#metoo: Linke in NRW bittet um Verzeihung

Erst hitziger Streit, dann Sacharbeit: Landesverband hat sich zum Parteitag getroffen

Katja Miriam Heyn über Sexismus in der Linken: »Ihr müsst einen anderen Umgang finden.«
Katja Miriam Heyn über Sexismus in der Linken: »Ihr müsst einen anderen Umgang finden.«

Gleich zu Beginn des Parteitags der nordrhein-westfälischen Linken am vergangenen Samstag in Dortmund ging es hoch her. Die Generaldebatte stand auf der Tagesordnung. Es sollte um die aktuelle Lage der Partei gehen. Sascha H. Wagner, seit dem Herbst Landessprecher der Partei, sparte in seiner Rede nicht mit Ansagen. »Ohne diese Partei wären viele nicht in der Position, in der sie heute sind«, sagte er in Richtung der Wagenknecht-Anhänger im Landesverband. Diese würden, genauso wie Bundestagsabgeordnete aus dem Lager, Gespräche verweigern. Da müsse man sich schon fragen, »welche Charakterzüge da zum Vorschein kommen.« Die Lage der Partei sei »nicht rosig«, aber man müsse nun aufhören »wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen«. Ob es zu einer Spaltung der Partei käme, beeinflusse der Landesverband »nur marginal«. Deswegen, so Wagner, sei »die Zeit der Selbstbeschäftigung« vorbei. Man müsse die soziale Frage und die Friedensfrage wieder in den Blick nehmen, Auftritte in populistischen Talkshows und »die Fischerei am rechten Rand« würden die soziale Lage von niemandem verbessern.

Dass so eine Ansage nicht unwidersprochen bleiben würde, war klar. Mehrere Delegierte griffen Wagners Rede, die Kritik seiner Co-Vorsitzenden Kathrin Vogler an Sahra Wagenknecht und einen Beschluss des Landesvorstands gegen die umstrittene Berliner Friedensdemo in ihren Reden auf. Jana van Helden aus dem Kreis Viersen warf dem Landesvorstand vor, Menschen als Rechte zu diffamieren, weil »der identitäre Zeitgeist nicht zu ihrer Lebensrealität gehört, geschweige denn etwas zur Verbesserung ihrer Situation beiträgt.« Die Linke mache eine Politik, für die man Adorno gelesen haben müsse und überlasse es der AfD, sich als »große Kümmerer« zu verkaufen. Die Schlussfolgerung von van Helden: »Wenn alles so weitergeht wie bisher, dann macht hier bald der Letzte das Licht aus.«

Weitere Reden, die einen ähnlichen Ton anschlugen, folgten. Der Bundestagsabgeordnete Christian Leye attestierte der Partei „zu sterben«. Man verschwinde in der »fröhlichen Bedeutungslosigkeit«, obwohl die Linke im Angesicht von Krieg und Inflation eigentlich »zweistellig« sein müsste. Dafür müsse man aber bereit sein, sich »mit den Herrschenden anzulegen«. Bei einzelnen Reden drohte die Stimmung komplett zu kippen. Das Tagungspräsidium musste mehrfach dazu ermahnen, »persönliche Diffamierungen« genauso zu unterlassen wie diffamierende Zwischenrufe.

Nach der Mittagspause passierte dann etwas, das für die nordrhein-westfälische Linke ungewöhnlich ist. Statt sich weiter zu streiten und sich aneinander abzuarbeiten, wurde in Arbeitsgruppen und später im Saal über das eigentliche Hauptthema des Parteitags diskutiert: einen Antrag zur Verkehrswende von links. Der Landesvorstand hatte ein straff ökosozialistisches Papier vorgelegt. Punkte wie die Solidarität mit der Letzten Generation oder der Rückbau von Straßen und Parkplätzen wurden kontrovers, aber inhaltlich debattiert. Am Ende erreichte der Antrag eine große Mehrheit.

Warum eine konstruktive Debatte möglich war, dazu gab es von mehreren Delegierten ähnliche Aussagen. Diejenigen, die stramm dem Kurs von Sahra Wagenknecht folgen, hätten innerlich mit der Partei schon abgeschlossen. Der Streit am Morgen sei von dieser Seite nur so etwas wie eine »Showeinlage« gewesen. Wer wirklich noch etwas mit der Partei erreichen wolle, sei bereit zur Diskussion und wolle sich auch mit unterschiedlichen Positionen auseinandersetzen. So muss wohl auch ein Dringlichkeitsantrag bewertet werden, den die Delegierten noch am Abend beschlossen. Darin wurden die Bundestagsabgeordneten aus Nordrhein-Westfalen aufgefordert, sich zur Linken zu bekennen und Spaltungsversuchen öffentlich entgegenzutreten.

Ein neuer Geist, eine andere Diskussionskultur in der nordrhein-westfälischen Linken, die über Jahre von persönlichen Streitereien und inhaltlichen Formelkompromissen geprägt war? Möglicherweise ja. Ein Fingerzeig in diese Richtung war jedenfalls auch eine Bitte um Entschuldigung, die nicht auf der Tagesordnung stand.

Kathrin Vogler und Sascha H. Wagner berichteten, dass sie seit ihrer Wahl mit »der Aufarbeitung eines #metoo-Falles« beschäftigt seien. Daran seien die Bundespartei, die Betroffene und der Beschuldigte beteiligt gewesen. Der Beschuldigte, ein ehemaliger Funktionär der Landespartei, habe ein Seminar gegen toxische Männlichkeit besucht und alle Parteiämter aufgegeben. Ein »schweres Unrecht« begangen zu haben, attestierten Vogler und Wagner der Partei selbst. Sie habe die Betroffene und zwei Unterstützerinnen nicht »ernst genommen« und als »unglaubwürdig dargestellt«. Dafür habe man um Verzeihung gebeten. Vogler betonte, »Betroffene tragen keine Verantwortung für das, was ihnen widerfahren ist. Wir wollen sie nicht mehr allein lassen.« Wagner forderte die Mitglieder auf, gemeinsam den Weg zu »einer Kultur des Hinsehens« zu gehen.

Auch die Betroffene Katja Miriam Heyn ergriff danach das Wort. »Ich habe erlebt, dass mir meine Erfahrungen abgesprochen wurden und meine Aussagen immer wieder in Zweifel gezogen wurden«, so Heyn. Im letzten Jahr habe sie sich aus dem Landesvorstand zurückgezogen, um sich selbst zu schützen. Sie habe ihre Ruhe haben wollen, was passiert sei, sei »das komplette Gegenteil« gewesen. Nach außen spreche die Partei davon, sexistische Vorfälle aufarbeiten zu wollen, man habe aber versucht, ihren Fall »intern totzuschweigen«. Heyn spricht von ständigen Kontaktversuchen, bei denen versucht wurde, sie »auszuquetschen«. Protokolle, in denen es um ihren Fall ging, seien verschwunden. Von zwei Seiten sei an ihr gezerrt worden, die eine habe versucht »alles unter den Teppich zu kehren«, die andere wollte sich »lautstark« profilieren, um dem politischen Gegner in der Partei zu schaden. Die deutliche Aufforderung Heyns: »Ihr müsst einen anderen Umgang finden.« Eine wohl notwendige Aufforderung. Ob die Linke ihr entsprechen kann, wird sich zeigen.

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