Modell Eisenbahn in Ketzin

Kommunalpolitik wünscht Pendelverkehr zum Bahnhof Wustermark

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Am alten Bahnhof von Ketzin setzen neun Gleise langsam Rost an.
Am alten Bahnhof von Ketzin setzen neun Gleise langsam Rost an.

Kinder bauten diese Modelleisenbahn der echten Strecke von Ketzin nach Wustermark. Sie ist noch nicht fertig. Aber der Personenzug kann schon fahren. Der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke) sieht sich das am Montagnachmittag im alten Bahnhof von Ketzin an. Dass möglichst bald ein richtiger Pendelverkehr nach Wustermark eingerichtet wird, davon träumt er. In Wustermark könnten die Fahrgäste umsteigen und zügig nach Berlin gelangen. Aber die 18-minütige Reise mit Wasserstoffantrieb und Tempo 60 bis 80 ist noch Zukunftsmusik.

In der Rangliste alter Bahnstrecken, die in Brandenburg wieder in Betrieb genommen werden könnten, ist der sechs Kilometer lange Abschnitt allerdings im Fördertopf B gelandet. Das bedeutet: Dieses Projekt gilt nicht als vordringlich. Erst einmal sind andere dran. Wenn es zehn Jahre dauert, dann ist er 71 Jahre alt, rechnet der Bundestagsabgeordnete Görke. Ihn ärgert die »Schleichfahrt«, mit der diese sinnvolle Reaktivierung langsam bis überhaupt nicht vorangetrieben wird.

Ludolf Kerkeling, Vorstand der Havelländischen Eisenbahn AG (HVLE), steht dem Pendelverkehr positiv gegenüber. Seine Aktiengesellschaft hat die Strecke an einen Verein verpachtet, der dafür aber keine Summe überweist, sondern lediglich die Gleise in Schuss hält. Das geht für Kerkeling so in Ordnung. Er betont aber schmunzelnd: »Unser Geschäft ist nicht, kein Geld zu verdienen.« Im Moment transportiert die Havelländische Eisenbahn bloß Güter und keine Menschen. Der Personenverkehr würde sich hier nicht rechnen. Aber das ist kein Manko. Regionalzüge rentieren sich nirgendwo. Sie werden in der Bundesrepublik immer von den Bundesländern bestellt und bezuschusst. Die Bahnanbindung von Ketzin wäre also eine politische Entscheidung, erinnert Kerkeling.

2019 wurde eine Machbarkeitsuntersuchung der Beratungsfirma Innoverse fertig. Sie bezifferte die Kosten auf 15 Millionen Euro. Angesichts der gestiegenen Baupreise würde man sich zum jetzigen Zeitpunkt sicherlich der Marke von 20 Millionen Euro nähern, vermutet Kerkeling. Skeptisch steht er einem Probebetrieb auf Sparflamme gegenüber, bei dem auf der nicht voll ertüchtigten Strecke nur alte Fahrzeuge als Bummelzüge verkehren. Dann würden wahrscheinlich viel zu wenig Fahrgäste einsteigen. »Da werden wir den Nachweis erbringen, dass der Bedarf nicht da ist und anschließend wäre das Thema tot«, befürchtet Kerkeling. »Das wäre meine Sorge. Damit hätte ich Bauchschmerzen.«

Dabei könnte der Pendelverkehr eine Erfolgsgeschichte werden, wenn man es richtig anpackt. Dieser festen Überzeugung sind auch die Kommunalpolitiker, die sich am Montag mit Christian Görke treffen. Die ersehnte Bahnverbindung habe »enormes Potenzial«, glaubt Wustermarks Bürgermeister Holger Schreiber (parteilos). In seiner Gemeinde entstünden neue Jobs. 10 000 Arbeitsplätze werde man künftig haben. Aber irgendwo müssen die Leute ja wohnen. Die Wohnungen für 1200 Einwohner, die in der alten Zuckerfabrik von Ketzin eingerichtet werden sollen, wären eine Möglichkeit.

Die Bevölkerung von Ketzin wächst leicht. In der Kleinstadt mit den Ortsteilen Etzin, Falkenrehde, Paretz, Tremmen und Zachow leben inzwischen knapp 7000 Einwohner. Es könnten schon viel mehr sein. Schließlich grenzt die Kommune an Berlin und Potsdam. Als Wohnsitz von Berufspendlern wachsen fast alle anderen Städte und Gemeinden im Speckgürtel der Hauptstadt viel schneller. Ketzin liege wegen der fehlenden Bahnanbindung im »Niemandsland«, bedauert HVLE-Vorstand Kerkeling.

Zwar gibt es eine Buslinie, doch die sei unzureichend, beklagt Bürgermeisterin Katrin Mußhoff (SPD). Eine Fahrt ins Berliner Zentrum dauere so 70 Minuten und damit viel zu lange. Ketzin werde auf diese Weise eine positive Entwicklung vorenthalten. Sozialdemokrat Jürgen Tschirch assistiert: Familien könnten sich heute unter Umständen keinen Zweitwagen leisten, damit Vater und Mutter zur Arbeit kommen. Tschirch ist Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung von Ketzin und bekräftigt: »Insofern bin ich ein begeisterter Befürworter der Reaktivierung der Bahnstrecke.«

Peter Cornelius, Landesvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn, wird prinzipiell: »Wir befürworten jegliche Reaktivierung.« Wenn Deutschland wie beabsichtigt die Zahl der Bahnreisenden tatsächlich bis 2030 verdoppeln wolle, dann schaffe sie das nicht auf den Fernstrecken. Sie müsse Nebenstrecken reaktivieren, meint der Bundestagsabgeordnete Görke. In Ketzin sollte nicht gezögert werden. »Die Bedingungen hier sind wirklich optimal.«

Die Landtagsabgeordneten Andrea Johlige (Linke) lebt in der Gemeinde Wustermark und kennt sich aus. »Die Kommunen wollen es, und wir wissen, dass es machbar ist«, sagt sie. »Es ist eine Frage des politische Willens.« Johlige kündigt an, einen Antrag für den Landtag zu entwerfen. Dann hätten die Abgeordneten Gelegenheit, sich zu bekennen.

2020 hatte Brandenburgs Infrastrukturminister Guido Beermann (CDU) mit Blick auf die Machbarkeitsstudie versprochen: »Wir werden uns die Zahlen ganz genau angucken.« Am Dienstag erklärt sein Ressort: »Im Rahmen des neuen Landesnahverkehrsplans wurden für Strecken und Halte Reaktivierungspotenziale untersucht. Die Strecke Wustermark-Ketzin wurde im Gutachten der Kategorie B zugeordnet und gilt damit als potentielle Reaktivierungsstrecke.« Für diese Strecke sei daher nunmehr vorgesehen, »zunächst eine Machbarkeitsstudie mit einer differenzierten Betrachtung von Nutzen und Kosten durchzuführen«. Ziel sei, bei Bund Fördermittel für die Investition zu beantragen, sofern künftig Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, damit das Land dann auch Personenzüge auf dieser Strecke bestellen kann.

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