Trevor Bauer: Sorgenfrei in Japan

Nach Vorwürfen sexualisierter Gewalt: US-Baseballstar Trevor Bauer hat einen neuen Verein

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 6 Min.
Trevor Bauer hatte bei den Los Angeles Dodgers keine Zukunft mehr – in Japan probiert der Pitcher neu Fuß zu fassen.
Trevor Bauer hatte bei den Los Angeles Dodgers keine Zukunft mehr – in Japan probiert der Pitcher neu Fuß zu fassen.

»Mein erstes Spiel in Japan hat Rekorde gebrochen«, schwärmt Trevor Bauer dieser Tage. Nicht nur habe sich der Baseballstar, der über zwei Jahre lang zu keinem Einsatz gekommen war, in Topform gefühlt. Mit sechs Strikeouts zeigte Bauer, dass er auch in seinem Herkunftsland USA noch zu den besten Pitchern gehören würde. Da sein Einstand bei der zweiten Mannschaft der Yokohama Baystars zudem einen Zuschauerandrang provozierte, als hätte es sich um ein Spiel der Profis gehandelt, ist Bauer auch sonst zuversichtlich. »Ich bin bereit«, erklärt er. Bereit für eine große Karriere in Japan.

Oder sollte man sagen: eine zweite Karriere. Denn in seiner Heimat ist Trevor Bauer, der einst mit einem dreistelligen Millionenvertrag zu den höchstdotierten Spielern seines Sports gehörte, nicht mehr gern gesehen. Im Frühjahr 2022 hatte ihn die Major League Baseball (MLB) für beispiellose 324 Spiele – oder zwei Saisons – gesperrt, weil der heute 32-jährige Bauer die MLB-Regeln in Bezug auf häusliche und sexualisierte Gewalt gebrochen habe. Zuvor hatte ihn sein Arbeitgeber Los Angeles Dodgers gesperrt. Auch als Bauers Sperre später reduziert wurde, fand er keinen neuen MLB-Klub.

In den USA will sich mit dem Namen Trevor Bauer offenbar niemand mehr sehen lassen. Schließlich könnte es sich bei dem Pitcher, der noch im besten Alter für weitere erfolgreiche Jahre ist, um einen Sexualstraftäter handeln. Im Jahr vor der Ligasperre hatte ihn eine Frau aus Kalifornien beschuldigt, sie geschlagen und sexuell missbraucht zu haben. Bauer dementiert dies, alles Geschehene sei einvernehmlich gewesen. Einen Schuldspruch gibt es nicht. Womöglich aus Vorsicht vor öffentlicher Empörung setzten die Los Angeles Dodgers Bauer Anfang 2023 dennoch offiziell vor die Tür.

Umso erstaunlicher schien Mitte März die Nachricht, dass Bauer doch noch einen Arbeitgeber gefunden hatte: Aber eben nicht in der weltweit führenden MLB, sondern bei den Yokohama Baystars in Japan. Und wer Bauer seit seiner Ankunft im ostasiatischen Land beobachtet, käme nicht auf die Idee, es hätte um diese Personalie jemals eine Kontroverse gegeben. Nach Trainingseinheiten erwartet den 1,85-Meter großen Werfer eine Traube von Fans, die Autogramme erbittet. In nationalen Medien wird der Hintergrund, vor dem Bauer nach Japan kam, kaum besprochen.

Für besondere Verwunderung sorgte die erste Pressekonferenz, mit der sich Bauer in Yokohama vorstellte. Sie verlief rein sportlich. »Ich wollte schon immer hier in Japan spielen«, betonte der Athlet. Auf die Frage, was er sich für seine Zeit im Land vorgenommen habe, sagte Bauer, er wolle 200 Strikeouts schaffen, außerdem durchschnittlich mit 96 Meilen pro Stunde (rund 154 km/h) werfen. »Aber hauptsächlich will ich die Spiele, in denen ich pitche, gewinnen.« Und was in Yokohama besonders gut ankam: »Ich will eine Meisterschaft gewinnen, das ist das Wichtigste.«

So einen Titel hat es in der Metropole an der Südgrenze Tokios seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr gegeben – und damit das wieder gelingen kann, wurde Bauer geholt. Aber dass der Transfer nicht nur sportliche Hintergründe hat, ist offensichtlich. Denn selbst wenn Japans Nationalmannschaft in diesem Frühjahr den Weltmeisterstitel gewann, gilt die japanische Nippon Professional Baseball (NPB) erst mit weitem Abstand hinter der US-amerikanischen MLB als zweitstärkste Liga der Welt. In Japan kassiert Bauer auch nur einen Bruchteil seines vorigen Gehalts.

So betonte die US-amerikanische Nachrichtenagentur AP in Bezug auf die Vorstellung Bauers in Yokohama: »Keine japanischen Reporter haben ihn zu seiner Sperre in den USA wegen der Anschuldigung häuslicher Gewalt gefragt.« Die einzige Frage hierzu kam von der AP selbst, die andeutete, Bauer habe in der MLB keine Mannschaft mehr gefunden, woraufhin der aber widersprach: »Ich glaube nicht, dass das korrekt ist.« Vielmehr habe er weiterhin in den USA spielen können. »Aber ich bin froh, jetzt hier zu sein.«

Vermutlich ist Bauer nicht zuletzt deshalb froh über seinen Wechsel auf die andere Seite des Pazifiks, weil er hier weniger mit unangenehmen Fragen konfrontiert wird. Dies liegt nicht nur daran, dass auch im ostasiatischen Land grundsätzlich die Unschuldsvermutung gilt. Generell fällt in Japan immer wieder auf, wie Sport auf seinen Unterhaltungswert reduziert wird, während andere Dimensionen eher wenig Erwähnung finden.

Auf Kontroversen aus der Sportwelt haben die meisten Medien vergleichsweise wenig Appetit. Auch deshalb konzentrierte sich etwa die Berichterstattung japanischer Medien im Vorfeld der Olympischen Spiele von Tokio – die inmitten der Pandemie von 2020 auf 2021 verschoben wurden und gegen den Wunsch einer großen Mehrheit schließlich stattfanden – weitgehend auf Jubelstorys statt auf eine kritische Hinterfragung des Mega-Events.

»Sport hat hier die Funktion des Entertainments«, erklärte damals Hiroki Ogasawara, Professor für Sportsoziologie an der Universität Kobe. »Und deshalb sind Athleten auch eher Entertainer.« Entsprechend werde von Sportlerinnen und Sportlern nicht bei jedem gesellschaftspolitischen Thema eine Vorbildrolle erwartet, sobald sich eine Diskussion um Fragen jenseits von Fairness im Sport dreht. Das wiederum kann auch Vorteile haben, wie der japanische Baseball vor eineinhalb Jahrzehnten zeigte.

Damals gelang dem japanischen Pitcher Kazuhito Tadano mit einem Vertrag bei den Hokkaido Nippon Ham Fighters ein bei seinem Alter von 28 Jahren spätes, und nicht weniger überraschendes, NPB-Debüt. Einige Jahre zuvor, als Tadano in den USA gespielt hatte, war von ihm ein Pornofilm an die Öffentlichkeit gelangt, was damals als noch größerer Skandal galt. »Ich bin nicht schwul«, betonte Tadano im Jahr 2004 in Bezug auf das Videomaterial in einer Pressekonferenz. Den Film habe er gemacht, weil er dringend Geld gebraucht habe.

Zwar ist Homosexualität – und alles, was darauf hindeuten könnte – bis heute ein Tabuthema im japanischen Profisport. Auf ein Coming-out einer berühmten Persönlichkeit des Sports wartet man hier schon lange. Aber nach seinem öffentlichen Statement konnte Tadano immerhin noch eine Baseballkarriere in Japan machen. In der europäischen Sportöffentlichkeit – auch wenn diese mittlerweile offener für LGBT-bezogene Themen ist – hätte ihn sein Pornoauftritt wohl ein Leben lang verfolgt. In Japan zählt der 43-Jährige heute zum Trainerstab der Nippon Ham Fighters.

So könnte auch Trevor Bauer durchatmen, dass er nun in Japan weilt. Zwar haben längst weitere Frauen Vorwürfe gegen ihn erhoben. Aber solange er in Yokohama regelmäßig Strikeouts wirft und nicht gleichzeitig für einen neuen Skandal sorgt, dürfte er sich hier bis auf Weiteres auf seinen Sport konzentrieren können.

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