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Palmbaum: Die schrecklich-schöne Welt der Bilder und Texte
Jens-Fietje Dwars feiert mit einem Buch und einer Ausstellung 30 Jahre Zeitschrift »Palmbaum«
Der »Palmbaum« ist die wohl gleichzeitig unbekannteste und interessanteste Literaturzeitschrift dieses Landes. Ein nicht ganz seltenes Zusammentreffen, scheint mir, mit einem Blick auf die Monokulturen der hiesigen Literaturlandschaft. Seit 2005 gibt sie Jens-Fietje Dwars heraus, Autor maßgeblicher Biographien von Johannes R. Becher und Peter Weiss und gleichzeitig Herausgeber der bibliophilen Ornament-Reihe im Quartus Verlag Bucha bei Jena. Wir sind also in Thüringen, ziemlich am Rande der Literaturszene, fast schon mitten im Wald.
Hier wächst Widersprüchliches und so auch Neues, das bislang noch als Geheimtipp gehandelt wird. Davon kann die von der Berliner Akademie der Künste herausgegebene Zeitschrift »Sinn und Form« nur träumen, die erst wegen eines absurden Prozesses wegen »Wettbewerbsverzerrung« wieder in die Schlagzeilen gelangte, aber ansonsten mit der Verwaltung ihrer einstigen Bedeutsamkeit beschäftigt ist. In Berlin repräsentiert man lieber den erhabenen Geist, als ihn in Kontakt mit den Kämpfen dieser Zeit zu bringen. Ganz anders der Thüringer »Palmbaum«, der zwar einen idyllischen Namen trägt, aber ansonsten von einem – jenseits allen Aktionismus – eingreifenden Geist geprägt ist.
Da steht einer also auf verlorenem Posten zwischen Erfurt, Weimar und Jena (längst kein Klassikerdreieck mehr), und die regionale Presse ist es längst müde, jedem der zweimal im Jahr auf fast 200 Seiten erscheinendem Literaturjournale wieder einen Beitrag widmen zu sollen. Und der neue »Palmbaum«, das Heft 1/2023, ist bereits der sechsundsiebzigste! Wie jedes Heft hat er ein Schwerpunktthema, in diesem umkreist es die Frage, was Reichtum ist oder sein sollte. Es gibt im »Palmbaum« regelmäßig Debatten, hier etwa um das Gendern als Streitfall und zeitgeistiges Phänomen gleichermaßen. Natürlich Lyrik, Wulf Kirsten, der große deutsche Dichter aus Thüringen, der kürzlich starb, wird gewürdigt. Ausgewählte Prosa, Essays (Friedrich Dieckmanns »Gedanken zur Zeit« oder Klaus Bellins Spurensuche zu August von Goethe), Kritiken von streitbaren Neuerscheinungen (zu Thomas Böhme, Gerd Irrlitz, Edelbert Richter oder Dirk Oschmann) und dazu in jedem Heft das Porträt eines bildendem Künstlers, der auch das Titelblatt gestaltet – von Strawalde, Max Uhlig bis zu Angela Hampel und Ulrike Theusner. In diesem Heft ist es Dieter Goltzsche, Nestor der Berliner Schule, den Dwars in Berlin-Friedrichshagen besucht.
Dabei immer der brennenden Frage folgend: »Was macht Kunst so begehrenswert?« Seit fast 20 Jahren also konzipiert und redigiert Dwars den »Palmbaum« ganz allein, seinen eigenen Maßgaben folgend. Das macht das Heft so unverwechselbar. Jedes Mal wieder auch das Wagnis, Bilder und Buchstaben in einen aufschließenden Dialog miteinander zu bringen. Einen, der nicht nur inhaltlich überzeugt, sondern der auch ästhetisch zum Ereignis wird. Dieser Perfektionist wählt immer als erstes sorgsam, manchmal auch umständlich zögernd, das Papier, dessen Stärke, Tönung und Oberflächenstruktur bereits über Wohl und Wehe der Unternehmung entscheiden kann. Seine Autoren hat er längst gewählt, wie diese auch ihn. Wie kein zweiter Chefredakteur – ein Wort, das er nie benutzen würde, obwohl er es im besten Sinne doch ist – ein zugewandter Inspirator, Organisator und Produzent in Personalunion. Er sucht die geistige Verbindung zu anderen und scheut doch nicht die Polemik, wenn er auf Geistlosigkeit oder routiniertes Desinteresse trifft.
Ist das elitär? Im Gegenteil, ein Stück Volksbildung ambitioniertester Art im Geiste der »Fruchtbringenden Gesellschaft«, die von den Fürsten der protestantischen Höfe 1617 in Weimar gegründet wurde. Deren Zeichen war der Palmbaum, ein Symbol wie es heute nicht gegenwärtiger sein könnte. Dwars über den ein Jahr vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unternommenen utopischen Versuch einer Befriedung als Kultivierung aller Beteiligten: »Nicht Wirtschaftsausbau und kein Programm zur Erfindung neuer Waffen beschlossen sie, sondern ausgerechnet die Förderung der deutschen Sprache und Literatur. Nichts brauche man mehr in diesem Flickenteppich verfeindeter Kleinstaaten als eine gemeinsame Sprache zur Verständigung.«
Diese Sätze lese ich Dwars’ Einleitung zum Jubiläumsbuch von 30 Jahren »Palmbaum«: »Ateliergespräche – Porträts ostdeutscher Bildermacher«, die von einer Ausstellung rund um die Schöpfer der Titelblätter auf Schloss Burgk begleitet wird, einst die heimliche Hauptstadt ostdeutscher Grafik und Buchkunst. Man spürt darin das Kraftgenie Dwars, das ganz allein ein Feld nach dem anderen eröffnet, dabei immer eine Botschaft verbreitend: »Ich bin reich. Nicht pekuniär, nicht gemessen am Kontostand.« Versteht man heute überhaupt noch, wie man jenseits dessen dennoch reich sein kann? Es wäre fatal, wenn nicht.
Am Anfang des – wie immer sorgsam – gestalteten Buches und so gleichsam den Ton für das Folgende vorgebend, stehen Gerhard Altenbourg und Horst Hussel, deren Briefwechsel Dwars vor einigen Jahren herausgab. Altenbourg ist ein bildgewordenes Mysterium bis heute. Eines, das Dwars sichtlich fasziniert: »Er ist der berühmteste unter den unbekannten Malern und Zeichnern des 20. Jahrhunderts. Ein Außenseiter, legendenumwoben.« Er starb Ende 1989 nach einem Autounfall. Er, der in den 60er Jahren noch geschrieben hatte, er sei »hier so isoliert, dass ich manchmal meine, verrückt zu werden«, war in den 80er Jahren dann doch in bestimmten Kreisen eine Berühmtheit geworden und zeigte nun die andere Seite des Verketzerten: die Diva. Horst Hussel dagegen blieb bis zu seinem Tod 2017 der ewige Narr am Hofe aller selbsterklärten Bedeutsamkeit.
Als Dwars mit Hussel das von Altenbourgs Schwester gehütete Wohnhaus und gleichzeitig Atelier Altenbourgs in Altenburg besucht, ist er von der dort herrschenden Verkunstung schockiert. Jeden noch so kleinen leeren Fleck an Wänden und Decken hatte Altenbourg bemalt, wollte sein Haus in ein begehbares Kunstwerk verwandeln. Das sei ja »grauenvoll«, entfährt es Hussel: »Wie die Zelle eines Gefangenen, der die Wände seines Kerkers bemalt hat.«
Die meisten der 28 im Buch porträtierten Titelblattgestalter sind bereits alt, einige sogar sehr alt wie Strawalde oder Max Uhlig mit über 90 – dabei aber immer noch hochproduktiv. Doch stellt sich unweigerlich die Frage, was nach ihnen kommt. Der Chemnitzer Klaus Süß etwa zählt mit Anfang 70 noch fast zur verbindenden Mittelgeneration. Ein Autodidakt jenseits des DDR-Kunstbetriebes, der zur Karl-Marx-Städter Underground-Künstlergruppe »Clara Mosch« gehörte und heute vor allem mit expressiven Farbholzschnitten von sich reden macht. Seine Themen wählt er häufig aus der Welt der Mythen und bekennt, nur in diesen könne man die eigene Zeit erkennen.
Fast noch jung, gewiss aber die jüngste in diesem einer Wunderkammer gleichendem Buch, in dem man unverhofft Dinge findet, die man gar nicht gesucht hat, ist die 1982 in Frankfurt/Oder geborene Ulrike Theusner, die einst auch als Mannequin für Vivienne Westwood arbeitete, aber irgendwann konstatierte, Schönheit sei langweilig. Seitdem züchtet sie in ihren Bildern hauseigene Monster, die jedoch ganz offensichtlich auch eine freundliche Seite haben, wie es Dwars bei einem Besuch in ihrem Weimarer Atelier nicht verborgen bleibt. Sichtlich verblüfft fragt er: »In fast all ihren Arbeiten schlägt Schönes ins Schreckliche um, Hohes in Niedriges, Menschliches in Tierisches. Bei Ihnen ist die Welt aus den Fugen, aber Sie selbst lachen, springen Trampolin und jammern nicht.« Vor allem Letzteres scheint Dwars zu beeindrucken.
Die Antwort von Ulrike Theusner klingt noch nach, wenn man dieses Kleinod von Buch, das die ganze Welt als Atelier auffasst, längst aus der Hand gelegt hat: »Ich zeige die Welt, wie ich sie erlebe: schrecklich-schön.«
Jens-Fietje Dwars, Ateliergespräche – Porträts ostdeutscher Bildermacher, Edition Ornament im quartus-Verlag Bucha bei Jena, 271 S., 24,90 Euro, erschienen zur Ausstellung »Im Zeichen der Palme. 30 Jahre Literaturzeitschrift Palmbaum« auf Schloss Burgk (dort noch bis zum 25. Juni, danach bis 5. November im Romantikerhaus Jena)
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