Emmauswald in Neukölln gewinnt Zeit: Vorerst wird nicht gebaut

Der Bebauungsplan der Vonovia-Tocher Buwog fällt durch. Das Biotop auf dem ehemaligen Friedhof müsse geschützt werden

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.
»Wir sind hier, wir sind laut, der Emmauswald wird nicht bebaut!«, fordern die Teilnehmer*innen der Kundgebung am Rathaus Neukölln.
»Wir sind hier, wir sind laut, der Emmauswald wird nicht bebaut!«, fordern die Teilnehmer*innen der Kundgebung am Rathaus Neukölln.

Der Flächenkonflikt zwischen dem Emmauswald in Neukölln und einem Wohnungsbauprojekt der Vonovia-Tochter Buwog geht in die nächste Runde: In der Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses am Dienstagabend wird den Plänen des Immobilienunternehmens eine klare Absage erteilt. Aber auch die Initiative »Emmauswald bleibt«, die mit knapp 50 Menschen an der Sitzung teilnimmt und den Ankauf des Friedhofsgeländes durch eine Stiftung vorschlägt, kann noch nicht aufatmen. 

»Wir wollen, dass kein Teil des Waldes abgerissen wird«, sagt Hannah Vongries während einer Kundgebung zu »nd«, mit der die Initiative vor Sitzungsbeginn am Rathaus Neukölln gegen den Bebauungsplan »Emmauskirchhof West« protestiert. Über 100 Unterstützer*innen sind gekommen, um ihrem Ärger über die Buwog Luft zu machen. Der Emmauswald an der Ecke Mariendorfer Weg, Hermannstraße, südlich des Tempelhofer Felds, sei ein vier Hektar großes Biotop auf einem ehemaligen Friedhof mit 135 Jahren Vegetation und 725 Bäumen, von denen 230 als erhaltenswert eingestuft würden, erklärt Judith König von der Initiative. Außerdem lebten dort streng geschützte Vogelarten.

Die Buwog hat das Gelände des früheren Friedhofs sowie eine angrenzende Brache 2016 gekauft und will im kommenden Jahr mit dem »Projekt Neumarien« – dem Bau von 640 Wohnungen – beginnen. »Eine Mischung aus Eigentum, frei und gefördert«, wie Thomas Mahler, Standortleiter der Buwog in Berlin, in einer Präsentation zu Beginn der Ausschusssitzung mitteilt. Genau genommen sollen die rund 200 geförderten Wohnungen auf der derzeit brachliegenden Fläche entstehen, während der bewaldete Teil fast 450 Eigentumswohnungen zum Opfer fallen soll.

»Gegen Sozialwohnungen auf der Brachfläche haben wir gar nichts einzuwenden, im Gegenteil: Diesen Kompromiss würden wir sehr befürworten«, erklärt die Anwohnerin Selma gegenüber »nd«. Auf der Fläche des Emmauswalds selbst gehe es aber nun einmal nicht um bezahlbaren Wohnraum. Neukölln brauche nicht noch mehr Eigentumswohnungen für Haushalte mit hohem Einkommen. Allerdings, so sagt Thomas Mahler von der Buwog nach dem Ausschuss zu »nd«, könne man bei Baukosten von 5000 Euro pro Quadratmeter nicht nur Sozialwohnungen errichten. Wobei mit Blick auf den gegenüber dem Emmauskirchhof liegenden Wohnpark St. Marien fraglich ist, ob die Buwog Eigentumswohnungen überhaupt loswürde: Laut Website des dortigen Eigentümers Petruswerk stehen in dem Wohnpark nämlich fast 70 Wohnungen leer – vermutlich, weil sich kaum jemand die Quadratmeterpreise von 20 bis 25 Euro Warmmiete leisten kann.

Abgesehen davon: »Warum in Zeiten der Klimakrise ein Ökosystem zerstören?«, will Judith König wissen. Die Frage stellt sich nicht nur in Neukölln. Manfred Schubert von der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz zählt dem Stadtentwicklungsausschuss ehemalige Friedhöfe in Mitte, Reinickendorf und Mariendorf auf, die bereits bebaut wurden, seit die Bestattungszahlen zurückgehen und viele Ruhestätten nicht mehr gebraucht werden. Positives Gegenbeispiel sei der Leise-Park im Prenzlauer Berg, für den ein Friedhof – ebenfalls nach Protest von Anwohner*innen – zur Grünfläche umgewidmet wurde, sodass sie dauerhaft erhalten bleibt. Das sollte nach Ansicht von Schubert und der Initiative »Emmauswald bleibt« auch mit dem Emmauskirchhof passieren.

Mahler hält den eigenen Bauplan schon für einen Kompromiss. Erstens sei der Emmauswald in rechtlicher Hinsicht gar kein Wald, sondern lediglich »ein mit Bäumen bestückter Friedhof«, zitiert Mahler die Berliner Forsten. Und zweitens verzichte die Buwog auf ein ursprünglich geplantes Gebäude, zwischen den anderen sollten viele schützenswerte Linden erhalten bleiben und einen Bau habe man sogar um eine 200 Jahre alte Eiche herum geplant. Tatsächlich haben sich die Grünflächen im Vergleich zu früheren Plänen von 2013 und 2017 – das B-Planverfahren zieht sich bereits seit 2011 – deutlich vergrößert. »Das war allerdings keine Idee des Investors, sondern eine Vorgabe des Bezirks«, stellt Stadtentwicklungsamtsleiter Rolf Groth klar.

Eine weitere Vorgabe: Es soll einen 100-prozentigen Grünausgleich geben. Das gelingt der Buwog auf dem Projektgelände nicht, wie auch das Umwelt- und Naturschutzamt Neukölln kritisiert. Daher will die Buwog die Zerstörung des Emmauswalds durch Baumpflanzungen auf der Rudower Höhe ausgleichen – also fast zehn Kilometer vom Emmauswald entfernt. »Ausgleichsflächen sind Mist«, sagt dann auch ein Redner der Initiative. Der Emmauswald bestehe ja nicht nur aus den einzelnen Bäumen, sondern sei ein in sich funktionierendes Ökosystem. 

Die Initiative hat selbst eine Reihe bereits versiegelter Flächen in der Nähe dokumentiert, die stattdessen für sozialen Wohnungsbau in Frage kämen, und fordert vom Bezirk eine entsprechende Machbarkeitsstudie. Außerdem habe man mit verschiedenen Stiftungen gesprochen, die sich vorstellen könnten, den Wald zu kaufen, um ihn zu erhalten. 

Carla Aßman, Fraktionsvorsitzende der Neuköllner Linken in der Bezirksverordnetenversammlung, die die Initiative unterstützt, stellt daher den Antrag, den Bezirk um einen alternativen Bebauungsplan zu bitten, der die gesamte Fläche schützt. Gerade in einem verdichteten Bezirk wie Neukölln sei es wichtig, Grünflächen für die Anwohner*innen zu erhalten und stattdessen zum Beispiel Leerstand zu nutzen.

Zwar sprechen sich in der Ausschusssitzung auch SPD und Grüne gegen den aktuellen Bebauungsplan aus. Aber »Nichtbebauung ist auch keine Lösung«, sagt Franziska Jahke von der SPD. Stadtrat Jochen Biedermann (Grüne) warnt derweil vor »Schnellschüssen«. Bei einer Umwidmung zur Grünfläche gelte es, die Folgen für den Bezirk abzuwägen. Der Linke-Antrag wird abgelehnt und ein Antrag der SPD angenommen, der weitere Diskussionen und Änderungen am Bebauungsplan vorsieht, um einen größtmöglichen Kompromiss zwischen Waldschutz und sozialem Wohnungsbau zu erzielen. 

Für Thomas Mahler von der Buwog ist das ärgerlich. »Dadurch verlieren wir Zeit. Das dauert jetzt noch drei bis fünf Jahre«, sagt er zu »nd«. Die Diskussion im Ausschuss ist seiner Ansicht nach »sehr ideologisch« verlaufen. Trotzdem werde die Buwog sich auf weitere Gespräche einlassen, da sie das Gelände auf keinen Fall aufgeben geschweige denn an eine Stiftung verkaufen wolle. »Jede Art von Wohnung macht Sinn«, findet Mahler.

»Der Buwog geht es darum, Profit zu machen«, hält Aßman von den Linken dagegen. »Die Wohnungskonzerne, SPD und CDU wollen die letzten Reste der Stadt kapitalisieren«, sagt sie zu »nd«. Daniel Kipka-Anton, ebenfalls von der Neuköllner Linken, missfällt außerdem, dass die Buwog zu Vonovia gehört. »Die wollen wir eigentlich enteignen«, betont er. Bis dahin hat der Emmauswald immerhin Zeit gewonnen. 

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.