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Schach-WM 2023: Ein Hauch von Samba

Die Schachspieler Jan Nepomnjaschtschi und Ding Liren liefern sich ein spannendes WM-Duell auf Augenhöhe

  • Noah Kohn
  • Lesedauer: 4 Min.
Ob Jan Nepomniaschtschi (l.) die Schach-WM mit Ding Liren Spaß macht, sieht man ihm nicht an. Er hat aber gute Chancen, sie zu gewinnen.
Ob Jan Nepomniaschtschi (l.) die Schach-WM mit Ding Liren Spaß macht, sieht man ihm nicht an. Er hat aber gute Chancen, sie zu gewinnen.

Die 49. Schachweltmeisterschaft war dem noch amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen zu langweilig geworden, um selbst anzutreten – und womöglich seinen sechsten WM-Titel und ein Preisgeld von 1,2 Millionen Euro zu gewinnen. Der Weltschachverband Fide fand trotzdem zwei Spieler, die derzeit in der kasachischen Hauptstadt Astana um den wichtigsten Titel im Schachsport spielen: den Russen Jan Nepomnjaschtschi, der sich im letzten Jahr als Sieger des Kandidatenturniers in Madrid für die WM qualifizierte, und Ding Liren aus China, der als Zweitplatzierter hinter Nepomnjaschtschi für den aussetzenden Carlsen nachrückte. 

Seit einer Woche läuft die WM, sechs Partien wurden bereits gespielt. Ob die Spieler dabei so wenig Spaß haben, wie Carlsen für sich befürchtete, ist den beiden am Brett schwer anzusehen: Stundenlang berechnen Nepomnjaschtschi und Ding Zugabfolgen, um möglichst aussichtsreiche Stellungen im Spiel zu erreichen – Emotionen zeigen beide dabei nur selten, wohl auch, um sich vom Gegenspieler nicht in die eigenen Karten schauen zu lassen. »Wenn man alles nach Spaß bewertet, dann sollte man eher zum brasilianischen Karneval als zum klassischen Schach«, antwortete Nepomnjaschtschi im vergangenen Jahr im Interview mit dem Russischen Schachverband auf die Frage, ob das WM-Format spaßiger gestaltet werden müsse. Der 32-Jährige ist nicht nach Astana gekommen, um lustige Partien zu spielen – Nepomnjaschtschi möchte Schachweltmeister werden. 

Tatsächlich erinnert die diesjährige Schach-WM bislang nur bedingt an den brasilianischen Karneval. Weniger spektakulär und deutlich langsamer als die knallbunten Samba-Paraden auf den Straßen Rio de Janeiros kommt der russisch-chinesische Tanz der Schachfiguren auf dem schwarz-weißen Dancefloor im St. Regis Hotel im Zentrum von Astana daher – einige schöne Motive und Choreografien bieten die Spieler den vielen Zuschauern weltweit vor den Bildschirmen aber trotzdem; wenn sie denn genügend Geduld mitbringen, denn so eine klassische Schachpartie kann auch mal mehr als vier Stunden dauern. Vor allem aber tanzen die beiden Spieler auf Augenhöhe und liefern sich spannende Duelle, mit leichten Vorteilen für Nepomnjaschtschi. 

Der Großmeister startete souverän gegen Ding in die Weltmeisterschaft und verpasste es im Auftaktspiel mit den weißen Figuren nur knapp, einen Sieg zu erspielen – das Spiel endete remis. Bereits einen Tag später nutzte Nepomnjaschtschi die Fehler seines Kontrahenten besser aus, sodass Ding nach nicht einmal 29 Zügen aufgab. Damit gewann Nepomnjaschtschi sein erstes WM-Match überhaupt, nachdem er vor zwei Jahren schon einmal Magnus Carlsen herausgefordert hatte und chancenlos geblieben war – sieben Unentschieden und vier Niederlagen setzte es damals in Dubai gegen den besten Schachspieler der Welt. 

Der Weltranglistenzweite Nepomnjaschtschi hat aus der Erfahrung bei seiner ersten WM gelernt, macht weniger Fehler und wirkt mental stärker am Brett als sein Gegner. Zwar verlor er die vierte Partie gegen Ding, nachdem die dritte in einem Remis endete, jedoch nutzte er den Ruhetag, um sich im bitterkalten Astana zu sammeln und dann in der fünften Partie zurückzuschlagen: Mit der Spanischen Eröffnung erarbeitete er sich nach und nach kleine Vorteile, baute Druck auf dem Königsflügel auf und zwang Ding so zu Fehlern – der 30-Jährige, der der erste chinesische Schachweltmeister werden könnte, gab im 48. Zug auf. »Ich glaube, er hätte sich selber nicht erträumen können, dass er damit so leicht gewinnt«, kommentierte der neue Bundestrainer der deutschen Schach-Nationalmannschaft, Jan Gustafsson, die Herangehensweise Nepomnjaschtschis in einer Liveübertragung der Partie. 

Für einen Sieg gibt es einen Punkt, ein Remis bringt 0,5 Punkte – der erste Spieler, der 7,5 Punkte erreicht, gewinnt die Schach-WM. Falls das keinem der Spieler in 14 Partien gelingen sollte, geht das Duell um die Schachkrone in die Verlängerung: Vier Schnellschachpartien würden folgen. Steht dann immer noch kein Sieger fest, wird der Weltmeister im Armageddon-Modus (bei dem der Spieler mit den weißen Figuren mehr Zeit bekommt, aber gewinnen muss) ermittelt. 3:2 führte Nepomnjaschtschi am Samstag, entschieden ist das Duell aber noch lange nicht, wie die sechste Partie am Sonntag zeigte: Ding holte seinen zweiten Sieg, der Chinese glich damit zum 3:3 gegen Jan Nepomnjaschtschi aus.

Beiden Spielern ist ein WM-Sieg zuzutrauen. Dass dabei mal wieder so etwas wie Spannung bei einer Schachweltmeisterschaft aufkommt, ist auch Magnus Carlsen zu verdanken. Wäre der seit zehn Jahren amtierende Weltmeister abermals zur Titelverteidigung angetreten, hätte wohl wieder Langeweile am Brett geherrscht – es wäre ja schon vorher klar gewesen, wer später triumphieren würde.

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