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Das Land der Lager
Eine Ausstellung in der Akademie der Künste lenkt den Blick auf die Produktionsbedingungen des Bauens im Nationalsozialismus
Manchmal sagen erste Ideen für einen Titel mehr als die Worte, für die sich Kuratoren später entscheiden. So sollte die Ausstellung zum Planen und Bauen im Nationalsozialismus ursprünglich einmal »Mehr als Speer« heißen. Doch auch wenn nun »Macht Raum Gewalt« auf den Plakaten der Akademie der Künste zu lesen ist, bleibt es dabei: Es geht um »mehr« als den berüchtigten NS-Architekten Albert Speer und seine Pläne für die »Welthauptstadt Germania«.
»Macht Raum Gewalt« ist das für eine breite Öffentlichkeit aufbereitete Ergebnis eines fünfjährigen Forschungsprojektes der Unabhängigen Historikerkommission, das nun auch in einen 1300-seitigen Sammelband mündete. Entsprechend umfangreich ist die Ausstellung, die sich dem tatsächlich Gebauten widmet – allem voran den Lagern und dem Wohnungsbau. »Im Bauen und Planen schlägt sich der verbrecherische Charakter des NS-Systems nieder. Es ist die Visitenkarte«, macht Wolfram Pyta von der Kommission zur Ausstellungseröffnung deutlich.
Wer an die Visitenkarte denkt, dem mögen zwar zuerst das Berliner Olympiastadion, der Flughafen Tempelhof oder das dem Zerfall preisgegebene Reichsparteitagsgelände in Nürnberg einfallen. Die Repräsentationsbauten waren aber nicht das prägende Ergebnis nationalsozialistischen Bauens.
»Deutschland, einig Lagerland«
Es sind stattdessen zum einen die Verwaltungsgebäude wie das Detlev-Rohwedder-Haus in der Wilhelmstraße, in dem heute das Bundesfinanzministerium sitzt. Zuvor diente es als Treuhand-Gebäude, davor in der DDR als Haus der Ministerien und ursprünglich als Reichsluftfahrtministerium. Ebenso wie beispielsweise auch das Avus-Motel ist es eine der baulichen Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus, die sich heute in den Alltag Berlins eingefügt haben, während die größenwahnsinnigen Monumentalbauten der »Welthauptstadt Germania« vielfach nur Entwurf und Modell blieben.
Wer über nationalsozialistisches Bauen spricht, der darf aber nicht nur von Berlin, Nürnberg oder München reden. Die ersten Jahre ab 1933 sind vor allem von den volkstümlichen Siedlungsprojekten außerhalb der noch verhassten Stadt geprägt. Später folgt der Schwenk von den Heimstätten zum rationalisierten Bauen. Letztlich machen ab 1938 Baracken das Gros des Wohnungsbaus aus.
Nichts haben die Deutschen mehr gebaut als Lager. Diese sind nicht nur das Ziel des Bauens, sie sind auch deren Produktionsbedingung. Das SS-eigene Unternehmen Deutsche Erd- und Steinwerke wird 1938 gegründet. Häftlinge karren die Baustoffe für nationalsozialistische Großbauten an. Konzentrationslager errichten die Nazis bewusst in der Nähe von Steinbrüchen. Auch die vor den Toren Berlins im Klinkerwerk Oranienburg von Häftlingen aus Sachsenhausen hergestellten Ziegel werden ab 1943 für den Wiederaufbau zerbombter Städte verwendet. Mit der nach Fritz Todt benannten Bautruppe Organisation Todt werden Zwangsarbeiter für riesige militärische Bauprojekte wie die Reichsautobahnen sowie den West- und den Atlantikwall eingesetzt.
Auch die Nazi-Sprösslinge müssen ran. Im paramilitärischen »Reichsarbeiterdienst« werden sie in Lagern untergebracht und auf Baustellen eingesetzt. Selbst die Fortbildungen für Ärzte, Juristen und Ingenieure finden in Lagern statt. Es ist der bauliche Ausdruck der nationalsozialistischen Ideologie. »Deutschland, einig Lagerland«, nennt es deshalb auch der Historiker Pyta.
Karriere in den Nachfolgestaaten
Dass die Kommission den Blick auf die Produktionsbedingungen des Bauens im Nationalsozialismus lenkt, ist dabei ein im Vergleich zu vielen bisherigen Auseinandersetzungen anderer Zugang. Zu diesen Bedingungen gehören nicht zuletzt die administrativen Strukturen des Städtebaus. Das Bundesbauministerium hatte die historischen Arbeiten in Auftrag gegeben, um die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Doch anders als bei vielen Ministerien, die diese Selbstbefragung in den vergangenen Jahren bereits durchlaufen haben, gibt es keine nationalsozialistische Vorgängerinstitution für das Bauministerium. Das Bauen im Nationalsozialismus war nicht in einer Behörde zentralisiert.
Wolfram Pyta erklärt das mit einer gesteigerten Effizienz. Ohne zentrale Bürokratie werden unterschiedliche Machtlager des Staates durch ihre Konkurrenz angespornt: Eigeninitiative und Eifer statt »Dienst nach Vorschrift« sind der Wesenszug des nationalsozialistischen Planens und Bauens. Diese Erkenntnis fügt sich ein in den Stand der Forschung, die den NS-Staat als polykratisch mit rivalisierenden Akteuren und Institutionen analysiert.
Es bleibt aber nicht nur bei der Aufarbeitung der ministerialen Geschichte. Dass die Ausstellung in der Akademie der Künste am Pariser Platz gezeigt wird, ist kein Zufall. Nachdem er zum Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt ernannt wurde, wählte Speer das damalige Haus der 1933 gleichgeschalteten Akademie als seinen Sitz. Richtig ist die Entscheidung der Kuratoren, dem prunkvollen Dekor und den monumentalen Vorhaben von Speer nun eine Ausstellung entgegenzusetzen, die in ihrem Design ganz bescheiden mit Holzgerüsten und getackerten Ausdrucken arbeitet.
Auch wenn sie »mehr« als Speer zeigen will, kommt man an den in die letzten Räume der Ausstellung abgeschobenen Monumentalbauten dann doch nicht vorbei. Gleichzeitig werden dort die zahlreichen Köpfe des nationalsozialistischen Städtebaus und deren Karrieren dokumentiert. Diese setzten sich größtenteils in den beiden deutschen Nachfolgestaaten fort. NS-Größen wie Speers Widersacher Hermann Giesler arbeiteten nach 1945 als Architekten weiter. Und in Ministerien in Ost und West waren vormalige NSDAP-Mitglieder am Wiederaufbau beteiligt – wobei der Anteil in der Bundesrepublik deutlich höher ausfiel. Speer selbst gelang es nach 1945 einigermaßen, trotz seiner Beteiligung an der Massenvernichtung, das Bild von sich als unpolitischem und verführtem Architekten zu zeichnen.
Leerstelle Architektur
So begrüßenswert der Schritt über Speer hinaus ist und so begrenzt der zur Verfügung stehende Platz in Ausstellungsräumen nun mal sein mag: »Macht Raum Gewalt« bleibt dennoch die Auseinandersetzung mit einem wichtigen Aspekt nationalsozialistischen Bauens schuldig. Wer ein Projekt mit solch einem umfassenden Anspruch verwirklicht, internationale Bezüge herstellt und historische Kontinuitäten aufarbeitet, der darf auch zur Architektur nicht schweigen.
Das macht die Ausstellung aber. Dabei hätte es zahlreiche Anknüpfungspunkte gegeben. So ließe sich auch eine Linie von den Lagern zu den für die »Welthauptstadt Germania« vorgesehenen Großbauten ziehen. Der Religionswissenschaftler Klaus Heinrich hatte in seinen Dahlemer Vorlesungen die geplanten Monumentalbauten als »Lagerarchitektur« benannt.
Es gehe beim Stadtumbau nicht mehr wie bei Haussmanns Pariser Boulevards darum, Achsen zu schaffen, um Aufstände niederschlagen zu können. Sondern man müsse sich die »Welthauptstadt Germania«, für die bereits vor Kriegsbeginn großflächig abgerissen wurde, wie ein zu Stein gewordenes überdimensioniertes römisches Zeltlager vorstellen. »Die Stadt also wird zum Lager, aus dem man jederzeit ausmarschieren kann und in das man zurückkehrt.« Die Lager und das Belagern sollen in Speers Plänen für Berlin »monumentalisiert« werden, meint Heinrich.
Speer schreibt in seinen »Spandauer Tagebüchern«, dass Hitler am Klassizismus gerade die »Möglichkeit zur Monumentalität« liebte. Das Ergebnis sollten Bauten werden, die überwältigen, in denen der Einzelne verschwindet und die Platz machen für die nationalsozialistischen Großveranstaltungen.
Klaus Heinrich hat in seinen Vorlesungen die unbequeme Frage gestellt, was dem Klassizismus eigentlich fehlte, dass die Nationalsozialisten seine Formen adaptierten. Diese Linie von Speer zurück zu Karl Friedrich Schinkel ist heikel, führt sie doch bei den gerade in dieser Stadt zahlreichen Schinkel-Fans zu reflexhaften Verweigerungen. Doch genau diese Leidenschaftlichkeit, mit der gegenwärtig darüber gestritten wird, was im Sinne Schinkels wäre, sollte eigentlich Ansporn dafür sein, gerade auch jetzt der Frage nachzugehen, warum sich die Nationalsozialisten beim Klassizismus bedienten und wo Kontinuitäten sowie Trennendes in der Architektur zu finden sind.
»Macht Raum Gewalt«, Akademie der Künste, Pariser Platz 4, bis 16. Juli, kostenfrei.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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