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  • Hans-Otto-Theater Potsdam

»Warten auf Godot«: Schön tief rein

Verhalten feministische Deutung: Am Hans-Otto-Theater in Potsdam warten Wladimir und Estragon zwei Stunden auf Godot

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 5 Min.
Kommt er, oder kommt er nicht? »Warten auf Godot« am Hans-Otto-Theater
Kommt er, oder kommt er nicht? »Warten auf Godot« am Hans-Otto-Theater

Von Anton Tschechow stammt die berühmte Forderung, wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hänge, müsse im zweiten oder dritten auch ein Schuss fallen. Man denkt unweigerlich daran, angesichts des Steinbrockens, der während der gesamten Aufführung über der Bühne schwebt und der doch ganz sicher spätestens am Ende des Abends herabfallen müsste, um die Figuren unter sich zu begraben. Doch der Meteorit bleibt, wo er ist – im Wartezustand, ebenso wie Wladimir und Estragon, die beiden abgerissenen Gestalten, die nun schon seit der Pariser Uraufführung im Jahr 1953 auf Godot warten, ohne dass dem Publikum klar geworden wäre, wer dieser Mann ist oder was die beiden Unglücklichen von ihm erwarten.

Godot, das ist die wohl berühmteste Leerstelle der Literaturgeschichte und Samuel Beckett in gewisser Weise ein Antipode zu Tschechow. Sein berühmtestes Theaterstück entsagt jeder Textökonomie. Hier wuchern die Bedeutungen, ohne dass ein Sinn aus ihnen entspringt. »Warten auf Godot« gilt als ein Hauptwerk des absurden Theaters, das nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust davon Abstand nahm, Geschichten zu erzählen und Nachvollziehbarkeit vorzutäuschen in einer Welt, die aus den Fugen geraten war.

Es bestehen gewisse Parallelen zur Existenzphilosophie, die zeitgleich für Furore sorgte. Vor allem Albert Camus prägte den Begriff des Absurden und meinte damit die völlige Sinnlosigkeit der Existenz. Der Mensch sei zur Freiheit verdammt, so eine berühmte Sentenz von Camus’ zeitweiligem Mitstreiter Jean-Paul Sartre, und geworfen in eine kalte Welt, die dem nackten Leben darin keinerlei Orientierung biete. Doch, und hier liegt ein entscheidender Unterschied zu Beckett, ist die Existenzphilosophie eigentlich eine der Hoffnung. Denn der Einzelne wird durch sie aufgefordert und ermächtigt, seine eigenen Werte zu schaffen, jene Kriterien selbst zu entwerfen, nach denen er seine Existenz gestalten will.

Camus, Sartre oder Simone de Beauvoir waren dementsprechend sehr engagierte Intellektuelle, ihr literarisches und philosophisches Werk ergänzte und begründete ihre politischen Haltungen. Das Absurde bei Beckett hingegen lässt sich nicht bejahen, kein positiver Schluss folgt daraus. Die Menschheit, für die Estragon und Wladimir stehen müssen, ist zu schwach, um ihrer Conditio humana zu entfliehen; es bleibt ihnen nur das Warten auf einen Retter, der sie immer wieder vertröstet.

So auch in Fanny Brunners zweistündiger Inszenierung in der Reithalle des Potsdamer Hans-Otto-Theaters. Henning Strübbe als Estragon und Jon-Kaare Koppe als Wladmir vertreiben sich mühsam die Zeit, spielen, streiten und vertragen sich wieder, erwägen auch ab und zu, sich aufzuhängen. Doch immer sind die Bedingungen ungünstig, scheint der Ast des Baumes, unter dem sie sitzen, nicht stabil genug oder der Gürtel zu kurz. Ein anderer Grund für die Unmöglichkeit, ihrem Elend ein Ende zu setzen, dürfte darin liegen, dass sie, um sterben zu können, überhaupt erst einmal leben müssten. Doch ihre weiß geschminkten Clownsgesichter erinnern verdächtig an die von Untoten.

Zweimal kommt ein Kind auf die Bühne, setzt sich auf eine Bank neben Koppe, der verzweifelt fragt, ob es von Godot geschickt worden sei und ob er denn komme. Und das Kind antwortet leichthin, dass er heute nicht kommen könne, aber morgen ganz sicher oder zumindest vielleicht. Diese Szene könnte sich auch zehn- oder tausendmal zutragen. Denn Godot wird niemals kommen, und das weiß wohl auch Wladimir, der das Kind eindringlich bittet, Godot wenigstens auszurichten, dass es ihn und Estragon gesehen habe.

»Du hast uns doch gesehen, nicht wahr?«, fragt er flehentlich, dieser Mensch, der noch nicht einmal sicher sein kann, dass es ihn überhaupt gibt. Sogar die letzte Gewissheit, das eigene Dasein, ist hier infrage gestellt. Um leben zu können, um handlungsfähig zu werden, sind Wladmir und Estragon auf die Bestätigung eines Dritten angewiesen.

Doch der bleibt stumm. Nur Pozzo und Lucky kommen zweimal vorbei, ein Herr und sein Diener. Die beiden sind offenbar schon ebenso lange aneinander gebunden wie Wladimir und Estragon, doch nicht nur im übertragenen Sinn. Pozzo hält Lucky an einer Leine, kommandiert ihn herum wie einen Sklaven, schreit ihn an. René Schwittay erinnert mit seinem Cowboyhut an einen texanischen Ölmilliardär, Paul Wilms, fast nackt und mit langem Bart, starrt weggetreten ins Leere, wenn er gerade keinen Auftrag ausführt. Bevor er zum zweiten Mal abgeht, uriniert er endlos an einen Kaktus, der am Rand der Bühne steht. Immer wenn er gerade abschütteln will, kündigt sich ein weiterer Schwall an. Es ist eine der wenigen Szenen, in denen aus dem Absurden auch dessen humoristisches Potenzial aufscheint. Interessant ist dieser Kaktus außerdem, weil daran ein Zettel befestigt ist. »Nimm dir einen Spiegel und schau dir deine Vulva an« steht darauf.

Wäre am Ende das die Lösung für die beiden Verlorenen da auf der Bühne? Hängt ihr unglückliches Dasein etwa damit zusammen, dass sie Männer sind, als solche für die Menschheit stehen müssen und somit deren anderer Teil ausgeschlossen wird? Eine weitere, wirklich lustige Szene deutet darauf hin. Da singen Wladimir und Estragon zusammen »Hinterm Horizont geht’s weiter« von Udo Lindenberg und beschwören ihre Freundschaft: »Das mit uns ging so tief rein, das kann nie zu Ende sein«.

Haben wir es etwa mit einem Männerbund zu tun, der einfach nicht begreift, dass seine Zeit abgelaufen ist, der sich selbst und uns ganz leicht erlösen könnte, indem er einfach abträte? Wer sucht, findet Hinweise für diese Deutung, doch belässt Regisseurin Fanny Brunner es dabei. Schade, ein entschieden feministischer Zugriff wäre zwar gewagt, doch auch äußerst interessant gewesen. Schon aus dem Grund, dass der Stoff mit seiner Zeitlosigkeit auch ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt. So aber fügt die Inszenierung dem Stück wenig Neues hinzu, zeigt den Meteoriten nur her, lässt ihn aber nicht hinabstürzen.

Nächste Vorstellungen: 5., 7. und 19. Mai
www.hansottotheater.de

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