Maulkorb für Berichterstatter

Julia Gavarrete über die Einschränkung der Pressefreiheit unter Nayib Bukele in El Salvador

  • Interview: Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.
Protest gegen den Ausnahmezustand und die Inhaftierung Zehntausender teils Unschuldiger am 27. März 2023 – ein Jahr nach der Verhängung
Protest gegen den Ausnahmezustand und die Inhaftierung Zehntausender teils Unschuldiger am 27. März 2023 – ein Jahr nach der Verhängung

Frau Gavarrete, in Ihrem bis dato letzten Artikel haben Sie sich mit einer der Parteien beschäftigt, die bei den Wahlen im nächsten Jahr hoffen, dem amtierenden Präsidenten Nayib Bukele Paroli bieten zu können: mit der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN), die von der Guerilla zur politischen Partei mutierte. Glauben Sie an eine Chance für die FMLN?

Interview

Julia Gavarrete ist Redakteurin des ersten Online-Magazins Mittel­amerikas, »El Faro«. In den 25 Jahren seit der Gründung hat es sich von einer kritischen Meinungspostille zu einem investigativen Leuchtturm-Projekt gemausert und erhielt etliche Preise. Gavarrete, 34 Jahre alt, wurde gerade mit dem Journalistenpreis der spanischen Tageszeitung »El País« geehrt.

Am absehbaren Wahlsieg des amtierenden Präsidenten Nayib Bukele zweifelt hier niemand. Die FMLN heute ist nicht mehr mit der FMLN vor zehn oder auch nur sechs Jahren zu vergleichen. 2014 stellte sie noch den Präsidenten; heute geht es laut dem FMLN-Sprecher Vladimir Melara, den wir interviewt haben, um Parlamentsmandate.

Nayib Bukele dürfte in der Redaktion von »El Faro« der am häufigsten genannte Name sein. Nicht nur weil er Präsident ist, sondern weil er die Redakteur*innen und das Medium seit seiner Vereidigung im Juni 2019 verbal regelmäßig angreift, richtig?

Ja, unsere Situation ist komplex. Es gibt systematische Angriffe, wir werden diskreditiert, beschuldigt und stigmatisiert vonseiten des Präsidenten – ohne dass Beweise vorgelegt werden. Das hat dazu geführt, dass »El Faro« die gesamte Administration, die Verwaltung und den Hauptsitz am 1. April nach Costa Rica, genauer nach San José, verlegt hat. Der zentrale Grund dafür ist unsere Sicherheit – wir wollten die Existenz des Blattes absichern. Der Druck ist enorm.

Gibt es keine Garantien für freie Meinungsäußerung mehr?

Sie werden zumindest nicht mehr so respektiert, wie es die Verfassung vorschreibt, und die Gewaltenteilung existiert nur noch auf dem Papier.

Wird die Justiz instrumentalisiert, um gegen die Presse vorzugehen? Gibt es eine Parallele zu Guatemala, wo die Justiz gegen »elPeriódico« vorgeht?

Generell gibt es viele Parallelen zwischen Guatemala, El Salvador, aber auch anderen Ländern wie Nicaragua und partiell auch Honduras. Die Exekutive instrumentalisiert die Judikative, kriminalisiert Presse und zivilgesellschaftliche Organisationen. Das ist ein Element, aber die Regierung ist auch ein wichtiger Geldgeber, finanziert über Anzeigen nur bestimmte Medien, übt so Druck aus – in Guatemala, in El Salvador, auch in Honduras. Parallel dazu wird die Finanzierung von Medien, aber auch von Nichtregierungsorganisationen (NRO) über Gesetze erschwert und reguliert. Das ist in Nicaragua, in Guatemala, aber auch in El Salvador der Fall. Der Grund, weshalb »El Faro« seinen Sitz nach San José verlegt hat, sind Anschuldigungen wegen Geldwäsche und vier darauffolgende Steuerprüfungen – wir fürchten um unsere Funktionsstruktur.

Entwickelt sich San José zum Zufluchtsort für kritische Medien aus der Region?

Ja, »El Confidencial« aus Nicaragua ist ein Beispiel. Viele NRO, darunter etliche Menschenrechtsorganisationen, und viele Journalisten sind nach San José, aber auch in andere Länder geflohen. Nicaraguas Präsident Daniel Ortega und sein salvadorianischer Konterpart Nayib Bukele spielen auf den gleichen Instrumenten. 15 Jahre Haft riskieren Berichterstatter, die über die Maras (kriminelle Jugendbanden, d. Red.) in El Salvador berichten – das ist ein Maulkorb. Auch das Abhören von Telefonen ist gesetzlich erleichtert worden – offiziell, um die Bandenkriminalität zu unterbinden, aber die Journalisten sind nur unzureichend geschützt.

Was haben Sie persönlich für Erfahrungen gemacht – sind Sie bei Recherchen behindert, bedroht, ausspioniert worden?

Uns ist seit dem Amtsantritt von Nayib Bukele mehr und mehr der Zugang zu öffentlichen Informationen beschnitten worden. Zugang zu Interviews mit dem Präsidenten, Ministern beiderlei Geschlechts, Informationen von der Regierung, aber teilweise auch der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen: Haftanstalten, Stadtverwaltungen, Schulen, Krankenhäusern. Das erschwert unsere Arbeit gravierend. Das gilt nicht nur für unsere Arbeit – es schränkt auch die Optionen der Bevölkerung ein, sich zu informieren, und das ist ein Grundrecht!

Auf den Telefonen von 22Redakteur*innen von »El Faro« wurde die Pegasus-Spionage-Software gefunden – auch bei Ihnen?

Ja, ich war die Erste, die das bemerkt hat, das war Ende 2021. Dank der Hilfe von Spezialisten konnten wir nachweisen, dass einzelne Kollegen über 270 Tage ausspioniert wurden, dass Kontakte von Informanten, private Kontakte und vieles mehr einsehbar waren. Das ist brutal.

Wer steckt dahinter?

Wir wissen, dass die Software in El Salvador eingesetzt worden ist; wir wissen, dass das israelische Unternehmen die Software eigener Aussage zufolge nur an Regierungen verkauft und dass sie sehr kostspielig ist. Welche andere Regierung könnte an unserer Arbeit Interesse haben, lautet meine Gegenfrage.

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