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Kältehilfe überfordert: Winter-Bilanz der Obdachlosenhilfe
Weil es kaum bezahlbare Räume in Berlin gibt, will Kältehilfe mit Bahn und BVG zusammenarbeiten
Überforderung – das ist das Fazit der Berliner Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege zum Ende des Winters und dementsprechend auch dem Ende der Kältehilfe-Angebote in Berlin. »Die Auslastung war so hoch wie seit 2016 nicht mehr«, teilt der Zusammenschluss dieser Verbände, die Liga Berlin, am Donnerstag mit. Im Durchschnitt seien im Winter täglich 1043 Plätze zur Übernachtung für obdachlose Menschen zur Verfügung gestellt worden, in besonders kalten Nächten sei es zu erheblicher Überbelegung in einigen Einrichtungen gekommen, auch die Einrichtungen in den Außenbezirken seien bis Ende März regelmäßig vollständig ausgelastet gewesen.
»Die Platzzahlen wurden zwar nominell aufgestockt. Auf dem angespannten Berliner Immobilienmarkt fanden die Träger aber tatsächlich weniger Raum als in der Vorsaison«, so die Liga. Sabrina Niemietz aus der Koordinierungsstelle der Berliner Kältehilfe teilt ebenso am Donnerstag mit, dass es in den letzten Jahren zunehmend schwieriger geworden sei, geeignete und bezahlbare Immobilien für die Kältehilfe zu finden. Deshalb brauche man Unterstützung und könne sich vorstellen, mit der Deutschen Bahn und den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) zusammenzuarbeiten, um Flächen oder Gebäude zu nutzen. »Es gibt vielleicht auch Bereiche und Ebenen an den Stationen, die nicht genutzt werden, aber für die Kältehilfe nutzbar gemacht werden könnten«, so Niemietz zu »nd«.
Die Kältehilfe war nicht nur davon überfordert, dass erheblich mehr Menschen als in den Jahren zuvor auf Notübernachtungsplätze angewiesen waren – es sei von einem generellen Anstieg der Obdachlosigkeit auszugehen, so die Koordination –, ein weiterer Missstand sei das Fehlen von angemessener Gesundheitsversorgung. »Es gibt in Berlin derzeit kein adäquates Hilfesystem für obdachlose Menschen mit psychischen Erkrankungen«, sagt Niemietz für die Koordinierungsstelle.
Um das Problem kurzfristig anzugehen, könnten die Kältehilfeeinrichtungen mit medizinischem Fachpersonal zur Versorgung von schwer kranken Menschen ausgestattet werden. Noch dringender brauche es spezifische Einrichtungen, beispielsweise für Rollstuhlfahrende, und das ganzjährig. »Eigentlich sollten schwer kranke Menschen aber gar nicht auf der Straße landen«, sagt Niemietz. Da müsse das Hilfesystem besser greifen und das Gesundheits- und Sozialsystem besser zusammenarbeiten. »Ob Bezirke, das Land Berlin oder die Krankenkassen: Alle Beteiligten stoßen an ihre Grenzen, entziehen sich der Verantwortung und verweisen gegenseitig auf die andere Stelle.«
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