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  • »ZIERVOGEL: Wir sollen wie Hunde sein«

Kein Durchkommen

Nur wenige Werke des Künstlers ZIERVOGEL zeigt eine Ausstellung in Berlin. Verbleibt der Versuch des Selbstporträts in unmotivierter Banalität?

  • Manuela Lintl
  • Lesedauer: 4 Min.
Gängelung auf Parkett: ZIERVOGELs »Parcours« im Haus am Lützowplatz.
Gängelung auf Parkett: ZIERVOGELs »Parcours« im Haus am Lützowplatz.

Die Besucher werden gegängelt, der Weg ihnen mit Viehgattern versperrt. So passiert es derzeit in den Räumen des Hauses am Lützowplatz in Berlin, wo eine mehrteilige Rauminstallation auch ins Mauerwerk eingreift. Sie stammt vom in Berlin und New York lebenden Künstler ZIERVOGEL. Der Titel der Ausstellung, »Wir sollen wie Hunde sein«, hilft nicht dabei, das Ganze zu erklären, es handelt sich wohl eher um eine Nebelkerze. Ein »dreiteiliges Selbstporträt« soll es jedenfalls sein, die anderen Teile sind ein frühes Video von 2000 und eine Zeichnung von 2018, die für ZIERVOGEL bedeutsame Teile seiner Künstlerbiografie markieren.
Er, der vielen wohl noch unter seinem bürgerlichen Namen Ralf Ziervogel bekannt ist, Jahrgang 1975 und aus der Bergwerkstadt Clausthal-Zellerfeld im Harz stammend, hat eine ansehnliche Karriere vorzuweisen. Nach fünf Jahren Studium an der UdK in Berlin bis 2005 folgte 2013 bis 2016 ein Lehrauftrag für Bildhauerei an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Heute ist die Ausstellungsliste von ZIERVOGEL, wie er sich seit 2019 nennt, lang, darunter wichtige Institutionen wie K21 Düsseldorf, die Kunsthalle Wien, das MoMA New York oder jüngst eine Einzelschau in den Hamburger Deichtorhallen. Er war auf der Biennale von Venedig vertreten und erhielt mehrere Stipendien und Preise, darunter einen Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom.

ZIERVOGELs vielfach erklärtes Alleinstellungsmerkmal für Ausstellungsbetrieb und Kunstmarkt sind unzweifelhaft seine akribischen, großformatigen Federzeichnungen in schwarzer Tusche. Mit drastischen Motiven, grotesken Fantasiefiguren in Brueghel’scher Manier überzieht er spinnwebenartig riesige Papierflächen, ohne im Sinne des Horror Vacui die Fläche restlos zu füllen. Im Gegenteil, alles ist luftig angeordnet und die scheinbare Leichtigkeit der mit dünnem Strich erzeugten Zeichnungen bildet einen starken Kontrast zu den brutalen, sadistischen Inhalten.

Penetrierte und drangsalierte Körper menschlicher und tierischer Fantasiewesen in quälend strapazierten Posen, comicartig überspitzt und symbolhaft überfrachtet durch unzählige, kleinteilige Accessoires, zwingen die Betrachtenden mindestens in einen Zustand visueller Reizüberflutung. Inwiefern noch Schock oder Scham dazukommen, bleibt von der Sensibilität oder vom Peinlichkeitsbarometer abhängig. In dieser Hinsicht sind die Zeichnungen restlos überfrachtet. Ihr Inhalt erschließt sich dabei nur aus nächster Nähe, von Weitem erscheinen sie harmlos als filigrane Muster oder abstrakte Ornamente.

Mit diesem Werkkomplex, der heute nur mehr als Klischee auf ZIERVOGEL zu lasten scheint, hat der Mittvierziger abgeschlossen. Aktuell treibt ihn um, dass Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen auch handwerkliche Prozesse der bildenden Kunst obsolet werden lassen könnten. Auch befasst er sich mit neuen Möglichkeiten dauerhafter Daten- und Informationsspeicherung – vor allem im Hinblick auf sein künstlerisches Werk. In der Ausstellung taucht wie schon erwähnt die Tuschezeichnung »as if« (2018) auf, an einer Stirnwand platziert, jedoch brachial abgeriegelt und visuell verbaut durch den »Parcours« (so der Name der neuen Installation) aus hohen, mobilen Viehgattern für Rinder. Durch diesen umzäunten Pfad wird man gezwungen, um zum Bild zu gelangen, ohne es dann in seiner Gänze betrachten zu können. Unmotiviert wirkt die Ergänzung der Szenerie durch eine Rolle Nato-Stacheldraht und ein Starkstromkabel, beide zu beiläufig positioniert, um echte Bedrohlichkeit zu erzeugen.

Den zweiten Teil des Selbstporträts bildet das Video »Das Erste« (2000). Es markiert den Beginn der künstlerischen Laufbahn ZIERVOGELs und trägt deutliche Züge eines experimentellen studentischen Kurzfilms. Die immense Wut, die auch in den späteren Zeichnungen so prägend ist, findet hier bereits visuellen Ausdruck, wenn sich der Künstler beim Zähneputzen filmt und die Bewegung der Zahnbürste staccatoartig steigert.

Der dritte Teil des Selbstbildnisses besteht aus einem »D:N:A-Porträt«, das sich in einer eigens in die Wand geschlagenen Nische befindet. Das Bild besteht aus einem Text und einer im Labor kostenintensiv hergestellten Flüssigkeit, die nach einer neuen Methode codierte Erbinformation in synthetisch erzeugten DNA-Molekülen enthält. Vis-à-vis hat der Künstler als Abklatsch einen Fettabdruck seines Körpers kaum sichtbar auf der weißen Wand hinterlassen – als zwar in seiner Intention nachvollziehbaren aber doch recht banalen Anklang an die eingebrannten menschlichen Körperschatten, die nach den schrecklichen Atombombenexplosionen in Japan 1945 entstanden sind.

Das »D:N:A-Porträt« soll nach Ende der Ausstellung mit Wiederherstellung der Wandfläche eingemauert werden und somit unsichtbar erhalten bleiben. Hier begräbt der Künstler also symbolisch seine eigene, synthetisch erzeugte und gespeicherte Erbinformation, die, modifiziert mit Informationen zu seinem künstlerischen Werk, wie in einer Grabkammer konserviert werden soll. ZIERVOGELs dreiteiliges Selbstporträt läuft damit letztlich Gefahr, nur ein triviales Memento mori, ein Zeugnis überhöhter Selbsteinschätzung im Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit darzustellen.

»ZIERVOGEL: Wir sollen wie Hunde sein«, bis zum 29. Mai, Haus am Lützowplatz, Berlin

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