Rüge für den Digitalzwang

Verein Digitalcourage vergibt Big Brother Awards – Preisträger sind Zoom, Lindner und Microsoft

Komfortabel nur mit Smartphone und App zu bedienen: DHL-Packstation.
Komfortabel nur mit Smartphone und App zu bedienen: DHL-Packstation.

Die »Datensünde« ist ein Vergehen, das oft ungestraft bleibt. Darauf macht in Deutschland seit der Jahrtausendwende der Verein Digitalcourage aufmerksam und vergibt die Big Brother Awards an die größten »Datensünder« des vorangegangenen Jahres. Am Freitag fand die diesjährige Verleihung in Bielefeld statt. In der Kategorie »Behörden und Verwaltung« traf es diesmal das Bundesfinanzministerium mit seinem führenden Minister Christian Lindner (FDP). Damit kritisieren die Aktivisten das seit dem 1. Januar geltende Plattformen-Steuertransparenzgesetz. Es soll bei Internetdiensten für Steuergerechtigkeit sorgen und richtete sich ursprünglich an gewerbliche Portale wie Airbnb oder Uber. Das Gesetz zwingt die Anbieter aber gleichzeitig zur umfassenden Vorratsdatenspeicherung. Betroffen sind etwa Menschen, die über Ebay oder Ebay-Kleinanzeigen private Verkäufe abwickeln, nachdem sie ihren Keller entrümpelt haben. Stellen die Firmen fest, dass ein Verkäufer in einem Kalenderjahr mehr als dreißig Verkäufe tätigt und mehr als 2000 Euro Umsatz erzielt, muss dies automatisch an das Bundeszentralamt für Steuern übermittelt werden. Beide Seiten müssen die Daten für zehn Jahre aufheben.

In der Kategorie »Verbraucherschutz« wurde die Deutsche Post DHL Group von Digitalcourage mit einer Auszeichnung bedacht. Die Firma hat ihre Kunden zunächst an Packstationen gewöhnt und zwingt sie nun, für den Komfort ein Smartphone und eine firmeneigene App zu nutzen. Die App sendet dabei Daten zu Werbezwecken an andere Firmen, ohne dass Nutzer dies bemerken oder abstellen können. »Dieser Digitalzwang gehört besonders gerügt, denn hier schließt ein ehemaliges Staatsunternehmen Bürgerinnen und Bürger von einer wichtigen Grundversorgung aus«, erklärt die Digitalaktivistin Rena Tangens in ihrer Laudatio.

Der Negativpreis in der Kategorie »Kommunikation« ging an die Firma Zoom und ihr gleichnamiges Videokonferenzsystem. Zoom leitet Daten an Behörden weiter und behauptet gleichzeitig, sich an europäische Datenschutzgesetze zu halten, so die Kritik. Als in den USA ansässige Firma unterliegt Zoom verschiedenen Gesetzen, die Auskünfte zu Nicht-US-Bürgern an Geheimdienste zur Pflicht machen. Zoom sei deshalb in Deutschland und Europa nicht legal einsetzbar, heißt es in der Laudatio des Künstlers padeluun, Mitgründer des Vereins Digitalcourage und des Big Brother Awards.

Weltweite Verbreitung fand Zoom mit der Corona-Pandemie, padeluun bezeichnet dies als »unbekannte Nebenwirkung, die ebenfalls nicht so leicht auszurotten ist«. In seiner Ansprache findet der Künstler auch eine kreative Bedeutung des Verbs »zoomen«, das sich für die Nutzung des Systems etabliert hat: »Unter Beobachtung der Geheimdienste verschiedener Länder und Firmen Geheimnisse ausplaudern und gleichzeitig sein komplettes Beziehungsnetzwerk offen legen.« Den Preis widmet er aber auch den Anwendern – darunter Menschenrechts-, Umwelt- und Klimaorganisationen – die mit der Nutzung von Zoom ihre Teilnehmer der Überwachung preisgeben, obwohl es freie und datenschutzfreundliche Alternativen gibt.

Ähnlich wie Zoom übermittelt auch Microsoft regelmäßig Daten zu digitalen Aktivitäten seiner Nutzer in die USA. Diese würden auf diese Weise »in Echtzeit überwachbar«, so der Laudator Thilo Weichert. Weichert war lange Jahre unabhängiger Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein und hat sich in dieser Zeit immer wieder mit Internetriesen wie Facebook und Google angelegt. »Nicht nur hat der Konzern seine Büro-Software weltweit als Standard etabliert. Nach dem Verdrängen von Alternativen werden die Anwender nun auch gezwungen, beim Betrieb der Software die Microsoft-eigene Cloud zu nutzen. Das Ergebnis: Microsoft kontrolliert praktisch die gesamte Datenverarbeitung«, kritisiert Weichert. Mit ähnlicher Begründung erhielt Microsoft den Big Brother Awards bereits 2002, wie in diesem Jahr in der Kategorie »Lebenswerk«.

Weil sie sich auch nach mehreren Hinweisen zum fehlenden Datenschutz unbelehrbar zeigt, verleiht Digitalcourage schließlich einen weiteren Negativpreis an Finleap Connect GmbH aus Hamburg. Eine Software der Firma versucht nach einem Kontowechsel von Bankkunden die davon betroffenen Lastschriftempfänger zu ermitteln und zu benachrichtigen – eigentlich ein prima Service, wie auch Digitalcourage bestätigt. Fälschlicherweise würden aber persönliche Daten an Firmen geschickt, die damit nichts zu tun haben. Auch im Büro von Digitalcourage seien zu Personen, die in der Mitgliederdatenbank von Digitalcourage komplett unbekannt, sind »etliche von Briefen voller privater Informationen angekommen«.

Finleap möchte den Big Brother Awards sogar annehmen, meldet Digitalcourage. Die Firma habe erklärt, von mehreren Zahlungspartnern »über Datenlecks informiert worden« zu sein. Dass diese wie behauptet 2021 gestopft wurden, bezweifelt der Verein jedoch. Auch nach 2021 seien im Büro von Digitalcourage Briefe mit sensiblen Daten von Betroffenen eingegangen.

Immer wieder haben Preisträger der Big Brother Awards ihre Praxis geändert, schreibt Digitalcourage. Eine Verleihung an Tchibo habe etwa dazu geführt, dass das Unternehmen den Handel mit Kundendaten gestoppt hat. Nach einer Auszeichnung der US-Firma Computer Science Corporation, für die auch Edward Snowden im Dienste des US-Militärgeheimdienstes NSA gearbeitet hatte, hätten öffentliche Stellen ihre Vergaberichtlinien geändert. Firmen mit dieser Art von Geheimdienstkontakten würden seitdem nicht mehr berücksichtigt.

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