Streiken für die Gesundheit

Die Menschen müssen sich wehren gegen eine krank machende Politik und Wirtschaft

Die Klimakatastrophe stellt das Gesundheitssystem vor ganz neue Herausforderung. Der Sommer 2003 war einer der heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnung. 30 000 Menschen starben in Europa, weil die Gesundheitssysteme nicht darauf vorbereitet waren, weil Menschen alleine in Wohnungen, Krankenhäusern, Altenheimen saßen und ihr Herz-Kreislauf-System nicht mehr mitmachte.

20 Jahre später gibt es kaum Veränderung: Die Unkenntnis über gesundheitliche Folgen der Klimakatastrophe trifft auf durch kapitalistische Aushöhlung gebeutelte Arztpraxen, Altenheime, Kindergärten und Krankenhäuser. Das knappe Personal, das jeden Tag über seine Grenzen geht, um die sozialen Netze in dieser Gesellschaft aufrechtzuerhalten, muss auch unsere Ältesten in nicht klimatisierten Altenheimen versorgen. Musste etwa nach der Flutkatastrophe im Ahrtal die medizinische Infrastruktur wieder aufbauen, um Menschen zu versorgen und mental aufzufangen. Die Beschäftigten müssen sich auf neue Erkrankungen einstellen, wie das vermehrte in Deutschland vorkommende Denguefieber, weil es hier so heiß wird, dass die Tigermücken überleben.

Nicht nur Extremsituationen sind herausfordernd, sondern auch die schleichenden Folgen des Klimawandels. Wie wird es sein, auf der Baustelle oder in der Müllabfuhr zu arbeiten bei teils über 40 Grad? Wie wird sich ein Tag in der Kita für Kinder verändern, wenn aufgepasst werden muss, dass sie draußen nicht möglicherweise tödliche Sonnenstiche erleiden? Wie wird es für Familien sein, die sich keine Klimaanlage leisten können und die in dicht bebauten Stadtteilen wohnen, wo es bis zu fünf Grad wärmer ist als auf dem Land? Die Luftverschmutzung durch die fossilen Energien und den autozentrierten Verkehr sorgt jetzt schon dafür, dass jeder elfte Tod darauf zurückzuführen ist. Eine Zahl, die Volker Wissing und Co. weiter nach oben treiben.

Lakshmi Thevasagayam
Lakshmi Thevasagayam

Lakshmi Thevasagayam ist Ärztin, Klima- und Gesundheitsaktivistin und engagiert sich in der Antikohlebewegung.

Der Großteil der Luftverschmutzung resultiert aus der Förderung und Verbrennung fossiler Energieträger. Durch den Wechsel zu Erneuerbaren Energien ließe sich die Sterblichkeitsrate durch Luftverschmutzung bis fast auf die Hälfte reduzieren. Aber der »grüne« Habeck will lieber noch Lützerath abbaggern lassen und die Kohle im Osten aus dem Boden holen, statt konsequent in Erneuerbare zu investieren. Auch vom SPD-Gesundheitsminister hochtrabende Worte: Die angesagte »Revolution« im Gesundheitswesen führt nicht dazu, dass nicht mehr Profit aus Krankheit gezogen wird. Sondern sie eröffnet die Möglichkeit, dass viele kleine Krankenhäuser geschlossen oder in Einrichtungen umgewandelt werden, die herzlich wenig mit einem Krankenhaus zu tun haben. Solche Häuser mit Belegbetten und »Pflegeheime plus« eröffnen ein weiteres großes Feld für Ökonomisierung und Private Equity.

Eine gute Gesundheitsversorgung betrifft uns alle. Die einzigen, die die Politik und den freien Markt stoppen können, sind die Beschäftigten. Sie wissen, was es braucht, um sich auf Katastrophenfälle einzustellen. Die medizinische Fachangestellte in der Hausarztpraxis weiß am besten, in welcher Straße es die meisten Atemwegserkrankungen gibt; die Altenpflegerin weiß, ab wann sie eigentlich zu fünft sein müssten, um zu schauen, dass alle genug trinken, um nicht zu dehydrieren. Wir brauchen mehr von ihnen. Deswegen müssen wir die Kolleg*innen unterstützen – in ihrem Kampf für mehr Personal wie an der Uniklinik Gießen-Marburg oder für mehr Geld im öffentlichen Dienst. Solange der politische Streik nicht möglich ist in Deutschland, wird es unsere Aufgabe sein, diesen zu fordern. Um endlich gegen Spardruck im Gesundheitswesen, diese Verkehrspolitik und gegen ein Weiter-so bei der Klimakatastrophe gemeinsam streiken zu können. Für eines der höchsten, aber am wenigsten geschätzten Güter: unsere Gesundheit.

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