Cindy-Sherman-Ausstellung: Laufsteg der bunten Leichen

Die Eitelkeit der Boutiquenwelt lacht heraus: Die Stuttgarter Staatsgalerie zeigt Fotografien der US-Künstlerin Cindy Sherman, die den üblichen Schönheitsvorstellungen widersprechen

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 5 Min.
Cindy Sherman Untitled #588 2016/2018. Genehmigt von der Künstlerin, Hauser & Wirth und Sprueth Magers
Cindy Sherman Untitled #588 2016/2018. Genehmigt von der Künstlerin, Hauser & Wirth und Sprueth Magers

Wenn sich linke und rechte Kulturkritiker in einem Punkt einig sind, dann in einem grundsätzlichen Vorbehalt gegen die Mode. Sehen jene im Ausrufen immer neuer Trends nichts als die perfide Verkaufsstrategie der kapitalistischen Textilindustrie, begründen diese ihre Skepsis gegenüber dem Wandel der Bekleidungsstile mit einer Vorliebe fürs Traditionelle, hinter der oft nur die kategorische Ablehnung des Neuen steckt. Rein ideologisch müsste also für jeden etwas dabei sein in der Stuttgarter Staatsgalerie. Denn ihre große Sonderschau über die Fotokünstlerin Cindy Sherman steht unter dem Motto »Anti-Fashion«.

Klingt nach einem klaren Bekenntnis. Doch langsam! Ganz so einfach macht die Werkauswahl es den Besuchenden nicht. Sherman, Jahrgang 1954, ist weltweit bekannt als Meisterin der Selbstinszenierung. Konsequent verweigert sie der Bilderwelt ihre eigene Identität, um stattdessen das Aussehen von Filmstars, historischen Frauenpersönlichkeiten oder Figuren aus der Kunstgeschichte anzunehmen – ähnlich wie Thomas Bernhards »Stimmenimitator«, der die Sprechweise vieler Prominenter nachahmen kann, aber keine eigene Stimme mehr besitzt.

Cindy-Sherman-Ausstellungen sind museale Erfolgsgaranten, wenngleich meist keine Überraschungen mehr, da sich das Schaffen der New Yorkerin seit den 80ern zwar in vielen Details, aber nicht im Grundprinzip geändert hat. Auch die Schau am Neckar zeigt keine neue Sherman, aber sie bietet insofern eine erfrischende Perspektive, als nun erstmals das wichtigste Requisit von Shermans Rollenspielen in den Fokus rückt: die Mode. Zusammengetragen hat die Kuratorin Alessandra Nappo hierfür 50 großformatige Arbeiten aus fast fünf Jahrzehnten plus Archivmaterial.

Gleich neben dem Eingang zur Ausstellung läuft mit »Doll clothes« (1975) ein selten präsentiertes Frühwerk Shermans. Der in ruckeliger Stop-Motion-Technik gedrehte Schwarzweißfilm greift das kindliche Spiel mit Anziehpuppen auf, nur dass die Puppe hier die Züge der Künstlerin trägt. Barbie mit Durchschnittsfigur. Wenig später nimmt Sherman die Zentralorgane der Schönheitsindustrie aufs Korn, indem sie sich zum Covergirl von Glamourmagazinen wie »Vogue« macht. Dabei ziehen groteske Mimik und übertriebenes Make-up die Ernsthaftigkeit der Originale radikal ins Lächerliche. In der Folge kostümiert sich die Künstlerin immer wieder als gegen den Strich frisierte Ikone, die nicht glatt und perfekt sein will, sondern geschunden oder vergrämt, aufsässig oder obszön. Häufig trägt sie Modelgrößen, sodass ihr die Sachen zu eng oder zu lang sind. Dazu bleigraue Augenringe, rissige Lippen, zerzauste Haaren. Ihr subversives Aufbegehren gegen Schönheitsstandards, die vor allem aus betriebswirtschaftlichen Gründen gepusht werden, teilt Sherman mit anderen Positionen feministischer Kunst. Erstaunlich ist in ihrem Falle allerdings das Tempo, mit dem der Kapitalismus die Kritik wiederum für das Modemarketing vereinnahmt hat.

1983, noch zum Anfang ihrer Karriere, erhielt Sherman erste bezahlte Aufträge, um Schöpfungen von Stardesignern wie Jean Paul Gaultier oder Issey Miyake in Szene zu setzen. Zwar ließ die Pariser »Vogue« die lädierten Grazien der US-Amerikanerin zunächst noch ungedruckt – doch in der kommerziellen Modefotografie deutete sich ein Umschwung an. Ist das Phänomen des abgeranzten Heroin Chic, das durch Kate Moss in den 90ern um die Welt ging, vielleicht in Wahrheit nichts anderes als eine zum fragwürdigen Ideal umgedeutete Rezeption von Shermans parodistischem Mummenschanz?

Auch dank der US-Künstlerin haben Modehäuser längst eine widerständige Kreativität als verkaufsfördernden Faktor für sich entdeckt. »Anti Fashion«, das weiß die Stuttgarter Ausstellung, ist ein Prädikat mit kurzer Halbwertszeit: Ob Hippie-Mode, Punk oder Grunge – am Ende hat noch alles, was aus dem Underground kam, den Aufstieg in die Haute Couture geschafft.

Zugute halten muss man Sherman, dass sie sich zwar bis heute für offizielle Werbekampagnen von Unternehmen einspannen lässt, aber dabei niemals platte Konsumbegehrlichkeit weckt. Die Posen, die sie einnimmt, sind nur auf einer satirischen Ebene aufreizend. Stilbrüche und karnevaleske Verfremdungen blocken den voyeuristischen Zugriff ab. Mal hängen absurd vergrößerte Plastikbrüste aus den Designerklamotten heraus, mal plustert die Verwandlungsperfektionistin görenhaft frech die Backen auf. So etwa bei den Aufnahmen, die in den 90er Jahren für das japanische Label Comme des Garçons entstanden, dessen minimalistisch zurückgenommene Entwürfe Sherman besondere Entfaltungsmöglichkeiten boten.

Hat sich die Künstlerin früher provokativ am Laufstegmilieu gerieben, suchen neuere Arbeiten eher den Dialog und die wechselseitige Inspiration. In der zehnteiligen Serie »Men« (2019/20) nimmt die Künstlerin die erste Männerkollektion von Stella McCartney zum Anlass für ein Nachdenken über Genderfragen. Von Sherman getragen, werden die Kreationen der britischen Designerin zu Attributen eines fluiden Geschlechterbegriffs. Weibliche Gesichtszüge treffen auf kerlige Posen wie die Hand in der Hosentasche. Androgyne Dandys in klassischen Kamelhaarmänteln und orangefarbenen Schals feiern die befreite Unisex-Welt des 21. Jahrhunderts. Solche Maskeraden offenbaren wie unter einem Brennglas die Psychologie der Mode. Ist doch der gut bestückte Kleiderschrank eine Ich-Prothese, mit deren Hilfe wir unsere geschlechtliche oder soziale Identität steuern. 

Neben aktuellen Diskursphänomenen verhandeln Shermans Bezugnahmen auf die Mode aber auch immer wieder uralte Themen der Kunstgeschichte. Über den vordergründigen Schockmoment hinaus sind all die blutigen Verletzungsbilder, die zombiehaften Verzeichnungen von einem ironischen Moralismus getragen. Shermans Travestietheater betont die große Vergeblichkeit der Mode, die ihr eigenes Jugendversprechen gleich doppelt verrät. Der letzte Schrei von heute taugt schon morgen nur noch für den Altkleidercontainer, während die Träger*innen am Ende jeder Saison erfahren, dass eine fesche Garderobe Falten und Dellen vielleicht verhüllt, aber gewiss nicht verhindert.

Wohl auch deshalb hat die Stuttgarter Anti-Fashion-Parade in ihrer bunten Opulenz etwas zutiefst Barockes. Shermans »Balenciaga«-Serie von 2007/08 zum Beispiel bringt den Traum vom Jungsein wie eine Seifenblase zum Platzen. Trotz der schrillen Party-Outfits gelingt es den unter Schönheitschirurgie erstarrten Gesichtern kaum, das wahre Alter zu kaschieren. Die Mode verhöhnt ihre Käufer*innen als peinlich gewordene Berufsjugendliche aus der Boomer-Generation. Auch aus der bizarren Clown-Gestalt im John-Galliano-Glitzer oder aus der aufgeschnittenen Brust einer morbid hergerichteten Schaufensterpuppe lacht die Eitelkeit der Boutiquenwelt heraus. »Denn nie war Mode anderes als die Parodie der bunten Leiche« – Cindy Shermans inszenierte Metamorphosen haben die philosophischen Worte Walter Benjamins eindrucksvoll bestätigt.

Die Ausstellung »Anti-Fashion« ist bis 10. September in der Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Straße 30-32, zu besichtigen.

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