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Andreas Babler: Bernie-Sanders-Moment in Österreich
Andreas Bablers Kandidatur für den SPÖ-Parteivorsitz ist ein unverhoffter Bernie-Sanders-Moment, der die verkrustete Sozialdemokratie aufwecken möchte
Der Blick nach rechts ist heute ein Blick nach links und nach Österreich. Links und Österreich mag ungewöhnlich klingen, berichte ich an dieser Stelle doch meistens von rechts aus Österreich. Aber es gibt hier einen Zusammenhang.
Im Moment ist in allen Umfragen die FPÖ die stärkste Partei. Die FPÖ erhebt nicht einmal mehr den Anschein, gemäßigt zu sein. Der Wolf hat das Kreidefressen aufgegeben und heult nur noch das Fraßlied. Alles, was das Arsenal des Kulturkampfs hergibt, wird hier genutzt: Drag Shows und Mindestsicherung oder die Klassiker: Verschwörungserzählungen und irgendwas mit Ausländern. Die konservative ÖVP hat längst die meisten Themen übernommen und hofft so, sich auf Platz 2 halten zu können. Im flächenmäßig größten Bundesland, Niederösterreich, koaliert man mittlerweile miteinander. Erster und wichtigster Programmpunkt: 30 Millionen Euro an Covid-Entschädigungen. Nein, nicht für das Gesundheitspersonal oder Schattenfamilien, sondern an Querdenker*innen und angebliche Impfopfer. Die Ausgangslage ist eher trist. Doch ein Funken Hoffnung kommt just auch aus Niederösterreich.
Der 50-jährige Bürgermeister Andreas Babler bewirbt sich für den Parteivorsitz der Sozialdemokratie. Er ist Bürgermeister des Industriestädtchens Traiskirchens wenige Kilometer vor Wien. Normalerweise wäre das nicht besonders beachtlich, weil er keine Chance hätte. Aber die hat er nun doch und das eher zufällig. Dazu muss man wissen, dass die aktuelle Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner nicht besonders beliebt ist, weil sie (als studierte und praktizierende Ärztin und Spezialistin für Infektionskrankheiten) es in der Covid-Krise nicht geschafft hat, an FPÖ und ÖVP nachhaltig vorbeizuziehen. Grund dafür war auch viel interne Beschäftigung durch die Querschüsse des burgenländischen Landeshauptmanns Hans-Peter Doskozil, der einen deutlich rechteren Asyl-Kurs einfordert. Show-Down war, als man sich darauf einigte, den Mitgliedern die Wahl zu geben: Rendi-Wagner oder Doskozil. Beide rechneten mit einem Duell um die Spitze. Der Ökonom Nikolaus Kowall fragte sich zurecht, warum es nur diese beiden – aus seiner Sicht schlechten – Optionen gibt und verkündete schlicht seine Kandidatur. Das war so nicht vorgesehen. Die Parteispitze haderte merklich mit dieser unerwarteten Demokratisierung der Vorsitzwahl. Wenig später gab Andi Babler seine Kandidatur bekannt, und Kowall zog zugunsten des prominenteren Babler zurück.
Aber warum ist die Kandidatur von Babler so etwas Besonderes? Traiskirchen ist nicht irgendein Örtchen, sondern Standort des größten Flüchtlingserstaufnahmezentrums Österreichs. Dieses Zentrum wird aus politischen Gründen gerne absichtlich überfüllt. Menschen hausen dort in unwürdigsten Bedingungen. Es wäre ein leichtes für Babler, sich Doskozil zum Vorbild zu nehmen und etwa zu fordern, dass dieses Lager nicht vor seiner Haustüre steht. Babler geht einen anderen Weg: Er versucht, die Not der Schutzsuchenden zu lindern, organisiert Hilfe und initiiert Begegnungsräume. Gleichzeitig macht er handfeste und konkrete Klassenpolitik, etwa indem er gratis Tickets für den öffentlichen Verkehr oder kostenloses und gesundes Schulessen für Kinder möglich macht. Als Kind einer Semperit-Arbeiterfamilie stehen für ihn Arbeiter*innen im Mittelpunkt. Das mag alles nicht so aufregend klingen, für Österreich ist es nahe an der Revolution. Ein Kabarettist witzelte mit dem nötigen Ernst, dass es erstaunlich ist, dass sich ein Sozialdemokrat für die Spitze der SPÖ bewirbt.
Beachtlich ist auch die Bewegung, die rund um Babler entsteht. 9000 Menschen sind in die Sozialdemokratie nach der Bekanntgabe seiner Kandidatur eingetreten. Die Partei hatte davor 150.000 Mitglieder.
Die konservative und rechte Presse überschlägt sich mit Räubergeschichten. Sie malt die schlimmsten Szenarien an die Wand. »Wirtschaftlicher Selbstmord« sei es etwa von Babler, Arbeitszeitverkürzung zu fordern, meint Franz Schellhorn, Leiter des neoliberalen Think Tank Agenda Austria. »Unrealistische Utopien«, die »keine gute Nachricht« sind, urteilt die bürgerliche Zeitung »Die Presse«. Die rechtskonservative Journalistin Rosemarie Schwaiger verstieg sich in einer Diskussionssendung gar dazu, Kinderarmut zu leugnen: Sie wisse gar nicht, von was Babler hier spricht, in Österreich müsse schließlich niemand hungern. Die Wochenzeitung »Profil« stellte schockiert fest: Babler ist Marxist.
Es ist ein unverhoffter Bernie-Sanders-Moment, der die verkrustete Sozialdemokratie aufwecken möchte. Es ist auch die einzige Chance, eine FPÖ-Kanzlerschaft zu verhindern. Die ÖVP rückt schon von ihrem »Nein« zu einer Koalition mit FPÖ-Chef Herbert Kickl ab. Kickl und seine Partei sind auch deswegen unangefochten vorne, weil sie ganz für sich allein die Kontra-Position einnehmen können. Wie Sanders kann Babler hier den Rechten viel gefährlicher werden, als es zentristische Kandidat*innen könnten, weil er ihnen genau dieses Dagegensein abspenstig machen könnte. Und das authentisch, glaubwürdig und solidarisch.
Wer hätte gedacht, dass das kleine Österreich so einen Moment politischer Hoffnung zustande bringt? Es wird sich zeigen, ob er eingelöst werden kann.
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