieckes Positionen sorgen nicht nur bei den Grünen für Grusel. Auch beim Koalitionspartner in spe ist man teilweise schwer irritiert. Der SPD-Abgeordnete Orkan Özdemir etwa bezeichnet die Personalie Liecke öffentlich als »Provokation« gegenüber den Sozialdemokraten. Er jedenfalls sei »absolut schockiert« von der Entscheidung, twitterte der antidiskriminierungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, der seine Partei freilich ohnehin seit Wochen vor einem Bündnis mit der CDU warnt und für den Gang in die Opposition plädiert.
In der CDU gibt man sich offiziell bedeckt. »Wir sagen dazu vorläufig gar nichts«, heißt es seitens der Pressestelle der Partei. Nur so viel: »Wir können die Personalie weder bestätigen noch dementieren.« Das gelte auch für die zweite am Mittwoch bekanntgewordene CDU-Entscheidung, die verglichen mit der zu Liecke fast schon wohlwollend aufgenommen wurde: Wie der »Tagesspiegel« berichtet, läuft sich für den Posten der Senatorin für Umwelt und Verkehr bereits CDU-Vizelandeschefin Manja Schreiner warm. Sie arbeite sich bereits ein, heißt es hier.
Gänzlich unumstritten ist auch die kolportierte Nachfolgerin von Grünen-Senatorin Bettina Jarasch nicht. Schließlich ist die Juristin Schreiner bislang Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau, des nach eigenen Angaben mitgliederstärksten Bauarbeitgeber- und Bauwirtschaftsverbands der Region. Konkreter formuliert: Ihr bisheriger Hauptberuf ist Baulobbyistin. Auch das wird nicht unbedingt als Top-Empfehlung bewertet.
Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB will trotzdem nicht vorschnell den Stab über Schreiner brechen. »Erst einmal würde auch sie als neue Senatorin 100 Tage kriegen. Alles andere wäre unfair«, sagt Wieseke zu »nd«. »Vielleicht überrascht sie uns ja und macht fulminante Sachen für den ÖPNV.« Letztlich stehe und falle das auch mit der Auswahl der Staatssekretäre. »Wenn da jemand vollkommen Unbelecktes kommt, dann wird es schwierig. Umgekehrt gilt: Wenn sie die richtigen Leute an ihre Seite zieht, kann das gut werden.«
Wieseke erinnert bei der Gelegenheit daran, dass es zwar allseits Aufregung über die unterbelichteten Passagen zum Tramausbau im schwarz-roten Koalitionsvertrag gebe. »Man muss aber eben auch feststellen, dass Berlin in Sachen Straßenbahn nach sechs Jahren von Grünen geführter Mobilitätsverwaltung sehr viel weiter sein könnte.«
Welche Prioritäten Schreiner als Mobilitätssenatorin setzen will, ist offen. Eine Anfrage blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. »Die Menschen haben andere Probleme als gendergerechte Sprache und Vorfahrt für Fahrräder«, hatte sie im Wahlkampf eine gewisse Geringschätzung gegenüber Radfahrenden erkennen lassen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.