- Politik
- Entscheidung über Anklage
Muss Österreichs Ex-Kanzler vor Gericht?
Dem in Korruptionsaffären verwickelten ÖVP-Politiker Sebastian Kurz wird eine Falschaussage im Parlament vorgeworfen
Im Gewirr an Affären um Ex-Kanzler Kurz zeichnet sich zumindest in einer Causa Klärung in einer entscheidenden Frage ab: Muss der ÖVP-Politiker vor Gericht oder nicht? In bislang zwei Ermittlungsverfahren wird er als Beschuldigter geführt. In der Ermittlungssache, die jetzt vor ihrem Abschluss stehen dürfte, geht es um den Vorwurf der Falschaussage. Der Vorgang wurde von der Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft (WKStA) an das Justizministerium in Wien übergeben. Dort wird demnächst über eine Anklage gegen den früheren Regierungschef entschieden.
Der Fall betrifft eine Aussage von Kurz vor einem Untersuchungsausschuss des Parlaments im Juni 2020. Unter Eid hatte Kurz da ausgesagt, in die Bestellung des Vorstandes der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG), die Unternehmensbeteiligungen des Staats verwaltet, nicht involviert gewesen zu sein. Konkret bezieht sich diese Aussage auf einen Personal-Auswahlprozess, der an allen bestehenden Ausschreibungsprozeduren vorbei durchgeführt wurde und den Anschein eines Liebesdienstes im Freundeskreis erweckt. Jedenfalls steht Kurz’ Aussage zu der Sache im krassen Widerspruch zu vorhandenen Chatprotokollen. Und auch jener Mann selbst, der 2019 ohne jegliche Management-Erfahrung und unter diesen sehr sonderbaren Umständen in den Chefsessel der ÖBAG gehievt worden war, widerspricht der Darstellung: Thomas Schmid. Die Ausschreibung für den Posten des ÖBAG-Vorstands verfasste er selbst.
Schmid war einer der engsten Vertrauten des ehemaligen Bundeskanzlers und Außenministers und der Mann fürs Grobe hinter ihm. Die auch Kurz belastenden Chats hatten Ermittler der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos 2019 auf dem Mobiltelefon von Thomas Schmid entdeckt. »Kriegst eh alles, was Du willst«, schrieb Kurz an Schmid. Der antwortete: »Ich bin so glücklich (…)! Ich liebe meinen Kanzler.«
Schmid ist der Knotenpunkt in einer ganzen Serie an Korruptionsaffären um Sebastian Kurz. Da geht es um systematische Manipulation der Medienberichterstattung mit Staatsmitteln, unlautere Wahlkampffinanzierung oder um Beziehungspflege zum Großunternehmertum durch die freundschaftliche Behandlung von Steuerakten. Mittlerweile dient sich Schmid den Ermittlern als Kronzeuge an. Er sagt: Kurz wusste sehr wohl Bescheid über seine Bestellung in den ÖBAG-Vorstand über eine Job-Ausschreibung, die er sich als Generalsekretär im Finanzministerium auf den Leib schrieb. Mehr noch. Der Kanzler sei selbst aktiv in der Sache geworden. Damit könnte Schmid dafür sorgen, dass der Mann, den er so liebte, als erster Bundeskanzler Österreichs hinter Gitter muss.
Angesichts der Fülle an Vorwürfen gegen Kurz, die in der Folge der ÖBAG-Affäre aufgekommen waren, wirkt der Vorwurf der Falschaussage heute beinahe wie ein juristischer Nebenschauplatz in einer Angelegenheit, die weit zurückliegt. Der Vorwurf allerdings wiegt schwer: Ein amtierender Kanzler soll demnach wissentlich das Kontrollorgan Parlament belogen haben. Und das ist bei Weitem nicht alles.
Denn die Ermittlungen zu der Sache sind für sich genommen zu einem Politikum geworden. Begleitet worden waren sie von permanenten Angriffen Kurz’ und seines Umfelds auf die ermittelnde WKStA. Der Vorwurf: Die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft sei von Sozialisten unterwandert und führe eine Kampagne gegen Kurz, um diesen politisch zu vernichten. Angemerkt sei dazu: Das Justizministerium in Wien gilt als ÖVP-Hochburg. Aktuell wird es von einer grünen Ministerin geführt. Alma Zadic hat es letztlich zu verantworten, wie weiter verfahren wird.
Es wäre das erste Mal in der österreichischen Geschichte, dass ein Ex-Kanzler vor Gericht muss. Kurz beteuert indes in Interviews seine Unschuld in dieser Sache und dass er überhaupt niemals etwas Unrechtes getan habe.
Allerdings dürfte die jetzt im Raum stehende Anklage in der Causa Falschaussage nur der Auftakt zu noch sehr viel mehr Ungemach mit der Justiz sein. Nach wie vor wird Kurz in der Affäre um Absprachen zu Postenbesetzungen mit politischen Freunden beim Glücksspielbetreiber Casinos-Austria als Verdächtiger geführt. Und sehr nah an den Ex-Kanzler heran reichen auch die Ermittlungen zu frisierten Kurz-freundlichen Umfragen, die aus Mitteln des Finanzministeriums finanziert wurden. Gegen Regierungsinserate wurden solche in einigen Medien platziert. Hinzu kommt der Fall von Anzeigen im Tausch gegen ÖVP-freundliche Berichterstattung an sich. Offene Fragen gibt es zur Wahlkampf- und Parteienfinanzierung – um nur einiges zu nennen. Allein die Aussagen des Hauptzeugen Thomas Schmid füllen 454 Seiten.
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