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- Migrations- und Asylpolitik
Deutschland: Ein modernes Abschiebeland
Ulrike Wagener über die Kehrtwende in der Asylpolitik der Ampel-Koalition
Die Bundesregierung wirft ihren groß angekündigten Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik nun vollends über Bord – und damit ein Kernelement ihres Koalitionsvertrages. Hatten die Koalitionär*innen im Dezember 2021 noch die »humanitäre Verantwortung« des »modernen Einwanderungslandes« Deutschland betont und sich »bessere Standards für Schutzsuchende« in den europäischen Asylverfahren sowie ein »Ende illegaler Zurückweisungen« auf die Fahnen geschrieben, spricht sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nun für eine jahrelang diskutierte Asylrechtsverschärfung auf europäischer Ebene aus: Asylverfahren sollen direkt an den EU-Außengrenzen entschieden und damit schnellere Abschiebungen ermöglicht werden. Ganz im Sinne ihres CSU-Amtsvorgängers Horst Seehofer, der sie umgehend lobte.
Tatsächlich wären schnellere Entscheidungen von Asylverfahren im Sinne von Geflüchteten. Doch dabei müsste gewährleistet sein, dass diese, wie es ebenfalls im Koalitionsvertrag steht, fair und rechtssicher ablaufen. Bei Grenzverfahren wäre dies mehr als fraglich. Stattdessen könnte dies dazu führen, dass die bereits existierenden Zonen entlang der Grenze, in denen Menschenrechte ausgehebelt und Geflüchtete von europäischen Beamten oder nicht zu identifizierenden Maskierten rechtswidrig geschlagen, gedemütigt und abgeschoben werden, sich noch ausweiten. Dass der sonst so sparsame Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) dem ebenfalls zustimmt und sich sogar für den »physischen Schutz« der Außengrenzen ausspricht – im Klartext für (teure) Grenzmauern und -zäune, die Schutzsuchende erfahrungsgemäß auf immer gefährlichere Routen zwingen und Verletzungen und Todesfälle bei der Grenzüberquerung hervorrufen, Migration aber nicht verhindern – spricht Bände. Indem die Ampel nun die Politik ihrer Vorgängerregierung konsequent fortsetzt, steht einer komplett abgeriegelten Europäischen Union nichts mehr im Weg: Ohne Einreisen kein Asyl.
Und auch auf Bundesebene neigt sich die Waagschale immer mehr zugunsten einer rigiden Law-and-Order-Politik. Schon bei den letzten Beratungen über die Migrationspakete im Bundestag hatte sich mehr und mehr herauskristallisiert, dass der versprochene Neuanfang und die Vereinfachung von Verfahren eher für Fachkräfte aus dem Ausland gelten sollten als für Menschen, die vor Krieg, Hunger und Verfolgung aus ihrer Heimat fliehen müssen. Doch auch für Letztere gab es leichte Verbesserungen wie in Gestalt des Bleiberechts für Geduldete, wenn auch mit mehr Einschränkungen, als es zunächst abzusehen war.
Im Vorfeld des lange eingeforderten Flüchtlingsgipfels zwischen Bund und Ländern unter Anwesenheit des Bundeskanzlers am kommenden Mittwoch wird nun deutlich: Für die Bundesminister*innen ist ein »modernes Einwanderungsland« in erster Linie ein effizientes Abschiebeland. In diese Richtung deuten auch die Äußerungen von Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner, der bereits vorab verlauten ließ, dass die vehementeste Forderung von Ländern und Kommunen – mehr Geld – »nicht im Mittelpunkt« der Beratungen stehen werden, sondern ein »geordneter und strukturierter Prozess bei der Aufnahme der Geflüchteten auf allen staatlichen Ebenen«. Man sei »zuversichtlich«, zu gemeinsamen Verabredungen zu kommen.
Es ist ehrbar, dass sich der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) in diesen einstimmigen Gesang mit einem sehr konkreten Vorschlag einmischt, der in eine ganz andere Richtung geht. Er fordert, alle Asylsuchenden, die nach 2014 nach Deutschland gekommen sind und mindestens drei Jahre »ohne Beanstandung« hier gelebt haben, pauschal anzuerkennen. Die Ampel könnte dies ohne Gesichtsverlust umsetzen, wäre es doch im Grunde eine Ausweitung ihres bereits beschlossenen Bleiberechts. Außerdem würde es die Verwaltung enorm entlasten. Realistisch scheint es unter den gegebenen Vorzeichen allerdings kaum. Die stehen auf Abweisung statt humanistische und unbürokratische Fluchtpolitik.
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