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Kampftag der Arbeitslosen: Arbeit hat man besser keine
Auf den Tag der Arbeit folgt der internationale Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen
Schon seit fast 20 Jahren gibt es in Berlin am Tag nach dem ersten Mai quasi einen Anti-1.-Mai: den Internationalen Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen. Im Vorfeld wurde zum Beispiel unter dem Motto »Wir bleiben unserem Grundsatz treu: queer, pervers und arbeitsscheu« zur Demonstration in Prenzlauer Berg aufgerufen. Diese Selbstbeschreibung wurde in diesem Jahr besonders ernst genommen. »Es hat sich niemand um die Organisation gekümmert. War wohl zu viel Arbeit«, so lauten die ersten Worte zu den knapp 100 Versammelten am Senefelderplatz.
Keine behördliche Anmeldung einer Demonstration, kein Lautsprecherwagen, kein Megafon und keine Redebeiträge – aber gute Stimmung. Kronkorken ploppen und die ersten Parolen werden angestimmt: »Wir haben Zeit!« und »Wir sind nicht alle, es fehlen die, die arbeiten!«. Das Organisationsteam der letzten Jahre hofft darauf, dass die Anwesenden im nächsten Jahr bei der Organisation mithelfen. »Damit’s nicht immer auf denselben Schultern verteilt doch nicht klappt.«
Die Feinheiten der nächstjährigen Organisation könnten direkt in der Kneipe ausdiskutiert werden, so der Vorschlag des Nichtorganisationsteams. Voll der Motivation ob dieses Plans nehmen sich die Anwesenden spontan die Straße und demonstrieren, zum Ärger der motorisierten Verkehrsteilnehmenden, die Schönhauser Alle hinauf, die sie dadurch in eine Fahrtrichtung vollständig blockieren.
»Kein Gott, kein Staat, kein Arbeitsvertrag« wird dabei lautstark skandiert, weitere Parolen mit ähnlichem Inhalt folgen. Die aufgehaltenen Transporter- und Pkw-Fahrenden müssen jedoch nicht allzu lange hinter den Arbeitsgegner*innen ausharren. Schon an der nächsten Querstraße, keine 500 Meter vom Startpunkt entfernt, erreicht die Spontandemonstration ihr Ziel: die Schankwirtschaft »Baiz«.
»Wir hätten auch noch einen Kilometer weiter laufen können«, sagt Robert Ulmer zu »nd«. Er setzt sich schon lange für ein bedingungsloses Grundeinkommen und für gute Arbeitslosigkeit ein. »Es sollte die Möglichkeit geben, nein zu sagen, anstatt in miesen Jobs zu arbeiten.« Ihm und seinen Mitstreiter*innen hat die Spontaneität der diesjährigen Arbeitslosendemonstration gut gefallen. »Das ist hier noch die letzte Anarchie. Man muss auch ein bisschen frech sein«, sagt Ritchie.
Auch die Erwerbsloseninitiative Basta nimmt jedes Jahr am Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen am 2. Mai teil. Ihr gehe es um die Bekämpfung von »Unterdrückung, Ausgrenzung und Ausbeutung von Menschen mit und ohne Arbeit«, sagt eine Sprecherin. Sie kritisiert das neue Bürgergeld als Fortschreibung von Hartz IV, weil immer noch Menschen unter Androhung von Leistungskürzungen zur Lohnarbeit gezwungen würden, vor allem zu Aushilfs- und Zeitarbeitsjobs. »Jobcenter sortieren Menschen nach Tauglichkeit für die Jobs, die nichts hermachen und nicht zum Leben ausreichen.« Das betreffe besonders Migrant*innen, Frauen und »arm gemachte Ältere«.
In und vor der »Baiz« unterhalten sich die Arbeitsgegner*innen gut gelaunt bei einigen Getränken. Kurz schauen einige einsatzbereite Polizist*innen mit den Helmen unterm Arm vorbei, sie wurden anscheinend über die spontane Demonstration informiert. Da inzwischen aber wieder alles ruhig ist, ziehen sie kurz darauf wieder von dannen.
»Wir hoffen, dass zur Vorbereitung der nächsten Demonstration viele junge Menschen dazukommen. Dann unterstützen wir natürlich«, sagt der Baiz-Schankwirt, der etwa 17 Jahre lang an der Organisierung beteiligt war. Dann könnten am 2. Mai auch wieder Redebeiträge und Konzerte stattfinden.
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