Flucht aus Abschiebehaft: Aufruf zur Selbstjustiz in Dresden

Behörden wollen nach Flucht abgelehnter Asylbewerber Verschärfung der Abschiebehaft prüfen

Das Abschiebegefängnis an der Hamburger Straße in Dresden könnte bald noch mehr gesichert werden.
Das Abschiebegefängnis an der Hamburger Straße in Dresden könnte bald noch mehr gesichert werden.

Nach der erfolgreichen Flucht von zwei abgelehnten Asylbewerbern aus der Abschiebehaft in Dresden wollen die Behörden Verschärfungen in der Anstalt prüfen. Das sagte die Präsidentin der Landesdirektion Sachsen, Regina Kraushaar, am Montagnachmittag in einer Pressekonferenz. Demnach könnte eine neue Regelung vom September rückgängig gemacht werden, wonach die Insassen nachts Flure, Duschen und Gemeinschaftsräume betreten dürfen.

In der Nacht zum Sonntag waren zwei Algerier im Abstand von einer knappen halben Stunde aus der Einrichtung an der Hamburger Straße geflohen. Dabei sollen die 30 und 31 Jahre alten Männer ein Fenster in der ersten Etage der Unterkunft geöffnet und sich mit Bettlaken in den Außenbereich abgeseilt haben. Dort sollen sie einen drei Meter hohen Zaun überwunden haben, der mit sogenanntem Nato-Draht gesichert war. Fraglich sei, wie die Männer ohne einen Spezialschlüssel das Fenster öffnen konnten, so Kraushaar. Deshalb ermittele auch die Kriminalpolizei wegen des Verdachts der Gefangenenbefreiung.

Das Abschiebegefängnis am Rand der Innenstadt wird von einem privaten Sicherheitsdienst bewacht, der die Flucht erst drei Stunden später bemerkte. Ein ausgelöster Alarm sei mehrfach »manuell weggedrückt« worden. Kraushaar sprach deshalb von erheblichen Fehlern bei der Überwachung. Auch dies sei nun Gegenstand der Ermittlungen. Die Alarmanlage sei zuletzt aufgrund häufiger Fehlalarme zunehmend ignoriert worden.

Die Linke-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger sagte zu »nd«, der Vorfall dürfe »keinesfalls dazu genutzt werden, die Bedingungen in der Abschiebehaft wieder zu verschärfen und die Inhaftierten noch mehr Kontrolle und Überwachung zu unterziehen«. Besser wäre es aus ihrer Sicht, die Abschiebehaft abzuschaffen. »Es ist ein Unding, Menschen aus dem alleinigen Grund einzusperren, damit man sie leichter abschieben kann«, sagte die fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion.

So sieht es auch die Europaabgeordnete Cornelia Ernst, die ihren Wahlkreis in Dresden hat und in Brüssel für die Themen Asyl und Migration zuständig ist: »Das fatale System der Abschiebungen und Abschiebehaft muss abgeschafft werden«, sagte Ernst zu »nd«. Mit weiteren sächsischen Abgeordneten der Linkspartei hatte sie das Dresdner Abschiebegefängnis im Herbst besucht.

Vor einem Jahr hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) zur Unterbringung von abgelehnten Asylbewerbern in Deutschland geurteilt und bekräftigt, sie dürften nicht in gefängnisähnlichen Einrichtungen eingesperrt werden. Bei einer Unterbringung zusammen mit Strafgefangenen etwa aufgrund von Kapazitätsproblemen müsse ein Haftrichter prüfen, ob dies tatsächlich notwendig ist.

»Abschiebehaft ist keine Strafhaft, auch das Entweichen stellt keine Straftat dar«, betonte die Leipziger Landtagsabgeordnete der Linken, Jule Nagel, auf Anfrage. Wenn die sächsische Landesregierung nun über die Verschärfung des Vollzugs nachdenke, missachte sie die Rechtsprechung des EuGH. Diese werde ohnehin kaum umgesetzt. Stattdessen gebe es »reglementierte Hofzeiten von maximal einer Stunde, vergitterte, nicht zu öffnende Fenster, ein mit Stacheldraht umzäuntes, videoüberwachtes Gelände und überwachte Besuchsräume«, monierte Nagel. Auch fehle in Sachsen eine Präsenz-Beratungszeit durch die unabhängige Abschiebehaftkontaktgruppe.

In der Einrichtung an der Hamburger Straße sollen zuletzt zwölf abgelehnte Asylbewerber untergebracht gewesen sein. Insgesamt soll sie über 58 Haftplätze verfügen. Im Januar 2020 waren schon einmal drei abgelehnte Asylbewerber von dort geflohen. Einer von ihnen war werdender Vater, seine Frau erlitt bei einem Besuch vorzeitige Wehen. Darauf hatte die Abschiebehaftkontaktgruppe in einer Pressemitteilung aufmerksam gemacht.

Unterdessen nutzt die rechtsradikale Kleinpartei Freie Sachsen den Vorfall für ihre rassistische Propaganda. Man habe »Fahndungsmaßnahmen« ergriffen, teilte sie auf ihrem Telegram-Account mit mehr als 150 000 Followern mit. Clara Bünger forderte, Innenminister Armin Schuster (CDU) und die Polizei müssten diesen »niederträchtigen« Aufruf zur Selbstjustiz unterbinden. Die Polizei Sachsen teilte mit, man habe Screenshots gesichert und an die Polizeidirektion Dresden weitergeleitet.

Auch einer der Wachleute soll sich in rechten Zusammenhängen bewegen und an verschwörungsideologischen Demonstrationen teilgenommen haben, berichten Fotojournalisten des Netzwerks Vue Critique ebenfalls auf Twitter. Er soll am Wochenende vor dem Abschiebegefängnis einen Kameramann angegriffen haben.

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